Lagrange-Formalismus

Lagrange-Formalismus

Der Lagrange-Formalismus ist in der Physik eine 1788 von Joseph-Louis Lagrange eingeführte Formulierung der klassischen Mechanik, in der die Dynamik eines Systems durch eine einzige skalare Funktion, die Lagrange-Funktion, beschrieben wird. Der Formalismus ist (im Gegensatz zu der newtonschen Mechanik, die a priori nur in Inertialsystemen gilt) auch in beschleunigten Bezugssystemen gültig. Der Lagrange-Formalismus ist invariant gegen Koordinatentransformationen.[1] Aus der Lagrange-Funktion lassen sich die Bewegungsgleichungen mit den Euler-Lagrange-Gleichungen der Variationsrechnung aus dem Prinzip der kleinsten Wirkung bestimmen. Diese Betrachtungsweise vereinfacht viele physikalische Probleme, da sich, im Gegensatz zu der newtonschen Formulierung der Bewegungsgesetze, im Lagrange-Formalismus Zwangsbedingungen relativ einfach durch das explizite Ausrechnen der Zwangskräfte oder die geeignete Wahl generalisierter Koordinaten berücksichtigen lassen. Aus diesem Grund wird der Lagrange-Formalismus verbreitet bei Mehrkörpersystemen (MKS) eingesetzt. Er lässt sich auch auf den relativistischen Fall übertragen und ist auch in der relativistischen Quantenfeldtheorie zur Formulierung von Modellen von Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen weit verbreitet.

Für Systeme mit einem generalisierten Potential und holonomen Zwangsbedingungen lautet die Lagrange-Funktion

L=TV

wobei T die kinetische Energie und V die potentielle Energie des betrachteten Systems bezeichnen. Man unterscheidet sogenannte Lagrange-Gleichungen erster und zweiter Art. Im engeren Sinn versteht man unter dem Lagrange-Formalismus und den Lagrange-Gleichungen aber die zweiter Art, die häufig einfach als Lagrange-Gleichungen bezeichnet werden:

ddtLq˙iLqi=0.

Dabei sind qi generalisierte Koordinaten und q˙i deren Zeitableitungen.

Lagrange-Gleichungen erster und zweiter Art

Mit den Lagrange-Gleichungen erster Art lassen sich die Zwangskräfte berechnen. Sie sind äquivalent zu den Gleichungen, die sich aus dem D’Alembertschen Prinzip ergeben. Wir betrachten N Punktteilchen im  R3 mit den Ortsvektoren  ri, i{1,...,N}, deren Koordinaten durch s voneinander unabhängige (holonome) Zwangsbedingungen der Form Fk(r1,,rN,t)=0 mit k{1,,s} eingeschränkt sind (eine explizite Zeitabhängigkeit ist erlaubt). Dadurch werden die Lagen der Teilchen auf eine (3Ns)-dimensionale Mannigfaltigkeit eingeschränkt (f=3Ns ist die Anzahl der Freiheitsgrade).

Die auf ein Teilchen i wirkenden Zwangskräfte sind proportional zum Gradienten Fk, die Gesamt-Zwangskraft Zi ist daher

Zi=k=1sλkiFk.

Wenn man annimmt, dass sich die äußeren Kräfte aus einem Potential ableiten lassen, kann man die Bewegungsgleichung schreiben (Lagrange-Gleichung 1. Art):[2]

mir¨i=iV+k=1sλkiFk,i=1,,N

Die mi sind die Massen der N Punktteilchen, V ist die potentielle Energie. Dies, zusammen mit den Zwangsbedingungen Fk(r1,,rN,t)=0, sind 3N+s unabhängige Gleichungen für die 3N Koordinaten der ri sowie für die s Lagrange-Multiplikatoren λk. Somit ist die Lösung des Gleichungssystems eindeutig.

Bemerkung: Hier wurden nur holonome Zwangsbedingungen behandelt. Der Formalismus lässt sich aber auch auf Zwangsbedingungen der Form kakδqk=0 anwenden, die z. B. bei nicht-holonomen Zwangsbedingungen zwischen den Geschwindigkeiten der Teilchen folgen.[3] Diese Zwangsbedingungsgleichungen lassen sich im Gegensatz zu holonomen Zwangsbedingungen nicht als vollständiges Differential einer Funktion darstellen, das heißt, zwischen den Koeffizientenfunktionen gilt nicht aiqk=akqi.

Im Fall von holonomen Zwangsbedingungen kann man neue Koordinaten qi einführen, die diese implizit enthalten, sogenannte generalisierte Koordinaten. Mit der kinetischen Energie

T=i12mivi2=i12mi(jriqjq˙j+rit)2

und Potentialkräften

Qi=iV=Vqi

(die auch durch generalisierte Koordinaten ausgedrückt sind und dann als generalisierte Kräfte bezeichnet werden – sie haben nicht unbedingt die Dimension einer Kraft) lassen sich die Bewegungsgleichungen auch schreiben

ddtTq˙iTqi=Qi

oder mit der Lagrange-Funktion L=TV (Lagrange-Gleichung 2. Art):

ddtLq˙iLqi=0

Treten wie in diesem Fall nur aus einem Potential ableitbare Kräfte (Potentialkräfte) auf, spricht man von konservativen Kräften.

Bemerkung: Manchmal lassen sich die generalisierten Kräfte durch ein geschwindigkeitsabhängiges generalisiertes Potential V(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t) in folgender Form schreiben

Qi=Vqi+ddtVq˙i

Auch dann ergeben sich die Bewegungsgleichungen

ddtLq˙iLqi=0,

mit der Lagrange-Funktion L:

L(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)=T(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)V(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)

Das System ist dann aber nicht mehr im üblichen Sinn konservativ. Ein Beispiel ist das elektromagnetische Feld (siehe unten).

Manchmal hat man aber noch nicht-konservative Kräfte Qi, so dass sich die Gleichungen schreiben:

ddtLq˙iLqi=Qi

Ein Beispiel sind Systeme mit nicht-holonomen Zwangsbedingungen (siehe oben) oder Reibungskräften (zum Beispiel Rayleighsche Dissipationsfunktion).

Ableitung aus dem Hamiltonschen Prinzip

Die Lagrange-Gleichungen zweiter Art ergeben sich als sogenannte Euler-Lagrange-Gleichungen[4] eines Variationsproblems und liefern die Bewegungsgleichungen, wenn die Lagrange-Funktion gegeben ist. Sie folgen aus der Variation des mit der Lagrange-Funktion gebildeten Wirkungsintegrals im Hamiltonschen Prinzip. Dazu betrachtet man alle möglichen Bahnkurven q(t) im Raum der generalisierten Koordinaten zwischen festen Anfangs- und Endpunkten. Man betrachtet die Änderung des Wirkungsintegrals bei Variation der Bahnkurven

qq+δq
q˙q˙+δq˙

Das hamiltonsche Prinzip besagt, dass für die klassische Bahn das Wirkungsintegral stationär unter Variation der Bahnkurven ist:

δW=W(q+δq,q˙+δq˙,t)W(q,q˙,t)=δdtL(q,q˙,t)=dt(L(q+δq,q˙+δq˙,t)L(q,q˙,t))=!0.

Eine Näherung in erster Ordnung lautet für eine gewöhnliche Funktion f(x,y)

f(x+dx,y+dy)f+fxdx+fydy

also

df=f(x+dx,y+dy)f(x,y)=fxdx+fydy.

In erster Ordnung ergibt sich die Variation des Integrals also zu

dt(Lqδq+Lq˙δq˙)=dt(Lqδq+Lq˙ddtδq).

Nun führt man eine partielle Integration in dem Term aus, der die Ableitung nach der Zeit enthält:

t1t2dt(Lq˙ddtδq)=[Lq˙δq]t1t2t1t2dt(δqddtLq˙).

Hierbei wird benutzt, dass

δq(t1)=δq(t2)=0

ist, da Anfangs- und Endpunkt festgehalten werden. Daher gilt für die Randterme

[Lq˙δq]t1t2=0

Damit resultiert schließlich

dt(ddtLq˙+Lq)δq=!0.

Da nun δq als Faktor des gesamten Integrals auftritt und beliebig ist, kann das Integral nur dann nach dem Variationsprinzip verschwinden, wenn der Integrand selbst verschwindet. Es folgen die Lagrange-Gleichungen oder Lagrange-Gleichungen zweiter Art (die Euler-Lagrange-Gleichungen des hier betrachteten Variationsproblems):

ddtLq˙iLqi=0.

Für jede generalisierte Koordinate qi (und die zugehörige generalisierte Geschwindigkeit q˙i) gibt es eine solche Gleichung. Die Lagrange-Gleichungen bilden ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen zweiter Ordnung bezüglich der Zeitableitung. Wie viele Differentialgleichungen das im Endeffekt sind, weiß man erst, wenn die Zahl der Freiheitsgrade des Systems berechnet wurde.

Zyklische Variablen und Symmetrie

Wenn die Lagrange-Funktion L nicht von einer Koordinate q abhängt, sondern nur von der zugehörigen Geschwindigkeit q˙, dann nennt man q zyklisch, zyklische Koordinate oder zyklische Variable. Der zur zyklischen Variablen q konjugierte Impuls

p=Lq˙

ist eine Erhaltungsgröße; sein Wert ändert sich nicht während der Bewegung, wie gleich gezeigt wird: Wenn die Lagrange-Funktion nicht von q abhängt, gilt

Lq=0.

Dann folgt aber aus der Euler-Lagrange-Gleichung, dass die Zeitableitung des zugehörigen konjugierten Impulses verschwindet und er somit zeitlich konstant ist:

ddtLq˙=0,

Allgemeiner gehört nach dem Noether-Theorem zu jeder kontinuierlichen Symmetrie der Wirkung eine Erhaltungsgröße. Bei einer zyklischen Variablen ist die Wirkung invariant unter der Verschiebung von q um eine beliebige Konstante, qq+c.

Erweiterung auf Felder

In der Feldtheorie ergibt sich die Bewegungsgleichung aus dem hamiltonschen Prinzip für Felder zu

Lϕij=13xjLϕixjtLϕit=Lϕiμ(L(μϕi))=0

wobei ϕ=ϕ(x,y,z,t) das betrachtete Feld und L=L(ϕ,ϕx,ϕy,ϕz,ϕt,x,y,z,t) die Lagrange-Dichte sind.

Man kann dies in Kurzform auch schreiben als

δLδϕ0,

mit der so definierten Variationsableitung   δLδϕ:=Lϕiμ(L(μϕi)).

Hinweis: Der Lagrange-Formalismus ist auch der Ausgangspunkt vieler Formulierungen der Quantenfeldtheorie.

Relativistische Mechanik

In der relativistischen Mechanik kann die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens aus dem hamiltonschen Prinzip abgeleitet werden, indem für die Wirkung der einfachste Fall eines relativistischen Skalars angenommen wird:

S=mcabds=mc2dt1v2c2=Ldt,

wobei ds=cdτ=cdt1v2c2 das zur Eigenzeit proportionale relativistische Linienelement ist und ein konstanter Faktor (mc) gewählt wurde.

Die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens ist hier nicht mehr mit der kinetischen Energie identisch (manchmal spricht man deshalb auch von kinetischer Ergänzungsenergie T in der Lagrange-Funktion). Die relativistische kinetische Energie eines Körpers mit der Masse m und Geschwindigkeit v=x˙ ohne Zwangsbedingungen beträgt

E=mc21x˙2c2mc2,

wohingegen für die Lagrange-Funktion die kinetische Ergänzungsenergie

T(x,x˙,t)=mc21x˙2c2

maßgeblich ist. Die Lagrange-Funktion für ein Teilchen in einem Potential V ergibt sich dann zu

L(x,x˙,t)=TV=mc21x˙2c2V(x,x˙,t).

Für ein N-Teilchensystem ist die Lagrange-Funktion mit den generalisierten Koordinaten

L(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)=i=1Nm0,ic21x˙i2(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)c2V(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t),

wobei n=3Ns die Anzahl der Freiheitsgrade und s die Anzahl der holonomen Zwangsbedingungen ist.

Für kleine Geschwindigkeiten |x˙|c kann man die Wurzel bis zur ersten Ordnung entwickeln 1x=1x/2:

mc21x˙2c2=mc2+m2x˙2

Die nullte Ordnung der Entwicklung ist eine Konstante, die negative Ruheenergie. Da die Lagrange-Gleichungen invariant sind unter Addition einer Konstanten zur Lagrange-Funktion, kann man den konstanten ersten Term weglassen und man erhält wieder die klassische kinetische Energie:

L(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)=i=1Nm0,i2x˙i2(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)V(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)
L(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)=T(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)V(q1,,qn,q˙1,,q˙n,t)

Zusammenhang mit Pfadintegralen in der Quantenmechanik

Richard Feynman hat als Erster diese Herangehensweise auch konsequent für die Herleitung der Gleichungen der Quantenmechanik verwendet. In der klassischen Physik ergeben sich die oben beschriebenen Lagrange-Gleichungen aus der Forderung, dass das Wirkungsintegral stationär wird. In Feynmans Pfadintegral-Formalismus ist die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude, dass ein System zwischen Anfangs- und Endbedingungen einen bestimmten Pfad einschlägt, proportional zu eiW mit dem Wirkungsintegral W. Pfade in der Umgebung des klassischen Weges, für den die Variation von W verschwindet, liefern dabei meist die Hauptbeiträge, da sich in ihrer Umgebung die Beiträge mit fast gleichen Phasenfaktoren addieren.

Beispiele

Masse im harmonischen Potential (konservativ)

Schwingungssystem: x ist die Auslenkung aus der Gleichgewichtslage

Eine Masse m sei über zwei Federn mit Federkonstante c und festen Randbedingungen verbunden. Grundvoraussetzung zur Beschreibung des Problems im Lagrange-Formalismus ist das Aufstellen der Lagrange-Funktion, indem man die Terme für kinetische Energie T und potentielle Energie V aufstellt:

T=12mx˙2
V=12cx2

Die Lagrange-Funktion lautet daher:

L=12mx˙212cx2

Die Lagrange-Funktion wiederum wird zur analytischen Beschreibung des physikalischen Problems in die Euler-Lagrange-Gleichung eingesetzt, was dann auf Gleichungen führt, die den Bewegungsgleichungen in der Newtonschen Mechanik entsprechen. In diesem Beispiel lautet die generalisierte Koordinate x, die Euler-Lagrange-Gleichung

ddtLx˙=Lx.

Dies führt mit obigen Formeln für L auf

 ddt(mx˙)=cx

und damit auf die Bewegungsgleichung des Systems:

x¨=cmx.

Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist x(t)=Acos(ωt+φ), t ist die Zeit, ω=c/m die Kreisfrequenz. Die konstante Amplitude A und Phase φ können aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden.

Ladung im elektromagnetischen Feld (nicht-konservativ)

Eine Punktladung q mit Masse m bewege sich im elektromagnetischen Feld. Die generalisierten Koordinaten entsprechen den kartesischen Koordinaten in 3 Raumdimensionen.

Die Felder (Magnetfeld B und elektrisches Feld E) werden über das Skalarpotential ϕ und das Vektorpotential A bestimmt:

B(x,t)=×A(x,t) ,E(x,t)=A(x,t)tϕ(x,t)

Die kinetische Energie des Teilchens ist klassisch:

T(x˙)=12mx˙2

Das „Potential“ ist hier allerdings geschwindigkeitsabhängig, man spricht deshalb wie oben dargestellt von einem generalisierten Potential:

V(x,x˙,t)=q(ϕ(x,t)x˙A(x,t))

Somit ist die Lagrange-Funktion eines geladenen Teilchens im elektromagnetischen Feld:

L(x,x˙,t)=12mx˙2qϕ(x,t)+qx˙A(x,t)

Die Euler-Lagrange-Gleichung ddtx˙LxL=0 führt auf die Bewegungsgleichung, auf deren rechter Seite die Lorentzkraft steht:

mx¨=qx˙×(×A(x,t))qtA(x,t)qϕ(x,t)

Masse an Trommel (nicht-konservativ)

Datei:Aufzug lg.png
Schema eines Aufzuges

Die Achse einer Aufzugtrommel wird durch ein Drehmoment M angetrieben. Die Masse der Last beträgt m, das Massenträgheitsmoment der Trommel ist J. Der Radius der Trommel ist r.

Zwischen den Koordinaten x und φ besteht folgende Beziehung:

x=rφ

x˙=rφ˙

δx=rδφ

Die kinetische Energie ist:

T=12(mx˙2+Jφ˙2)=12(mr2+J) φ˙2

Die virtuelle Arbeit der eingeprägten Kräfte ist

δW=mgδx+Mδφ=(mgr+M)δφ

Q=mgr+M

Daraus folgt schließlich die Bewegungsgleichung

(mr2+J)φ¨=mgr+M

Die Auflösung dieser Gleichung nach der Winkelbeschleunigung ergibt

φ¨=mgr+Mmr2+J

Atwoodsche Fallmaschine (Methode erster Art)

Funktionsschema der Fallmaschine

Bei der Atwoodschen Fallmaschine betrachtet man zwei Punktmassen im Gravitationsfeld der Erde, die über eine Rolle in der Höhe h aufgehängt und durch ein Seil der Länge l verbunden seien. Die Zwangsbedingung lautet in diesem Fall:

F:=y1+y2+l2h=0

Wird das Seil berücksichtigt, das auf der Rolle (Rollenradius r) liegt, dann ergibt sich:

F:=y1+y2+l2hπ r=0

Die potentielle Energie V berechnet sich zu:

V:=m1gy1+m2gy2

Für die Gradienten erhält man

Fy1=1,Fy2=1
Vy1=m1g,Vy2=m2g

Dies führt auf das System der Lagrange-Gleichungen 1. Art:

m1y¨1=m1g+λm2y¨2=m2g+λy1+y2+l2h=0

Dies kann man auflösen und erhält z. B. für bekannte Anfangsbedingungen:

y1(t)=12m2m1m1+m2gt2+y˙1,0t+y1,0λ=2gm1m2m1+m2

Mit einem Seil verbundene Teilchen auf einer Platte mit Loch (Zweikörperproblem mit Methode 2. Art)

Die 1. Masse (m1) ist auf einer dünnen Platte durch ein Loch in der Mitte der Platte durch ein Seil mit konstanter Länge (l) mit einer 2. Masse (m2) verbunden, die sich nur in z-Richtung bewegt (die z-Achse zeige in Richtung Erdmittelpunkt).

Die Zwangsbedingungen gi lauten:

g1=z1=0;g2=x2=0;g3=y2=0;g4=x12+y12+z2l=0

Aus 4 Zwangsbedingungen bei 2 Massen im R3 ergeben sich 64=2 Freiheitsgrade. Für dieses Problem empfiehlt es sich aufgrund der Azimutalsymmetrie Zylinderkoordinaten zu verwenden. So können die generalisierten Koordinaten einfach bestimmt werden.

In Zylinderkoordinaten können die beiden generalisierten Koordinaten nun als

q1=r1=x12+y12,q2=ϕ1=arctany1x1

gewählt werden, wobei mittels der 4. Zwangsbedingung auch die Bewegung der m2 durch r1 beschrieben wird;

g4=r1+z2l=0z2=lr1

Die kinetische Energie des Systems lautet nun

Ekin=m1+m22r˙12+m12r12ϕ˙12.

Da z1=0 und sich damit nur die potentielle Energie bei der 2. Masse verändert, lautet sie

Epot=m2gr1.

Daraus folgt dann die Lagrangefunktion

L=TV=m1+m22r˙12+m12r12ϕ˙12m2gr1

Da bei dieser Problemstellung zwei generalisierte Koordinaten vorliegen, folgt jeweils eine Bewegungsgleichung für r1 und ϕ1:

Lr1=m1r1ϕ˙12m2g;ddtLr˙1=ddt(m1+m2)r˙1=(m1+m2)r¨1(m1+m2)r¨1=m1r1ϕ˙12m2g
Lϕ1=0;ddtLϕ˙1=ddtm1r12ϕ˙1=2m1r1r˙1ϕ˙1+m1r12ϕ¨12m1r1r˙1ϕ˙1+m1r12ϕ¨1=0

Aus der Gleichung für ϕ zeigt sich in der Form

ddtm1r12ϕ˙1=0

die Existenz einer Erhaltungsgröße, des Drehimpulses in z-Richtung L1z=m1r12ϕ˙1, der nach dem Noether-Theorem aus der Unabhängigkeit der Lagrangefunktion von der Variablen q2=ϕ1 folgt.

Teilchen im freien Fall (allgemeine Relativitätstheorie)

In der allgemeinen Relativitätstheorie durchlaufen frei fallende Teilchen Weltlinien längster Zeit: Zwischen zwei (genügend nah beieinander liegenden) Ereignissen A und B vergeht auf einer mitgeführten Uhr auf der Weltlinie frei fallender Teilchen mehr Zeit als auf allen anderen Weltlinien durch diese Ereignisse. Sei s ein entlang des Pfades monoton wachsender Laufparameter, so ergibt sich die verstrichene Zeit zu

τAB=ssL(s,x(s),dxds)ds , x(s)=A, x(s)=B,

mit der Lagrange-Funktion

L(s,x,x˙)=gmn(x)x˙mx˙n.

Dabei sind gmn(x) die Komponentenfunktionen der Metrik (sowohl Raum- als auch Zeitkomponenten). Wir rechnen einfachheitshalber in Maßsystemen, in denen die Lichtgeschwindigkeit dimensionslos ist und den Wert c=1 hat, und verwenden die Einsteinsche Summenkonvention.

Der zu xk konjugierte Impuls ist

Lx˙k=gklx˙lgmnx˙mx˙n

und die Euler-Lagrange-Gleichungen lauten

0=ddsgklx˙lgmnx˙mx˙n12kgrsx˙rx˙sgmnx˙mx˙n
=gklddsx˙lgmnx˙mx˙n+x˙rrgksx˙sgmnx˙mx˙n12kgrsx˙rx˙sgmnx˙mx˙n.

Verwenden wir hier als Abkürzung das Christoffel-Symbol

Γrsl=12glm(rgsm+sgrmmgrs),

so erweist sich die Weltlinie längster Dauer als Gerade: Die Richtung der Tangente an die Weltlinie

ul=x˙lgmnx˙mx˙n

ändert sich nicht bei Parallelverschiebung längs der Weltlinie

0=gkl(ddsul+x˙rΓrslus).

Die Parametrisierung wird nicht festgelegt. Verfügen wir so über sie, dass der Tangentialvektor überall gleich lang ist, dann ist gmnx˙mx˙n konstant und der Tangentialvektor geht beim Durchlaufen der Weltlinie in sich über. Sie erfüllt die Geodätengleichung

0=d2xlds2+Γrsl(x)dxrdsdxsds.

Dies ist die allgemein-relativistische Form der Bewegungsgleichung eines frei fallenden Teilchens. Die Gravitation ist in den Γrsl voll berücksichtigt.

Literatur

Der Lagrange-Formalismus wird in vielen ein- und weiterführenden Lehrbüchern der klassischen Mechanik behandelt.

  • Josef Honerkamp, Hartmann Römer: Klassische Theoretische Physik. 3. Auflage. Springer, 1993, ISBN 3-540-55901-9. (Volltext hier erhältlich)
  • Herbert Goldstein, Charles P. Poole, John L. Safko: Klassische Mechanik. 3. Auflage. Wiley-VCH, 2006, ISBN 3-527-40589-5.
  • Cornelius Lanczos: The Variational Principles of Mechanics. 4. Auflage. Dover Publ. Inc, 1986, ISBN 0-486-65067-7.
  • Friedhelm Kuypers: Klassische Mechanik. 8. Auflage. Wiley-Vch, 2008, ISBN 3-527-40721-9.

Literatur zu Pfadintegralen.

  • Hagen Kleinert: Pfadintegrale in Quantenmechanik, Statistik und Polymerphysik. Spektrum, Mannheim 1993, ISBN 3-86025-613-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Landau, Lifschitz: Lehrbuch der theoretischen Physik I – Mechanik. Akademie-Verlag Berlin 1987, S. 156.
  2. Zum Beispiel Hamel Theoretische Mechanik, Springer Verlag 1967, S. 281.
  3. Die realen anholonomen Zwangsbedingungen wären kakdqk+atdt=0. Das Zeitdifferential dt verschwindet per definitionem bei den zugehörigen sog. virtuellen Verschiebungen δqk
  4. Siehe Variationsrechnung. Dort ergeben sich die Euler-Lagrange-Gleichungen aus der Variation eines Funktionals. In der Mechanik ist das betrachtete Funktional die Wirkungsfunktion und man spricht von Lagrange-Gleichung.