Verschränkte Quantenschaltkreise

Verschränkte Quantenschaltkreise


ETH-Forschenden gelang der Nachweis, dass weit entfernte, quantenmechanische Objekte viel stärker miteinander korreliert sein können als dies bei klassischen Systemen möglich ist. Für dieses Experiment nutzten sie erstmals supraleitende Schaltkreise.

Es ist eine weitere Bestätigung der Quantenmechanik: Eine Forschergruppe um Andreas Wallraff, ETH-Professor für Festkörperphysik, konnte mit einem sogenannten schlupflochfreien Bell-Test das Konzept der «lokalen Kausalität» widerlegen, das von Albert Einstein als Antwort auf die Quantenmechanik formuliert wurde.


Teilabschnitt der 30 Meter langen Quantenverbindung zwischen zwei supraleitenden Schaltkreisen. Die Vakuumröhre (Mitte) beinhaltet einen Mikrowellen-Wellenleiter, der auf rund -273˚C gekühlt ist und die beiden Quanten-Schaltungen verbindet.

Publikation:


Storz S et.al.
Loophole-free Bell inequality violation with superconducting circuits
Nature (2023)

DOI: 10.1038/s41586-023-05885-0



Sie konnten damit nachweisen, dass weit entfernte, quantenmechanische Objekte viel stärker miteinander korreliert sein können, als dies bei klassischen Systemen möglich ist. Das Besondere daran: Den Zürcher Forschenden gelang dieses Experiment zum ersten Mal mit supraleitenden Schaltkreisen. Diese gelten als heisse Kandidaten für den Bau von leistungsfähigen Quantencomputern.

Ein alter Streit

Ein Bell-Test basiert auf einer Versuchsanordnung, die vom britischen Physiker John Bell in den 1960er-Jahren zunächst als Gedankenexperiment erdacht wurde. Bell wollte damit eine Frage klären, über die bereits in den 1930er-Jahren die damaligen Grössen der Physik gestritten haben: Stimmen die Voraussagen der Quantenmechanik, die der Alltagsintuition völlig zuwider laufen, oder gelten im atomaren Mikrokosmos ebenfalls die klassischen Vorstellungen von Kausalität, wie Albert Einstein überzeugt war?

Um diese Frage zu beantworten, schlug Bell vor, an zwei verschränkten Teilchen gleichzeitig eine zufällige Messung durchzuführen und diese anhand der Bell’schen Ungleichung zu überprüfen. Stimmt Einsteins Konzept der lokalen Kausalität, dann wird die Bell’sche Ungleichung bei diesen Experimenten immer erfüllt. Im Gegensatz dazu sagt die Quantenmechanik voraus, dass die Ungleichung verletzt wird.

Die letzten Zweifel ausgeräumt

Anfang der 1970er-Jahre führten John Francis Clauser, der letztes Jahr mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde, und Stuart Freedman erstmals konkret einen Bell-Test durch. In ihren Experimenten konnten die beiden nachweisen, dass die Bell’sche Ungleichung tatsächlich verletzt wird. Allerdings mussten Clauser und Freedman bei ihren Experimenten gewisse Annahmen machen, damit sie die Versuche überhaupt durchführen konnten. Es hätte theoretisch also immer noch sein können, dass Einstein mit seiner Skepsis gegenüber der Quantenmechanik richtig lag.

Im Laufe der Zeit konnten dann immer mehr dieser sogenannten Schlupflöcher geschlossen werden, bis es schliesslich 2015 verschiedenen Gruppen gelang, die ersten wirklich schlupflochfeien Bell-Tests durchzuführen und damit die alte Streitfrage endgültig zu klären.

Vielversprechende Anwendungen

Wallraffs Gruppe kann diese Ergebnisse nun mit einem neuartigen Experiment bestätigen. Die von den ETH-Forschenden in der renommierten Fachzeitschrift «Nature» veröffentlichte Arbeit zeigt, dass das Thema trotz der erstmaligen Bestätigung vor sieben Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Das hat mehrere Gründe: Zum einen bestätigt das Experiment der ETH-Forschenden, dass supraleitende Schaltkreise ebenfalls nach den Gesetzen der Quantenmechanik funktionieren, obwohl sie im Vergleich zu mikroskopischen Quantenobjekten wie Photonen oder Ionen eine beachtliche Grösse haben. Die mehrere hundert Mikrometer grossen elektronischen Schaltkreise, die aus supraleitenden Materialien bestehen und bei Mikrowellenfrequenzen betrieben werden, werden auch als makroskopische Quantenobjekte bezeichnet.

Zum anderen haben Bell-Tests auch eine praktische Bedeutung. «Mit abgeänderten Bell-Tests kann man beispielsweise in der Kryptographie demonstrieren, dass Informationen tatsächlich verschlüsselt übermittelt werden», erklärt Simon Storz, Doktorand in Wallraffs Gruppe. «Mit unserem Ansatz können wir viel effizienter nachweisen, dass die Bell’sche Ungleichung verletzt wird, als dies bei anderen Versuchsanordnungen möglich ist. Das macht unseren Ansatz für praktische Anwendungen besonders interessant.»

Die Suche nach dem Kompromiss

Allerdings benötigen die Forschenden dazu eine aufwendige Versuchsanlage. Damit der Bell-Test tatsächlich schlupflochfrei ist, müssen die Forschenden nämlich sicherstellen, dass vor dem Abschluss der Quantenmessungen keinerlei Informationen zwischen den beiden verschränkten Schaltkreisen ausgetauscht werden kann. Da Informationen höchstens mit Lichtgeschwindigkeit übermittelt werden können, muss die Messung deshalb weniger Zeit benötigen als ein Lichtteilchen braucht, um von einem Schaltkreis zum anderen zu gelangen.

Beim Aufbau des Experimentes gilt es also, einen Kompromiss zu finden: Je grösser die Distanz zwischen den beiden supraleitenden Schaltkreisen, desto mehr Zeit steht für die Messung zur Verfügung – und desto aufwändiger wird die Versuchsanordnung. Denn das ganze Experiment muss im Vakuum nahe dem absoluten Nullpunkt durchgeführt werden.

Die kürzeste Distanz zur erfolgreichen Durchführung ihres schlupflochfeien Bell-Tests, so haben die ETH-Forschenden ermittelt, beträgt etwa 33 Meter: Ein Lichtteilchen benötigt im Vakuum rund 110 Nanosekunden, um diese Distanz zu überwinden. Das ist ein paar Nanosekunden mehr, als die Forschenden für die Durchführung des Experiments benötigt haben.

30 Meter Vakuum

Wallraffs Team hat in einem der unterirdischen Gänge des ETH-Campus eine eindrückliche Anlage aufgebaut. An beiden Enden steht jeweils ein Kryostat, in dem sich ein supraleitender Schaltkreis befindet. Die beiden Kühlapparaturen sind über eine 30 Meter lange Röhre miteinander verbunden, deren Innerstes auf eine Temperatur knapp über dem absoluten Nullpunkt (−273,15 Grad Celsius) abgekühlt wurde.


Das Kernteam des Experiments vom Quantum Device Laboratory an der ETH Zürich. v.l.n.r: Anatoly Kulikov, Simon Storz, Andreas Wallraff, Josua Schär, Janis Lütolf.

Vor Beginn jeder Messung wird von einem der beiden supraleitenden Schaltkreise aus ein Mikrowellen-Photon zum anderen übermittelt, so dass die beiden Schaltkreise fortan verschränkt sind. Zufallsgeneratoren entscheiden dann, welche Messungen an den beiden Schaltkreisen im Rahmen des Bell-Tests durchgeführt werden. In einem nächsten Schritt werden die Messergebnisse auf beiden Seiten miteinander verglichen.

Grossräumige Verschränkung

Die Auswertung von mehr als einer Million Messungen zeigt, dass die Bell’sche Ungleichung bei dieser Versuchsanordnung mit einer sehr hohen statistischen Sicherheit verletzt wird. Damit konnten die Forscher also bestätigen, dass die Quantenmechanik auch bei makroskopischen elektrischen Schaltungen sogenannte nicht-lokale Korrelationen zulässt. Supraleitende Schaltkreise lassen sich demnach auch über eine grosse Distanz miteinander verschränken. Das eröffnet interessante Anwendungsmöglichkeiten im Bereich verteiltes Quantencomputing und Quantenkryptographie.

Der Bau und Test der Anlage, so räumt Wallraff ein, war eine Herausforderung. «Wir konnten das Projekt über sechs Jahre mit den Mitteln eines ERC-Advanced Grants finanzieren», erklärt er. Allein der Aufwand, die gesamte Versuchsanordnung auf eine Temperatur nahe beim absoluten Nullpunkt zu kühlen, ist beträchtlich. «In unserer Maschine sind 1,3 Tonnen Kupfer und 14'000 Schrauben verbaut», erklärt Wallraff. «Da steckt nicht nur viel physikalisches Wissen drin, sondern auch viel Knowhow der Ingenieure.» Im Prinzip könnte man auf gleiche Weise auch Anlagen bauen, die noch grössere Distanzen überwinden, ist Wallraff überzeugt. Das wäre zum Beispiel interessant, um weit voneinander entfernte supraleitende Quantencomputer miteinander zu verbinden.


Diese Newsmeldung wurde mit Material Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt







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