Elektrisierte Wassertropfen
Physik-News vom 14.04.2022
Etwas so einfaches wie die Bewegung von Wassertropfen auf Oberflächen sollte eigentlich verstanden sein – würde man mutmaßen. De facto gibt es aber bisher noch zahlreiche offene Fragen zu den Kräften, die auf einen gleitenden Tropfen wirken. Ein Forscherteam fand nun heraus: Neben der Oberflächenenergie und der viskosen Reibung innerhalb des Tropfens spielt auch die Elektrostatik eine bedeutende Rolle.
Der Regen prasselt auf die Autoscheibe, der Fahrtwind drückt die Tropfen zur Seite. Doch wie genau sich die Tropfen auf der Scheibe bewegen konnte bislang niemand präzise vorhersagen. Dabei ist ein solches Verständnis in zahlreichen Bereichen wichtig, etwa für das autonomen Fahren: So sollen beispielsweise in die Windschutzscheibe eingebaute Kameras die Straße und die Verkehrssituation im Blick behalten – die Oberfläche der Scheibe muss dafür so gestaltet sein, dass die Tropfen vollständig vom Fahrtwind heruntergeblasen werden und die Sicht auch bei Regen frei bleibt. Andere Beispiele mit umgekehrtem Vorzeichen sind Anwendungen, bei denen Tropfen auf Oberflächen haften bleiben müssen, z.B. beim Aufbringen von Sprühfarbe oder bei Pflanzenschutzmitteln.
Publikation:
Li, X., Bista, P., Stetten, A.Z. et al.
Spontaneous charging affects the motion of sliding drops
Nat. Phys. (2022)
DOI: 10.1038/s41567-022-01563-6
„Bis jetzt ging man davon aus, dass die Oberflächenbeschichtung dafür verantwortlich ist, wie sich der Tropfen auf einer Fläche bewegt – also die ersten paar Moleküllagen“, sagt Prof. Hans-Jürgen Butt, der als Direktor den Arbeitskreis „Physik der Grenzflächen“ am Max-Planck-Institut für Polymerforschung leitet. So hängt es beispielsweise von der Oberfläche ab, ob sich eine kugelige oder eine flache Tropfenform ausbildet. Mag der Tropfen die Oberfläche, presst er sich platt auf sie, um möglichst viel Kontakt zu haben. Behagt ihm die Oberfläche nicht, wie z. B. beim bekannten Lotuseffekt, kugelt er sich zusammen. Auch war klar: Bewegt sich ein Tropfen, tritt viskose Reibung – also Reibung zwischen den einzelnen Wassermolekülen - innerhalb des Tropfens auf, die dessen Fortbewegung ebenfalls beeinflusst.
Elektrostatik verursacht Unterschiede in der Geschwindigkeit
Doch, so stellte ein Forscherteam am MPI für Polymerforschung fest: Weder die Kapillarkraft noch die viskoelastische Kraft können die Unterschiede in der Geschwindigkeit erklären, mit der sich Tropfen über verschiedene Oberflächen bewegen. Fragen warf insbesondere die Tatsache auf, dass die Tropfen auf unterschiedlichen Substraten unterschiedlich schnell laufen – auch dann, wenn diese mit der gleichen Beschichtung überzogen wurden und es somit eigentlich keinen Unterschied geben sollte.
Die Forscher führten daher zunächst eine mysteriöse „Extrakraft“ ein. Um ihr auf die Spur zu kommen, veranstaltete Xiaomei Li, Doktorandin im Arbeitskreis von Hans-Jürgen Butt, eine Art Tropfenrennen. „Ich habe die Tropfen auf verschiedenen Substraten gefilmt, aus ihrer Bewegung Geschwindigkeitsprofile und Beschleunigungsprofile erstellt, die bereits bekannten Kräfte herausgerechnet und daraus wiederum die Kraft kalkuliert, die wir bislang noch nicht im Blick hatten“, erklärt sie.
Das erstaunliche Ergebnis: Die berechnete Kraft stimmt mit einer elektrostatischen Kraft überein, die die Forscher in einem Modell vor einigen Jahren erstmals beschrieben haben. „Indem wir die experimentellen Ergebnisse mit diesem numerischen Modell vergleichen, können wir zuvor verwirrende Tropfenbahnen erklären“, sagt Jun.-Prof. Stefan Weber, der als Gruppenleiter in Butts Arbeitskreis arbeitet.
Rutschen zuvor neutrale Tröpfchen über einen Isolator, können sie sich elektrisch aufladen: Die Elektrostatik spielt dort also eine bedeutende Rolle. Auf einem elektrisch leitenden Substrat dagegen gibt der Tropfen seine Ladung umgehend wieder an das Substrat ab. „Die elektrostatische Kraft, die zuvor niemand im Blick hatte, hat also einen großen Einfluss: Sie muss für Wasser, wässrige Elektrolyte und Ethylenglykol auf allen getesteten hydrophoben Oberflächen berücksichtigt werden“, fasst Weber zusammen. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forscherteam nun im Magazin Nature Physics. Sie werden die Kontrolle der Tropfenbewegung in vielen Anwendungen verbessern angefangen vom Drucken über die Mikrofluidik oder das Wassermanagement bis hin zur Stromerzeugung über Tröpfchen-basierten Minigeneratoren.
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.