Ein Kristall aus Elektronen

Ein Kristall aus Elektronen



Physik-News vom 01.07.2021

Forschenden der ETH Zürich ist die Beobachtung eines Kristalls gelungen, der nur aus Elektronen besteht. Solche Wigner-​Kristalle wurden bereits vor fast neunzig Jahren vorhergesagt, konnten aber erst jetzt direkt in einem Halbleitermaterial beobachtet werden.

Kristalle faszinieren die Menschen seit jeher. Wer hätte nicht schon einmal die komplexen Muster einer Schneeflocke oder die perfekt symmetrischen Oberflächen eines Bergkristalls bestaunt? Der Zauber hört auch dann nicht auf, wenn man weiss, dass sich all dies aus einem simplen Zusammenspiel von Anziehung und Abstossung zwischen Atomen und Elektronen ergibt. Forschende unter Leitung von Ataç Imamoğlu, Professor am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich, haben nun einen ganz besonderen Kristall hergestellt. Im Gegensatz zu normalen Kristallen besteht er ausschliesslich aus Elektronen. Damit haben sie eine theoretische Vorhersage bestätigt, die vor fast neunzig Jahren gemacht wurde und seitdem als eine Art heiliger Gral der Festkörperphysik gilt. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.


Ein Wigner-​Kristall aus Elektronen (rot) in einem Halbleitermaterial (blau/grau).

Publikation:


Smoleński T, Dolgirev PE, Kuhlenkamp C et al.
Signatures of Wigner crystal of electrons in a monolayer semiconductor
Nature 595, 53–57 (2021)

DOI: 10.1038/s41586-​021-03590-4



Jahrzehntealte Vorhersage

„Was uns für dieses Problem begeistert hat, ist seine Einfachheit“, sagt Imamoğlu. Bereits 1934 zeigte Eugene Wigner, einer der Mitbegründer der Theorie der Symmetrien in der Quantenmechanik, dass die Elektronen eines Materials sich theoretisch aufgrund ihrer gegenseitigen elektrischen Abstossung unter bestimmten Voraussetzungen in regelmässigen, kristallförmigen Mustern anordnen können. Die Überlegung ist recht einfach: Ist die elektrische Abstossungsenergie zwischen den Elektronen grösser als ihre Bewegungsenergie, so ordnen sie sich derart an, dass ihre gesamte Energie so gering wie möglich ist.

Über mehrere Jahrzehnte blieb diese Voraussage allerdings reine Theorie, da sich solche „Wigner-​Kristalle“ nur unter extremen Bedingungen, wie etwa tiefen Temperaturen und einer sehr kleinen Zahl freier Elektronen im Material, bilden können. Das liegt unter anderem daran, dass Elektronen viele Tausend Mal leichter sind als Atome und daher ihre Bewegungsenergie in einer regelmässigen Anordnung normalerweise viel grösser ist als die elektrostatische Energie aufgrund der Wechselwirkung zwischen den Elektronen.

Elektronen in einer Ebene

Um diese Hindernisse zu überwinden, wählten Imamoğlu und seine Mitarbeiter eine hauchdünne Schicht des Halbleitermaterials Molybdän-​Diselenid, die gerade mal ein Atom dick ist und in dem sich Elektronen daher nur in einer Ebene bewegen können. Die Zahl der freien Elektronen konnten die Forschenden durch Anlegen einer elektrischen Spannung an zwei durchsichtigen Graphen-​Elektroden verändern, zwischen denen der Halbleiter eingebettet ist. Die elektrischen Eigenschaften von Molybdän-​Diselenid sollte theoretischen Überlegungen zufolge das Entstehen eines Wigner-​Kristalls begünstigen - vorausgesetzt, der ganze Apparat wird auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius abgekühlt.

Doch einen Wigner-​Kristall nur herzustellen reicht noch nicht. „Das nächste Problem war nachzuweisen, dass wir tatsächlich Wigner-​Kristalle in unserem Apparat hatten“, erklärt Tomasz Smoleński, Erstautor der Studie und Postdoktorand in Imamoğlus Labor. Der errechnete Abstand zwischen den Elektronen des Wigner-​Kristalls sollte nämlich um die 20 Nanometer liegen – also etwa dreissig Mal kleiner als die Wellenlänge von sichtbarem Licht und damit selbst für die besten Mikroskope unauflösbar.

Nachweis über Exzitonen

Mit einem Kniff gelang es den Physikern, die regelmässige Anordnung der Elektronen trotz dieses geringen Abstands im Kristallgitter sichtbar zu machen. Dazu regten sie mit Licht einer bestimmten Frequenz so genannte Exzitonen, in der Halbleiterschicht an, also Paare aus Elektronen und „Löchern“, die durch ein fehlendes Elektron in einem Energieniveau des Materials entstehen. Die genaue Lichtfrequenz für die Bildung solcher Exzitonen und die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegen, hängen sowohl von den Eigenschaften des Materials ab als auch von der Wechselwirkung mit anderen Elektronen im Material – wie zum Beispiel mit einem Wigner-​Kristall.

Die periodische Anordnung der Kristall-​Elektronen führt dabei zu einem Effekt, den man manchmal auch im Fernsehen beobachten kann. Fährt ein Fahrrad oder Auto immer schneller, so scheinen die Räder ab einer bestimmten Geschwindigkeit stillzustehen und sich dann in die umgekehrte Richtung zu drehen. Das liegt daran, dass die Kamera alle 40 Millisekunden einen Schnappschuss des Rades macht. Haben sich die regelmässig angeordneten Speichen des Rads in dieser Zeit um genau einen Speichenabstand bewegt, so dreht sich das Rad scheinbar nicht mehr. Auf ganz ähnliche Weise scheinen die wandernden Exzitonen stillzustehen, wenn ein Wigner-​Kristall im Material vorhanden ist und sie sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit fortbewegen, die vom Abstand der Elektronen im Kristallgitter abhängt.

Erste direkte Beobachtung

„Eine Gruppe theoretischer Physiker um Eugene Demler von der Harvard Universität, der dieses Jahr an die ETH wechselt, hatte theoretisch berechnet, wie sich dieser Effekt in den beobachteten Lichtfrequenzen der Exzitonen zeigen sollte – und genau das haben wir auch im Labor gesehen“, sagt Imamoğlu. Im Gegensatz zu früheren Experimenten mit planaren Halbleitern, in denen Wigner-​Kristalle indirekt über Strommessungen beobachtet wurden, ist dies ein direkter Nachweis der regelmässigen Anordnung der Elektronen im Kristall. Mit ihrer neuen Methode hoffen Imamoğlu und seine Kollegen, in Zukunft genauer zu untersuchen, wie sich Wigner-​Kristalle aus einer ungeordneten Elektronen-​„Flüssigkeit“ bilden.


Diese Newsmeldung wurde mit Material Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.






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