Durchbruch bei der Suche nach langsam schwingenden Gravitationswellen

Durchbruch bei der Suche nach langsam schwingenden Gravitationswellen



Physik-News vom 30.06.2023

Astrophysikerinnen und Astrophysiker haben erstmals überzeugende Hinweise auf die Existenz von Gravitationswellen gefunden, die mit Perioden von Jahren bis Jahrzehnten schwingen. Dazu werteten die Forscher Daten des „North American Nanohertz Observatory for Gravitational Waves“ aus. An einem von insgesamt fünf aktuellen Forschungsartikeln sind Prof. Dr. Kai Schmitz von der Universität Münster und Dr. Andrea Mitridate von DESY in Hamburg beteiligt. Diese Publikation beschäftigt sich mit der Hypothese, dass NANOGrav Gravitationswellen sieht, die im Urknall erzeugt wurden.

„Dies ist ein wichtiger Beleg für Gravitationswellen bei sehr niedrigen Frequenzen“, betont Dr. Stephen Taylor von der Vanderbilt University, der die Suche mit geleitet hat und derzeit der Kollaboration vorsitzt. „Nach jahrelanger Arbeit öffnet NANOGrav ein neues Fenster zum Gravitationswellen-Universum.“


Die künstlerische Darstellung zeigt, wie eine Reihe von Pulsaren von Gravitationswellen beeinflusst werden, die von einem Paar supermassiver Schwarzer Löcher aus einer entfernten Galaxie stammen.

Publikation:


Adeela Afzal et al. / The NANOGrav Collaboration
The NANOGrav 15-year Data Set: Search for Signals from New Physics
The Astrophysical Journal Letters (2023)

DOI: 10.3847/2041-8213/acdc91



Das NANOGrav-Konsortium, ein Zusammenschluss von mehr als 190 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, beobachtet Pulsare in unserer Galaxie mit großen Radioteleskopen und sucht dabei nach Gravitationswellen. Ein Pulsar ist der extrem dichte Überrest des Kerns eines massereichen Sterns nach dessen Lebensende in einer Supernova-Explosion. Pulsare drehen sich schnell und senden Strahlen von Radiowellen durch den Weltraum, sodass sie von der Erde aus gesehen zu pulsieren scheinen.

„Wenn der Pulsar richtig orientiert ist, lässt sich dieses sehr regelmäßige Signal von der Erde aus messen. Man kann den Effekt mit dem Lichtkegel eines Leuchtturms vergleichen, der in einem bestimmten Takt aufblitzt – nur dass Pulsare viel schneller blinken; im Falle der von NANOGrav beobachteten Pulsare sogar im Millisekundentakt“, veranschaulicht Prof. Dr. Kai Schmitz, Juniorprofessor am Institut für Theoretische Physik der Universität Münster, der dem NANOGrav-Konsortium angehört.



Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt genau voraus, wie Gravitationswellen Pulsarsignale beeinflussen sollten. Durch die Dehnung und Stauchung der Raumstruktur beeinflussen die Gravitationswellen die Ankunftszeit jedes Pulses auf eine kleine, aber vorhersehbare Weise, indem sie einige Pulse verzögern und andere früher die Erde erreichen lassen. Abweichungen nach einem bestimmten Muster, das sich auf langsam wogende (niederfrequente) Gravitationswellen zurückführen lässt, zeichnen sich nun in den Daten von 68 beobachteten Pulsaren ab, die das Konsortium in 15 Jahren Forschungsarbeit zusammengetragen hat. Frühere Ergebnisse von NANOGrav hatten zwar bereits ein rätselhaftes Signal in den gemessenen Zeitreihen enthüllt, das allen beobachteten Pulsaren gemeinsam war. Es war aber zu schwach, um daraus Rückschlüsse über seinen Ursprung zu ziehen.

Der jüngste Datensatz von NANOGrav zeigt nun zunehmend klare Hinweise auf Gravitationswellen mit Perioden von Jahren bis Jahrzehnten. Diese Wellen könnten von umkreisenden Paaren der massereichsten Schwarzen Löcher im gesamten Universum ausgehen: Sie sind Milliarden Mal massereicher als die Sonne und größer als der Abstand zwischen Erde und Sonne. Aus der Überlagerung der Signale vieler einzelner Schwarzlochpaare ergibt sich ein diffuses Gravitationswellen-Hintergrundrauschen. Zukünftige Studien dieses Signals werden ein neues Fenster zum Gravitationswellen-Universum öffnen und unter anderem Einblicke in die Verschmelzung gigantischer Schwarzer Löcher in fernen Galaxien gewähren.

Im Gegensatz zu den niederfrequenten Gravitationswellen, die nur mit Pulsaren detektiert werden können, können flüchtige hochfrequente Gravitationswellen von bodengestützten Instrumenten wie LIGO (Laser Interferometer Gravitational-wave Observatory) beobachtet werden. Für die erste direkte Messung von hochfrequenten Gravitationswellen mit dem LIGO-Detektor im Jahr 2015 erhielten Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne 2017 den Nobelpreis für Physik. Die neuen NANOGrav-Ergebnisse erschließen nun ein neues Frequenzband im Gravitationswellenspektrum, das in Relation zum LIGO-Frequenzband steht, wie etwa langwellige Radiowellen im elektromagnetischen Spektrum in Relation zu sichtbarem Licht stehen. Zudem ist NANOGrav keinen flüchtigen Gravitationswellen auf der Spur, sondern einem kontinuierlichen Hintergrundrauschen, das die Erde permanent und aus allen Richtungen erreicht.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse von NANOGrav ist mit Gravitationswellen-Forschungsteams aus der ganzen Welt abgestimmt, die am 29. Juni ebenfalls jeweils neue Ergebnisse präsentieren. Neben NANOGrav sind dies weitere sogenannte Pulsar-Timing-Array-Konsortien aus Australien, China, Europa, und Indien, die zusammen im International Pulsar Timing Array (IPTA) organisiert sind.

Das von NANOGrav gesehene Signal könnte auch einen kosmologischen Beitrag in Form von Gravitationswellen aus dem frühen Universum erhalten. Diese Hypothese wird in einer der fünf nun veröffentlichten Studien im Detail untersucht, die Kai Schmitz mit Dr. Andrea Mitridate, Postdoktorand bei DESY in Hamburg, leitete.

„In unserer Arbeit“, führt Andrea Mitridate aus, „nehmen wir die Möglichkeit unter die Lupe, dass NANOGrav im Urknall erzeugte Gravitationswellen sieht – anstelle eines Signals astrophysikalischen Ursprungs, das von gigantischen Schwarzen Löchern ausgesendet wird, die einander im Zentrum von Galaxien umkreisen.“ Ein solcher Ur-Gravitationswellenhintergrund sollte als Gravitationspendant zum kosmischen Mikrowellenhintergrund – dem in den 1960er Jahren entdeckten „Nachglühen“ des Urknalls – angesehen werden.

„Viele Theorien zu neuer Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik sagen die Entstehung von Gravitationswellen im Urknall voraus, darunter Phänomene wie kosmische Inflation, kosmologische Phasenübergänge oder sogenannte kosmische Strings“, erklärt Kai Schmitz. Andrea Mitridate ergänzt: „In diesem Sinne ermöglichen uns die NANOGrav-Daten, Modelle neuer Physik bei Energien zu untersuchen, die in Laborexperimenten auf der Erde unerreichbar sind." Es bedarf jedoch weiterer Untersuchungen, um festzustellen, ob sich letztlich die astrophysikalische Interpretation in Form von Doppelsystemen aus extrem massereichen Schwarzen Löchern oder die kosmologische Interpretation in Form von Gravitationswellen aus dem Urknall durchsetzen wird.



Diese Newsmeldung wurde mit Material der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.






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