Fusionsenergie ist im Zusammenhang der Forschungspolitik die großtechnische Nutzung der Kernfusion zur Stromerzeugung. Die Aussicht auf eine praktisch unerschöpfliche[1] Energiequelle, die Hoffnung auf eine Technik ohne das Risiko katastrophaler Störfälle[2] und ohne die Notwendigkeit der Endlagerung langlebiger radioaktiver Abfälle[3] ist die Motivation für langfristige, internationale Forschungsaktivitäten.
Das zurzeit aufwendigste und teuerste Projekt ist der internationale Forschungsreaktor ITER. Mit dem Reaktor, der seit 2007 in Südfrankreich errichtet wird, kann frühestens ab 2026[4] untersucht werden, ob ein Energieüberschuss – d. h., es wird mehr Fusionsleistung erzeugt als an Energiezufuhr benötigt wird – technisch realisierbar ist. Der nächste Schritt könnte das Projekt DEMO sein, mit dem gezeigt werden soll, dass Stromerzeugung durch Kernfusion prinzipiell möglich ist und eine genügend große Menge des Brennstoffs Tritium im Kraftwerk selbst erzeugt werden kann.[5] Falls diese Forschungsarbeiten erfolgreich verlaufen sollten, könnten Anlagen in wirtschaftlicher Größe mit einer elektrischen Leistung von 1000 bis 1500 MW[6] nach heutigem Kenntnisstand im letzten Viertel des 21. Jahrhunderts errichtet werden.[7][8]
Das technisch am weitesten fortgeschrittene Konzept ist das des Tokamaks. Eine Schwierigkeit stellen Plasmainstabilitäten, so genannte Disruptionen und am Rand lokalisierte Moden (ELM), dar. An Mechanismen zu ihrer Unterdrückung (z. B. durch resonante magnetische Störungen) wird gegenwärtig intensiv geforscht. Aufgrund des induktiv erzeugten Plasmastroms muss ein Tokamak in seiner Standardversion (d. h. ohne Stromtrieb) gepulst betrieben werden. Das Konzept des Stellarators hat weniger inhärente Probleme mit der Stabilität und ist zusätzlich zum Dauerstrichbetrieb fähig. Ob das erste Fusionskraftwerk (DEMO) als Tokamak oder Stellarator gebaut werden soll, ist bisher noch nicht entschieden.
Ein wichtiges Maß für den Fortschritt der Fusionsforschung ist das sogenannte Tripelprodukt. Es muss einen durch das Lawson-Kriterium gegebenen Wert überschreiten, damit ein Reaktor funktioniert, d. h. damit das Plasma zündet. Seit dem Beginn der Fusionsforschung in den 1960er Jahren konnte der Wert des Tripelprodukts ca. um das 10.000-fache gesteigert werden, so dass man Anfang 2016 nur noch mit einem Faktor zwischen sieben und zehn von der Zündung entfernt ist. JET erreichte 1997 kurzzeitig (für weniger als 200 Millisekunden) 16 MW Fusionsleistung bei 24 MW eingekoppelter Heizleistung. Der größere Tokamak namens ITER soll für 1000 Sekunden 500 MW Fusionsleistung bei 50 MW Heizleistung demonstrieren. Damit wäre die technische Machbarkeit eines Q-Faktors (definiert als das Verhältnis von Fusionsleistung zu Heizleistung) von zehn gezeigt.
Prognosen über Strom liefernde Reaktoren liegen seit Jahrzehnten jeweils etwa 30 bis 50 Jahre in der Zukunft. Von manchen Kritikern wird diese Zeitspanne spöttisch als „Fusionskonstante“ bezeichnet.[9] Dass die Prognosen zu optimistisch waren, hat mehrere Ursachen: Der an sich einfache Prozess der Verschmelzung zweier Atomkerne ist in ein komplexes plasmaphysikalisches Umfeld eingebunden, das erst verstanden und beherrscht werden muss. Auch in der praktischen Umsetzung ergaben sich neuartige Herausforderungen technologischer und materialtechnischer Art, da zum Beispiel Temperaturen über 100 Millionen Grad erreicht werden müssen. Finanzierung, Bau und Betrieb der Großanlagen verzögern sich oft aus politischen Gründen, insbesondere angesichts der Kosten beim Projekt ITER.
Ende April 2016 verkündete das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, die bisherigen Experimente und weitere Untersuchungen hätten gezeigt, dass der Dauerbetrieb eines Tokamak technisch machbar ist. Damit seien auch die „Bedingungen für ITER und DEMO nahezu erfüllt“.[10]
Auch wenn Fusionskraftwerke technisch machbar sein sollten, heißt dies nicht, dass sie auch wirtschaftlich betrieben werden können. Im Sachstandsbericht des deutschen Bundestages von 2002 heißt es: „Insgesamt ist daher umstritten, ob auf DEMO bereits Fusionskraftwerke folgen, die wirtschaftlich konkurrenzfähig betrieben werden können. Möglicherweise werden Anfangsschwierigkeiten eine weitere staatliche Unterstützung erforderlich machen (Heindler 2001).“[11]
Der derzeitige Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), Hans Joachim Schellnhuber, der auch Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung ist, hat 2015 die hohen Kosten der Kernfusionsforschung angesichts der Potentiale der Solarenergie kritisiert:
„While we have been working decade after decade on developing an incredibly expensive fusion reactor, we are already blessed with one that works perfectly well and is free to all of us: the Sun“
„Während wir Jahrzehnt nach Jahrzehnt an der Entwicklung eines unglaublich teuren Fusionsreaktors gearbeitet haben, sind wir bereits mit einem gesegnet, der einwandfrei funktioniert und für uns alle kostenlos ist: Die Sonne“
EUROfusion, die Dachorganisation der europäischen Kernfusionsforschung, geht von folgendem Szenario aus: Unter der Voraussetzung, dass fossile Brennstoffe wegen ihrer Klimaschädlichkeit zurückgedrängt werden und die Kernfusion somit wirtschaftlich konkurrenzfähig wäre, könnte ein großtechnischer Einsatz der neuen Technologie nach heutigem Erkenntnisstand ab Mitte des 21. Jahrhunderts erfolgen.[7][8] Daher wird von einigen bezweifelt, dass Fusionsenergie eine Rolle bei der Energiewende spielen kann.[13][14] Unter anderen diese späte Verfügbarkeit ließ den WBGU 2003 zu der Schlussfolgerung kommen, dass es nicht zu verantworten sei, beim aktuellen Stand Energiekonzepte für die Zukunft „auch nur teilweise auf der Kernfusion basieren zu lassen.“[15]
Das Demonstrationskraftwerk DEMO soll erstmals einige 100 MW an elektrischer Leistung produzieren.[16] Es wird damit allerdings noch zu klein für einen kommerziellen Betrieb sein.
Weil bei Fusionskraftwerken die Bau- und Finanzierungskosten den wesentlichen Anteil an den Gesamtaufwendungen darstellen, wären sie insbesondere als Grundlastkraftwerke einsetzbar. 2002 wurde dazu mit Bezug auf eine Quelle aus 2001 in einem Bericht an den Bundestag festgestellt: „Für Grundlastkraftwerke ist die Zuverlässigkeit ein entscheidender Parameter. Häufige unvorhergesehene Unterbrechungen oder lange Stillstandszeiten für Wartung und Reparatur würden Fusionskraftwerke unattraktiv machen. Die heute angenommene Leistungsverfügbarkeit eines Fusionskraftwerkes von 75 % (Bradshaw 2001) ist gegenüber anderen Großkraftwerken, die zum Teil über 95 % erreichen, vergleichsweise niedrig.“[17]
Fusionskraftwerke würden solche auf Basis von Kernspaltung und fossilen Brennstoffen ersetzen und hätten
Deuterium-Tritium-Fusionsreaktoren wären demnach nicht frei von Radioaktivitätsproblemen, jedoch bezüglich Sicherheit und Umweltverträglichkeit ein Fortschritt gegenüber herkömmlichen Kernspaltungsreaktoren.
Die Technologie der Kernfusion weist nur eine begrenzte Schnittmenge mit der Kernwaffentechnologie auf. Jedoch kann durch die Kernfusion theoretisch Material für Atomwaffen produziert werden und somit das Risiko einer Verbreitung von Kernwaffen erhöht sein.
Als die schnellste Möglichkeit, waffenfähiges Material zu produzieren, wird die Modifikation eines kommerziellen Fusionsreaktors angesehen. Anders als bei einem auf Kernspaltung beruhenden Kraftwerk liegt bei einem reinen Fusionsreaktor ohne Umrüstung kein für Kernwaffen verwendbares Material vor.
In Fusionsreaktoren entstehen große Mengen Tritium und ein unerlaubtes Abzweigen eines geringen, für militärische Nutzung aber ausreichenden Anteils gilt als kaum kontrollierbar.[22] Bereits einige Gramm eines Deuterium-Tritium-Gemischs können die Energiefreisetzung einer Atombombe und damit deren Zerstörungskraft deutlich steigern. Die Methode ist unter dem Begriff Fusions-Booster bekannt. Tritium entsteht zwar auch als radioaktives Abfallprodukt in herkömmlichen Kernreaktoren, insbesondere in Schwerwasserreaktoren, wird üblicherweise jedoch weder abgetrennt noch zum Reinstoff konzentriert. Die Gefahr zur Proliferation geht dabei sowohl von dem Tritium selbst aus als auch von dem Wissen um die Details seiner Herstellung.[23]
Soweit im Brutmantel eines Fusionsreaktors angereichertes 6Li verwendet wird, müssen entsprechende großtechnische Anlagen zur Lithium-Anreichung errichtet werden. Schließlich ist mit angereichertem 6Li auch direkte Proliferation denkbar. Wasserstoffbomben erreichen mit angereichertem 6Li eine höhere Sprengkraft als mit natürlichem Lithium.
Die Herstellung kernwaffenfähigen Plutoniums oder Urans ist prinzipiell durch die vom Fusionsreaktor ausgesendete harte Neutronenstrahlung möglich, beispielsweise per Transmutation von 238U zu 239Pu, oder 232Th zu 233U.
Eine Studie von R. J. Goldston, A. Glaser und A. F. Ross untersuchte die Risiken einer Kernwaffenverbreitung durch Fusionsreaktoren und analysierte verschiedene Szenarien zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium oder Uran.[24] Wegen eines deutlich höheren Energieverbrauchs, der damit verbundenen Hitzefreisetzung und einer auffälligen Konstruktion wurde in dieser Studie der Einsatz selbst eines kleinen Fusionsreaktors gegenüber Gaszentrifugen als sehr unplausibel bewertet.[24]
Im regulären Betrieb zur zivilen Energieproduktion käme in reinen Fusionskraftwerken kein brütbares oder spaltbares Material vor. Ohne Abschirmung könne man diese Materialien recht gut über die von ihnen ausgesendete Gammastrahlung charakteristischer Energie detektieren. Dies wäre ein starker Hinweis auf eine militärische Nutzung der Anlage. Einige der möglichen technischen Modifikationen, welche brütbares Material in sehr niedriger Konzentration in die Kühlsubstanz einleiten und wieder extrahieren, wären wegen ihrer Abmessungen vor Inspektoren vermutlich nicht zu verheimlichen. Auch wäre bei dieser Methode eine anschließende Aufarbeitung des Materials äußerst aufwändig. Der Einbau eines Moduls des Brutmantels, welches beispielsweise unerlaubt mit Uranoxid ausgestattet wäre, wird als realistischste Gefahr einer Waffenverbreitung beschrieben. Die Studie hält es für notwendig, dass durch eine Kontrolle der angelieferten Komponenten solche Möglichkeiten unterbunden werden,[24] es könne andernfalls Plutonium für mehrere Kernwaffen jährlich produziert werden.[22]
Selbst ohne die Notwendigkeit verdeckten Handelns würden zwei Monate benötigt um die Produktion aufzunehmen und mindestens eine weitere Woche um eine nennenswerte Menge für eine Waffenproduktion zu erhalten. Diese Zeitspanne sei lang genug, um eine militärische Nutzung zu entdecken und mit diplomatischen Mitteln oder auch mit einer militärischen Zerstörung von Teilen der Anlage zu reagieren. Anders als bei einem Kernkraftwerk müssten nur Nebenstrukturen zerstört werden, um die gesamte Produktion lahmzulegen, die intrinsische Sicherheit der Fusionskraftwerke hinzugenommen würde das Risiko einer radioaktiven Kontamination gering sein.[24]
Eine andere Studie kommt zum Schluss, dass große Fusionsreaktoren jährlich bis zu einigen hundert Kilogramm Plutonium mit großer Tauglichkeit für Waffen produzieren könnten, mit vergleichbar niedrigen Anforderungen an das Ausgangsmaterial. Die Autoren weisen darauf hin, dass intrinsische Sicherheitsmerkmale, die eine militärische Nutzung erschweren, vielleicht nur noch in dem jetzigen, frühen Forschungsstadium implementiert werden können.[22]