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{{Dieser Artikel|behandelt die '''Lagrange-Funktion''' im Sinne des Lagrange-Formalismus in der Physik. Für die ''Lagrange-Funktion'' in der mathematischen Optimierung | {{Dieser Artikel|behandelt die '''Lagrange-Funktion''' im Sinne des Lagrange-Formalismus in der Physik. Für die ''Lagrange-Funktion'' in der mathematischen Optimierung siehe [[Lagrange-Multiplikator]].}} | ||
Der '''Lagrange-Formalismus''' ist in der [[Physik]] eine 1788 von [[Joseph-Louis Lagrange]] eingeführte Formulierung der [[Klassische Mechanik|klassischen Mechanik]], in der die [[Dynamik (Physik)|Dynamik]] eines Systems durch eine einzige [[Skalar (Mathematik)|skalare]] Funktion, die '''Lagrange-Funktion''', beschrieben wird. Der Formalismus ist (im Gegensatz zu der [[Newtonsche Gesetze| | Der '''Lagrange-Formalismus''' ist in der [[Physik]] eine 1788 von [[Joseph-Louis Lagrange]] eingeführte Formulierung der [[Klassische Mechanik|klassischen Mechanik]], in der die [[Dynamik (Physik)|Dynamik]] eines Systems durch eine einzige [[Skalar (Mathematik)|skalare]] Funktion, die '''Lagrange-Funktion''', beschrieben wird. Der Formalismus ist (im Gegensatz zu der [[Newtonsche Gesetze|newtonschen Mechanik]], die a priori nur in [[Inertialsystem]]en gilt) auch in [[Beschleunigtes Bezugssystem|beschleunigten Bezugssystemen]] gültig. Der Lagrange-Formalismus ist invariant gegen Koordinatentransformationen.<ref>[[Lew Dawidowitsch Landau|Landau]], [[Jewgeni Michailowitsch Lifschitz|Lifschitz]]: ''Lehrbuch der theoretischen Physik I – Mechanik.'' Akademie-Verlag Berlin 1987, S. 156.</ref> Aus der Lagrange-Funktion lassen sich die [[Bewegungsgleichung]]en mit den Euler-Lagrange-Gleichungen der [[Variationsrechnung]] aus dem [[Hamiltonsches Prinzip|Prinzip der kleinsten Wirkung]] bestimmen. Diese Betrachtungsweise vereinfacht viele physikalische Probleme, da sich, im Gegensatz zu der newtonschen Formulierung der Bewegungsgesetze, im Lagrange-Formalismus [[Zwangsbedingung]]en relativ einfach durch das explizite Ausrechnen der [[Zwangskraft|Zwangskräfte]] oder die geeignete Wahl [[Generalisierte Koordinate|generalisierter Koordinaten]] berücksichtigen lassen. Aus diesem Grund wird der Lagrange-Formalismus verbreitet bei [[Mehrkörpersystem]]en (MKS) eingesetzt. Er lässt sich auch auf den relativistischen Fall übertragen und ist auch in der relativistischen [[Quantenfeldtheorie]] zur Formulierung von Modellen von Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen weit verbreitet. | ||
Für Systeme mit einem generalisierten Potential und [[Zwangsbedingung| | Für Systeme mit einem generalisierten Potential und [[Holonom|holonomen]] [[Zwangsbedingung|Zwangsbedingungen]] lautet die Lagrange-Funktion | ||
:<math> L = T - V </math> | :<math> L = T - V </math> | ||
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== Lagrange-Gleichungen erster und zweiter Art == | == Lagrange-Gleichungen erster und zweiter Art == | ||
Mit den Lagrange-Gleichungen erster Art lassen sich die Zwangskräfte | Mit den Lagrange-Gleichungen erster Art lassen sich die Zwangskräfte berechnen. Sie sind äquivalent zu den Gleichungen, die sich aus dem [[D’Alembertsches Prinzip|D’Alembertschen Prinzip]] ergeben. Wir betrachten <math>N</math> Punktteilchen im <math>\ \mathbb{R}^3</math> mit den [[Ortsvektor]]en <math>\ \mathbf{r}_i</math>, <math> i\in \{1,...,N\}</math>, deren Koordinaten durch <math>s</math> voneinander unabhängige ([[holonom]]e) [[Zwangsbedingung]]en der Form <math>F_k (\mathbf{r}_1, \ldots ,\mathbf{r}_N,t)=0 </math> mit <math>k \in \{1, \ldots ,s\} </math> eingeschränkt sind (eine explizite Zeitabhängigkeit ist erlaubt). Dadurch werden die Lagen der Teilchen auf eine <math>(3N-s)</math>-dimensionale [[Mannigfaltigkeit]] eingeschränkt (<math>f=3N-s</math> ist die Anzahl der [[Freiheitsgrade]]). | ||
Die | Die auf ein Teilchen <math>i</math> wirkenden Zwangskräfte sind proportional zum [[Gradient (Mathematik)|Gradienten]] <math>\nabla F_k</math>, die Gesamt-Zwangskraft <math>\mathbf Z_i</math> ist daher | ||
:<math>\mathbf | :<math>\mathbf Z_i = \sum_{k=1}^s \lambda_k \nabla_i F_k.</math> | ||
Wenn man annimmt, dass sich die äußeren Kräfte aus einem Potential ableiten lassen, kann man die Bewegungsgleichung | Wenn man annimmt, dass sich die äußeren Kräfte aus einem Potential ableiten lassen, kann man die Bewegungsgleichung schreiben (Lagrange-Gleichung 1. Art):<ref>Zum Beispiel Hamel ''Theoretische Mechanik'', Springer Verlag 1967, S. 281.</ref> | ||
:<math>m_i \ddot{\mathbf r}_i = - \nabla_i V + \sum_{k=1}^s \lambda_k \nabla_i F_k,\qquad i=1, \ldots ,N </math> | :<math>m_i \ddot{\mathbf r}_i = - \nabla_i V + \sum_{k=1}^s \lambda_k \nabla_i F_k,\qquad i=1, \ldots ,N </math> | ||
Die <math>m_i</math> sind die Massen der <math>N</math> Punktteilchen, <math>V</math> ist die potentielle Energie. Dies, zusammen mit den Zwangsbedingungen <math>F_k(\mathbf{r}_1, \ldots, \mathbf{r}_N, t)=0</math>, sind 3N+s unabhängige Gleichungen für die 3N Koordinaten der <math>\mathbf r_i</math> sowie für die s Lagrange-Multiplikatoren <math>\lambda_k</math>. Somit ist die Lösung des Gleichungssystems eindeutig. | Die <math>m_i</math> sind die Massen der <math>N</math> Punktteilchen, <math>V</math> ist die potentielle Energie. Dies, zusammen mit den Zwangsbedingungen <math>F_k(\mathbf{r}_1, \ldots, \mathbf{r}_N, t)=0</math>, sind <math>3N+s</math> unabhängige Gleichungen für die <math>3N</math> Koordinaten der <math>\mathbf r_i</math> sowie für die <math>s</math> Lagrange-Multiplikatoren <math>\lambda_k</math>. Somit ist die Lösung des Gleichungssystems eindeutig. | ||
'''Bemerkung''': Hier wurden nur holonome Zwangsbedingungen behandelt. Der Formalismus lässt sich aber auch auf Zwangsbedingungen der Form <math>\sum_k a_k \delta q_k =0\,</math> anwenden, die z. B. bei nicht-holonomen Zwangsbedingungen zwischen den Geschwindigkeiten der Teilchen folgen.<ref>Die realen anholonomen Zwangsbedingungen wären <math>\sum_k a_k d q_k + a_t | '''Bemerkung''': Hier wurden nur holonome Zwangsbedingungen behandelt. Der Formalismus lässt sich aber auch auf Zwangsbedingungen der Form <math>\sum_k a_k \delta q_k =0\,</math> anwenden, die z. B. bei nicht-holonomen Zwangsbedingungen zwischen den Geschwindigkeiten der Teilchen folgen.<ref>Die realen anholonomen Zwangsbedingungen wären <math>\sum_k a_k \mathrm{d} q_k + a_t \mathrm{d}t =0\,.</math> Das Zeitdifferential <math>\mathrm{d}t</math> verschwindet ''per definitionem'' bei den zugehörigen sog. virtuellen Verschiebungen <math>\delta q_k</math></ref> Diese Zwangsbedingungsgleichungen lassen sich im Gegensatz zu holonomen Zwangsbedingungen nicht als [[vollständiges Differential]] einer Funktion darstellen, das heißt, zwischen den Koeffizientenfunktionen gilt nicht <math>\tfrac{\partial a_i}{\partial q_k}=\tfrac{\partial a_k} {\partial q_i}</math>. | ||
Im Fall von holonomen Zwangsbedingungen kann man neue Koordinaten <math> q_i</math> einführen, die diese implizit enthalten, sogenannte [[generalisierte Koordinate]]n. Mit der kinetischen Energie | Im Fall von holonomen Zwangsbedingungen kann man neue Koordinaten <math> q_i</math> einführen, die diese implizit enthalten, sogenannte [[generalisierte Koordinate]]n. Mit der kinetischen Energie | ||
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:<math>{\text{d}\over \text{d}t}{\partial{T}\over \partial{\dot{q}_i}}-{\partial{T}\over \partial q_i} = Q_i</math> | :<math>{\text{d}\over \text{d}t}{\partial{T}\over \partial{\dot{q}_i}}-{\partial{T}\over \partial q_i} = Q_i</math> | ||
oder mit der Lagrange-Funktion <math> L = T - V</math> | oder mit der Lagrange-Funktion <math> L = T - V</math> (Lagrange-Gleichung 2. Art): | ||
:<math>{\text{d}\over \text{d}t}{\partial{L}\over \partial{\dot{q}_i}}-{\partial{L}\over \partial q_i} = 0</math> | :<math>{\text{d}\over \text{d}t}{\partial{L}\over \partial{\dot{q}_i}}-{\partial{L}\over \partial q_i} = 0</math> | ||
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'''Bemerkung''': Manchmal lassen sich die generalisierten Kräfte durch ein geschwindigkeitsabhängiges ''generalisiertes Potential'' <math>V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math> in folgender Form schreiben | '''Bemerkung''': Manchmal lassen sich die generalisierten Kräfte durch ein geschwindigkeitsabhängiges ''generalisiertes Potential'' <math>V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math> in folgender Form schreiben | ||
:<math>Q_{i}=-\frac{\partial V}{\partial q_{i}}+\frac{d}{ | :<math>Q_{i}=-\frac{\partial V}{\partial q_{i}}+\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t} \frac{\partial V}{\partial\dot{q}_{i}}</math> | ||
Auch dann ergeben sich die Bewegungsgleichungen | Auch dann ergeben sich die Bewegungsgleichungen | ||
:<math>\frac{d}{dt}\frac{\partial L}{\partial \dot q_i}-\frac{\partial L}{\partial q_i}=0</math>, | :<math>\frac{\mathrm d}{\mathrm dt}\frac{\partial L}{\partial \dot q_i}-\frac{\partial L}{\partial q_i}=0</math>, | ||
mit der ''Lagrange-Funktion'' <math>L</math>: | mit der ''Lagrange-Funktion'' <math>L</math>: | ||
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:<math>L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=T(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)-V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math> | :<math>L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=T(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)-V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math> | ||
Das System ist dann aber nicht mehr im üblichen Sinn ''konservativ''. Ein Beispiel ist | Das System ist dann aber nicht mehr im üblichen Sinn ''konservativ''. Ein Beispiel ist das elektromagnetische Feld (siehe unten). | ||
Manchmal hat man aber noch nicht-konservative Kräfte <math>Q_i^*</math>, so dass sich die Gleichungen schreiben: | Manchmal hat man aber noch nicht-konservative Kräfte <math>Q_i^*</math>, so dass sich die Gleichungen schreiben: | ||
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:<math>{\text{d}\over \text{d}t}{\partial{L}\over \partial{\dot{q}_i}}-{\partial{L}\over \partial q_i} = Q_i^*</math> | :<math>{\text{d}\over \text{d}t}{\partial{L}\over \partial{\dot{q}_i}}-{\partial{L}\over \partial q_i} = Q_i^*</math> | ||
Ein Beispiel sind Systeme mit nicht-holonomen Zwangsbedingungen (siehe oben) oder | Ein Beispiel sind Systeme mit nicht-holonomen Zwangsbedingungen (siehe oben) oder Reibungskräften (zum Beispiel [[Rayleighsche Dissipationsfunktion]]). | ||
== Ableitung aus dem Hamiltonschen Prinzip == | == Ableitung aus dem Hamiltonschen Prinzip == | ||
Die Lagrange-Gleichungen zweiter Art ergeben sich als sogenannte Euler-Lagrange-Gleichungen<ref>Siehe [[Variationsrechnung]]. Dort ergeben sich die Euler-Lagrange-Gleichungen aus der Variation eines Funktionals. In der Mechanik ist das betrachtete Funktional die Wirkungsfunktion und man spricht von Lagrange-Gleichung.</ref> eines Variationsproblems und liefern die Bewegungsgleichungen, wenn die Lagrange-Funktion gegeben ist. Sie folgen aus [[Variationsrechnung|Variation]] des mit der Lagrange-Funktion gebildeten [[Wirkungsintegral]]s im [[Hamiltonsches Prinzip|Hamiltonschen Prinzip]]. Dazu betrachtet man alle möglichen Bahnkurven <math> q (t)</math> im Raum der [[Generalisierte Koordinate|generalisierten Koordinaten]] zwischen festen Anfangs- und Endpunkten. Man betrachtet die Änderung des Wirkungsintegrals bei Variation der Bahnkurven | Die Lagrange-Gleichungen zweiter Art ergeben sich als sogenannte Euler-Lagrange-Gleichungen<ref>Siehe [[Variationsrechnung]]. Dort ergeben sich die Euler-Lagrange-Gleichungen aus der Variation eines Funktionals. In der Mechanik ist das betrachtete Funktional die Wirkungsfunktion und man spricht von Lagrange-Gleichung.</ref> eines Variationsproblems und liefern die Bewegungsgleichungen, wenn die Lagrange-Funktion gegeben ist. Sie folgen aus der [[Variationsrechnung|Variation]] des mit der Lagrange-Funktion gebildeten [[Wirkungsintegral]]s im [[Hamiltonsches Prinzip|Hamiltonschen Prinzip]]. Dazu betrachtet man alle möglichen Bahnkurven <math> q (t)</math> im Raum der [[Generalisierte Koordinate|generalisierten Koordinaten]] zwischen festen Anfangs- und Endpunkten. Man betrachtet die Änderung des Wirkungsintegrals bei Variation der Bahnkurven | ||
:<math>\, q \rightarrow q + \delta q</math> | :<math>\, q \rightarrow q + \delta q</math> | ||
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:<math>\delta W = W(q+\delta q, \dot q+ \delta \dot q, t)-W(q, \dot q, t)=\delta \int \text{d}t L(q,\dot q, t) = \int \text{d}t (L (q + \delta q, \dot q + \delta \dot q, t) - L(q,\dot q, t))\stackrel{!}{=}0\,.</math> | :<math>\delta W = W(q+\delta q, \dot q+ \delta \dot q, t)-W(q, \dot q, t)=\delta \int \text{d}t L(q,\dot q, t) = \int \text{d}t (L (q + \delta q, \dot q + \delta \dot q, t) - L(q,\dot q, t))\stackrel{!}{=}0\,.</math> | ||
Eine Näherung in erster Ordnung lautet für eine gewöhnliche [[Funktion (Mathematik)|Funktion]] f(x,y) | Eine Näherung in erster Ordnung lautet für eine gewöhnliche [[Funktion (Mathematik)|Funktion]] <math>f(x, y)</math> | ||
:<math>f(x + \text{d}x, y + \text{d}y) \approx f + \frac{\partial f}{\partial x}\text{d}x + \frac{\partial f}{\partial y}\text{d}y</math> | :<math>f(x + \text{d}x, y + \text{d}y) \approx f + \frac{\partial f}{\partial x}\text{d}x + \frac{\partial f}{\partial y}\text{d}y</math> | ||
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In erster Ordnung ergibt sich die Variation des Integrals also zu | In erster Ordnung ergibt sich die Variation des Integrals also zu | ||
:<math>\int \text{d}t \left(\frac{\partial L}{\partial q}\delta q + \frac{\partial L}{\partial \dot q}\delta \dot q \right) = \int \text{d}t \left(\frac{\partial L}{\partial q}\delta q + \frac{\partial L}{\partial \dot q} \frac{\text{d}}{\text{d}t} \delta q \right)</math> | :<math>\int \text{d}t \left(\frac{\partial L}{\partial q}\delta q + \frac{\partial L}{\partial \dot q}\delta \dot q \right) = \int \text{d}t \left(\frac{\partial L}{\partial q}\delta q + \frac{\partial L}{\partial \dot q} \frac{\text{d}}{\text{d}t} \delta q \right)</math>. | ||
Nun führt man eine [[partielle Integration]] in dem Term aus, der die Ableitung nach der Zeit enthält: | Nun führt man eine [[partielle Integration]] in dem Term aus, der die Ableitung nach der Zeit enthält: | ||
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Damit resultiert schließlich | Damit resultiert schließlich | ||
:<math> \int \text{d}t \left(-\frac{\text{d}}{\text{d}t} \frac{\partial L}{\partial \dot q} + \frac{\partial L}{\partial q} \right)\delta q\stackrel{!}{=} 0\,.</math> | :<math> \int \text{d}t \left(-\frac{\text{d}}{\text{d}t} \frac{\partial L}{\partial \dot q} + \frac{\partial L}{\partial q} \right)\delta q\mathrel{\stackrel{!}{=}} 0\,.</math> | ||
Da nun <math>\delta q</math> als Faktor des gesamten Integrals auftritt und beliebig ist, kann das Integral nur dann nach dem Variationsprinzip verschwinden, wenn der Integrand selbst verschwindet. Es folgen die ''Lagrange-Gleichungen'' oder ''Lagrange-Gleichungen zweiter Art'' (die ''Euler-Lagrange-Gleichungen'' des hier betrachteten Variationsproblems): | Da nun <math>\delta q</math> als Faktor des gesamten Integrals auftritt und beliebig ist, kann das Integral nur dann nach dem Variationsprinzip verschwinden, wenn der Integrand selbst verschwindet. Es folgen die ''Lagrange-Gleichungen'' oder ''Lagrange-Gleichungen zweiter Art'' (die ''Euler-Lagrange-Gleichungen'' des hier betrachteten Variationsproblems): | ||
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:<math>\frac{\text{d}}{\text{d}t} \frac{\partial L}{\partial \dot{q}_i} - \frac{\partial{L}}{\partial q_i} = 0\,.</math> | :<math>\frac{\text{d}}{\text{d}t} \frac{\partial L}{\partial \dot{q}_i} - \frac{\partial{L}}{\partial q_i} = 0\,.</math> | ||
Für jede generalisierte Koordinate <math>q_i</math> (und die zugehörige generalisierte Geschwindigkeit <math>\dot{q}_i</math>) gibt es eine solche Gleichung. Die Lagrange-Gleichungen bilden ein System [[Gewöhnliche Differentialgleichung|gewöhnlicher Differentialgleichungen]] zweiter Ordnung bezüglich der Zeitableitung. Wie viele Differentialgleichungen das im Endeffekt sind, weiß man erst, wenn die Zahl der [[Freiheitsgrade]] des | Für jede generalisierte Koordinate <math>q_i</math> (und die zugehörige generalisierte Geschwindigkeit <math>\dot{q}_i</math>) gibt es eine solche Gleichung. Die Lagrange-Gleichungen bilden ein System [[Gewöhnliche Differentialgleichung|gewöhnlicher Differentialgleichungen]] zweiter Ordnung bezüglich der Zeitableitung. Wie viele Differentialgleichungen das im Endeffekt sind, weiß man erst, wenn die Zahl der [[Freiheitsgrade]] des Systems berechnet wurde. | ||
== Zyklische Variablen und Symmetrie == | == Zyklische Variablen und Symmetrie == | ||
Wenn die Lagrange-Funktion <math>L</math> nicht von einer Koordinate <math>q</math> abhängt, sondern nur von der zugehörigen Geschwindigkeit <math>\dot{q} | Wenn die Lagrange-Funktion <math>L</math> nicht von einer Koordinate <math>q</math> abhängt, sondern nur von der zugehörigen Geschwindigkeit <math>\dot{q}</math>, dann nennt man <math>q</math> ''zyklisch'', ''zyklische Koordinate'' oder ''zyklische Variable''. Der zur zyklischen Variablen <math>q</math> ''[[Generalisierter Impuls|konjugierte Impuls]]'' | ||
:<math>p= \frac{\partial L}{\partial \dot{q}}</math> | :<math>p= \frac{\partial L}{\partial \dot{q}}</math> | ||
ist eine Erhaltungsgröße | ist eine Erhaltungsgröße; sein Wert ändert sich nicht während der Bewegung, wie gleich gezeigt wird: Wenn die Lagrange-Funktion nicht von <math>q</math> abhängt, gilt | ||
:<math>\frac{\partial{L}}{\partial q} = 0\,.</math> | :<math>\frac{\partial{L}}{\partial q} = 0\,.</math> | ||
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== Erweiterung auf Felder == | == Erweiterung auf Felder == | ||
In der [[Feldtheorie (Physik)|Feldtheorie]] ergibt sich die Bewegungsgleichung aus dem [[Hamiltonsches Prinzip#Das Hamiltonsche Prinzip für Felder| | In der [[Feldtheorie (Physik)|Feldtheorie]] ergibt sich die Bewegungsgleichung aus dem [[Hamiltonsches Prinzip#Das Hamiltonsche Prinzip für Felder|hamiltonschen Prinzip für Felder]] zu | ||
:<math>\frac{\partial \mathcal{L}}{\partial \phi_i} | :<math>\frac{\partial \mathcal{L}}{\partial \phi_i} - \sum_{j=1}^3 | ||
\frac{ | \frac{\partial}{\partial x_j} \frac{\partial \mathcal{L}}{\partial\frac{\partial \phi_i}{\partial x_j} }- \frac{\partial}{\partial t} \frac{\partial \mathcal{L}}{\partial\frac{\partial \phi_i}{\partial t}} = \frac{\partial\mathcal L}{\partial\phi_i} - {\partial_\mu} \left(\frac{\partial\mathcal L}{\partial (\partial_\mu \phi_i )} \right) = 0</math> | ||
wobei <math>\phi=\phi(x,y,z,t)</math> das betrachtete [[Feld (Physik)|Feld]] und <math>\mathcal{L}=\mathcal{L}\left(\phi, \frac{\partial \phi}{\partial x}, \frac{\partial \phi}{\partial y}, \frac{\partial \phi}{\partial z}, \frac{\partial \phi}{\partial t}, x,y,z,t \right)</math> die [[Lagrange-Dichte]] sind. | wobei <math>\phi=\phi(x,y,z,t)</math> das betrachtete [[Feld (Physik)|Feld]] und <math>\mathcal{L}=\mathcal{L}\left(\phi, \frac{\partial \phi}{\partial x}, \frac{\partial \phi}{\partial y}, \frac{\partial \phi}{\partial z}, \frac{\partial \phi}{\partial t}, x,y,z,t \right)</math> die [[Lagrange-Dichte]] sind. | ||
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mit der so definierten [[Gateaux-Differential|Variationsableitung]] <math>\frac{\delta\mathcal L}{\delta \phi}:=\frac{\partial\mathcal L}{\partial\phi_i} - {\partial_\mu} \left(\frac{\partial\mathcal L}{\partial (\partial_\mu \phi_i )} \right)</math>. | mit der so definierten [[Gateaux-Differential|Variationsableitung]] <math>\frac{\delta\mathcal L}{\delta \phi}:=\frac{\partial\mathcal L}{\partial\phi_i} - {\partial_\mu} \left(\frac{\partial\mathcal L}{\partial (\partial_\mu \phi_i )} \right)</math>. | ||
Der Lagrange-Formalismus ist auch der Ausgangspunkt vieler Formulierungen der [[Quantenfeldtheorie]]. | Hinweis: Der Lagrange-Formalismus ist auch der Ausgangspunkt vieler Formulierungen der [[Quantenfeldtheorie]]. | ||
== Relativistische Mechanik == | == Relativistische Mechanik == | ||
In der [[Spezielle Relativitätstheorie|relativistischen]] Mechanik kann die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens aus dem | In der [[Spezielle Relativitätstheorie|relativistischen]] Mechanik kann die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens aus dem hamiltonschen Prinzip abgeleitet werden, indem für die Wirkung der einfachste Fall eines relativistischen Skalars angenommen wird: | ||
:<math>S = - | :<math>S = -m c \int_{a}^{b}\mathrm d s =- m c^2 \int \mathrm dt \sqrt{1 - \frac{v^2}{c^2}}= \int L\, \mathrm dt </math>, | ||
wobei <math>\mathrm d s = c \,\mathrm d\tau =c \, \mathrm dt \sqrt{1 - \frac{v^2}{c^2}}</math> das zur [[Eigenzeit]] proportionale relativistische Linienelement ist und ein konstanter Faktor <math>\,( - | wobei <math>\mathrm d s = c \,\mathrm d\tau =c \, \mathrm dt \sqrt{1 - \frac{v^2}{c^2}}</math> das zur [[Eigenzeit]] proportionale relativistische Linienelement ist und ein konstanter Faktor <math>\,( - m c) </math> gewählt wurde. | ||
Die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens ist hier nicht mehr mit der kinetischen Energie identisch (manchmal spricht man deshalb auch von kinetischer Ergänzungsenergie T in der Lagrange-Funktion). Die relativistische kinetische Energie eines Körpers mit der | Die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens ist hier nicht mehr mit der kinetischen Energie identisch (manchmal spricht man deshalb auch von kinetischer Ergänzungsenergie T in der Lagrange-Funktion). Die relativistische kinetische Energie eines Körpers mit der Masse <math>m</math> und Geschwindigkeit <math>v= \dot{\mathbf{x}}</math> ohne Zwangsbedingungen beträgt | ||
:<math>E=\frac{ | :<math>E=\frac{mc^{2}}{\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}^{2}}{c^{2}}}\,}-mc^{2}</math>, | ||
wohingegen für die Lagrange-Funktion die kinetische Ergänzungsenergie | |||
:<math>T(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=- | :<math>T(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=-mc^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}^{2}}{c^{2}}}</math> | ||
maßgeblich ist. Die Lagrange-Funktion für ein Teilchen in einem Potential V ergibt sich dann zu | maßgeblich ist. Die Lagrange-Funktion für ein Teilchen in einem Potential V ergibt sich dann zu | ||
:<math>L(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=T-V=- | :<math>L(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=T-V=-mc^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}^{2}}{c^{2}}}\,-\, V(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)</math>. | ||
Für ein <math>N</math>-Teilchensystem ist die Lagrange-Funktion mit den generalisierten Koordinaten | Für ein <math>N</math>-Teilchensystem ist die Lagrange-Funktion mit den generalisierten Koordinaten | ||
:<math>L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=-\sum_{i=1}^{N}m_{0,i}c^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}_{i}^{2}(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)}{c^{2}}}\,-\, V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math> | :<math>L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=-\sum_{i=1}^{N}m_{0,i}c^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}_{i}^{2}(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)}{c^{2}}}\,-\, V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math>, | ||
wobei <math>n=3N-s</math> die Anzahl der Freiheitsgrade und <math>s</math> die Anzahl der holonomen Zwangsbedingungen ist. | wobei <math>n=3N-s</math> die Anzahl der Freiheitsgrade und <math>s</math> die Anzahl der holonomen Zwangsbedingungen ist. | ||
| Zeile 164: | Zeile 164: | ||
Für kleine Geschwindigkeiten <math>|\dot{\mathbf{x}}|\ll c</math> kann man die Wurzel bis zur ersten Ordnung entwickeln <math>\sqrt{1-x}=1-x/2</math>: | Für kleine Geschwindigkeiten <math>|\dot{\mathbf{x}}|\ll c</math> kann man die Wurzel bis zur ersten Ordnung entwickeln <math>\sqrt{1-x}=1-x/2</math>: | ||
:<math>- | :<math>-mc^{2}\sqrt{1-\frac{\dot{\mathbf{x}}^{2}}{c^{2}}}=-mc^{2}+\frac{m}{2}\dot{\mathbf{x}}^{2}</math> | ||
Die nullte Ordnung der Entwicklung ist eine Konstante, die negative Ruheenergie. Da die Lagrange-Gleichungen invariant sind unter Addition einer Konstanten zur Lagrange-Funktion, kann man den konstanten ersten Term | Die nullte Ordnung der Entwicklung ist eine Konstante, die negative Ruheenergie. Da die Lagrange-Gleichungen invariant sind unter Addition einer Konstanten zur Lagrange-Funktion, kann man den konstanten ersten Term weglassen und man erhält wieder die klassische kinetische Energie: | ||
:<math>L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=\sum_{i=1}^{N}\frac{m_{0,i}}{2}\dot{\mathbf{x}}_{i}^{2}(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)\,-\, V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math> | :<math>L(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)=\sum_{i=1}^{N}\frac{m_{0,i}}{2}\dot{\mathbf{x}}_{i}^{2}(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)\,-\, V(q_{1},\ldots,q_{n},\dot{q}_{1},\ldots,\dot{q}_{n},t)</math> | ||
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== Zusammenhang mit Pfadintegralen in der Quantenmechanik == | == Zusammenhang mit Pfadintegralen in der Quantenmechanik == | ||
[[Richard Feynman]] hat als Erster diese Herangehensweise auch konsequent für die Herleitung der Gleichungen der [[Quantenmechanik]] verwendet. In der klassischen Physik ergeben sich die oben beschriebenen Lagrange-Gleichungen aus der Forderung, dass das Wirkungsintegral stationär wird. In Feynmans [[Pfadintegral]]-Formalismus ist die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude, dass ein System zwischen Anfangs- und Endbedingungen einen bestimmten Pfad einschlägt, proportional <math>e^{\frac{i W} {\hbar}}</math> mit dem Wirkungsintegral <math>W</math>. Pfade in der Umgebung des klassischen Weges, für den die Variation von <math>W</math> verschwindet, liefern dabei meist die Hauptbeiträge, da sich in ihrer Umgebung die Beiträge mit fast gleichen Phasenfaktoren addieren. | [[Richard Feynman]] hat als Erster diese Herangehensweise auch konsequent für die Herleitung der Gleichungen der [[Quantenmechanik]] verwendet. In der klassischen Physik ergeben sich die oben beschriebenen Lagrange-Gleichungen aus der Forderung, dass das Wirkungsintegral stationär wird. In Feynmans [[Pfadintegral]]-Formalismus ist die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude, dass ein System zwischen Anfangs- und Endbedingungen einen bestimmten Pfad einschlägt, proportional zu <math>e^{\frac{i W} {\hbar}}</math> mit dem Wirkungsintegral <math>W</math>. Pfade in der Umgebung des klassischen Weges, für den die Variation von <math>W</math> verschwindet, liefern dabei meist die Hauptbeiträge, da sich in ihrer Umgebung die Beiträge mit fast gleichen Phasenfaktoren addieren. | ||
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{\mathrm{d}\over \mathrm{d}t}{\partial{L}\over \partial{\dot{x}}}={\partial{L}\over \partial x} | {\mathrm{d}\over \mathrm{d}t}{\partial{L}\over \partial{\dot{x}}}={\partial{L}\over \partial x} | ||
</math> | </math>. | ||
Dies führt mit obigen Formeln für <math>L</math> auf | |||
:<math>\ \frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}\left(m\dot{x}\right)=-c x</math> | :<math>\ \frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}\left(m\dot{x}\right)=-c x</math> | ||
und damit auf die [[Bewegungsgleichung]] des Systems: | |||
:<math>\ddot{x} = -\frac{c}{m} x</math>. | :<math>\ddot{x} = -\frac{c}{m} x</math>. | ||
Die allgemeine Lösung dieser [[Differentialgleichung]] ist <math>x(t)=A\cos(\omega t + \varphi)</math>, <math>t</math> ist die Zeit, <math>\omega=\sqrt{c/m}</math> die [[Kreisfrequenz]]. Die konstante Amplitude <math>A</math> und Phase <math>\varphi</math> können aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden. | Die allgemeine Lösung dieser [[Differentialgleichung]] ist <math>x(t)=A\cos(\omega t + \varphi)</math>, <math>t</math> ist die Zeit, <math>\textstyle \omega=\sqrt{c/m}</math> die [[Kreisfrequenz]]. Die konstante Amplitude <math>A</math> und Phase <math>\varphi</math> können aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden. | ||
=== Ladung im elektromagnetischen Feld (nicht-konservativ) === | === Ladung im elektromagnetischen Feld (nicht-konservativ) === | ||
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:<math>L(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=\frac{1}{2}\, m\,\dot{\mathbf{x}}^{2}-q\,\phi(\mathbf{x},t)+q\,\dot{\mathbf{x}}\cdot\mathbf{A}(\mathbf{x},t)</math> | :<math>L(\mathbf{x},\dot{\mathbf{x}},t)=\frac{1}{2}\, m\,\dot{\mathbf{x}}^{2}-q\,\phi(\mathbf{x},t)+q\,\dot{\mathbf{x}}\cdot\mathbf{A}(\mathbf{x},t)</math> | ||
Die Euler-Lagrange- | Die Euler-Lagrange-Gleichung <math>\frac{d}{dt}\nabla_{\dot{\mathbf{x}}}L-\nabla_{\mathbf{x}}L=0</math> führt auf die Bewegungsgleichung, auf deren rechter Seite die [[Lorentzkraft]] steht: | ||
:<math>m\,\ddot{\mathbf{x}}=q\,\dot{\mathbf{x}}\times\left(\nabla\times\mathbf{A}(\mathbf{x},t)\right)-q\,\frac{\partial}{\partial t}\mathbf{A}(\mathbf{x},t)-q\,\nabla\phi(\mathbf{x},t)</math> | :<math>m\,\ddot{\mathbf{x}}=q\,\dot{\mathbf{x}}\times\left(\nabla\times\mathbf{A}(\mathbf{x},t)\right)-q\,\frac{\partial}{\partial t}\mathbf{A}(\mathbf{x},t)-q\,\nabla\phi(\mathbf{x},t)</math> | ||
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[[Datei:aufzug lg.png|mini|Schema eines Aufzuges]] | [[Datei:aufzug lg.png|mini|Schema eines Aufzuges]] | ||
Die Achse einer Aufzugtrommel wird durch ein [[Drehmoment]] | Die Achse einer Aufzugtrommel wird durch ein [[Drehmoment]] <math>M</math> angetrieben. Die [[Masse (Physik)|Masse]] der Last beträgt <math>m</math>, das [[Massenträgheitsmoment]] der Trommel ist <math>J</math>. Der Radius der Trommel ist <math>r</math>. | ||
Zwischen den Koordinaten | Zwischen den Koordinaten <math>x</math> und <math>\varphi</math> besteht folgende Beziehung: | ||
:<math> x = r \varphi</math> | :<math> x = r \varphi</math> | ||
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:<math>\frac{\partial V}{\partial y_1 } = m_1 g,\qquad \frac{\partial V}{\partial y_2 } = m_2 g</math> | :<math>\frac{\partial V}{\partial y_1 } = m_1 g,\qquad \frac{\partial V}{\partial y_2 } = m_2 g</math> | ||
Dies führt auf das System der Lagrange-Gleichungen 1. Art: | Dies führt auf das System der Lagrange-Gleichungen 1. Art: | ||
:<math>\begin{matrix} m_1 \ddot y_1 &=& - m_1 g + \lambda\\ | :<math>\begin{matrix} m_1 \ddot y_1 &=& - m_1 g + \lambda\\ | ||
m_2 \ddot y_2 &=& - m_2 | m_2 \ddot y_2 &=& - m_2 g + \lambda\\ | ||
y_1 + y_2 + l - 2h &=& 0 \end{matrix}</math> | y_1 + y_2 + l - 2h &=& 0 \end{matrix} </math> | ||
Dies kann man auflösen und erhält z. B. für bekannte Anfangsbedingungen: | Dies kann man auflösen und erhält z. B. für bekannte Anfangsbedingungen: | ||
:<math>\begin{matrix}y_1(t) &=& \frac {1}{2}{m_2 - m_1 \over {m_1 + m_2}} g t^2 + \dot y_{1,0}t + y_{1,0}\\ | :<math>\begin{matrix}y_1(t) &=& \frac {1}{2}{m_2 - m_1 \over {m_1 + m_2}} g t^2 + \dot y_{1,0}t + y_{1,0}\\ | ||
\lambda &=& 2 | \lambda &=& 2 g \frac{m_1 m_2}{m_1 + m_2}\end{matrix}</math> | ||
=== Mit einem Seil verbundene Teilchen auf einer Platte mit Loch (Zweikörperproblem mit Methode 2. Art) === | |||
Die 1. Masse (<math> m_1 </math>) ist auf einer dünnen Platte durch ein Loch in der Mitte der Platte durch ein Seil mit konstanter Länge (<math>l</math>) mit einer 2. Masse (<math> m_2 </math>) verbunden, die sich nur in z-Richtung bewegt (die z-Achse zeige in Richtung Erdmittelpunkt). | |||
Die Zwangsbedingungen <math> g_i </math> lauten: | |||
:<math> g_1 = z_1 = 0;\quad g_2 = x_2 = 0;\quad g_3 = y_2 = 0;\quad g_4 = \sqrt{x_1^2+y_1^2} + z_2 - l = 0 </math> | |||
Aus 4 Zwangsbedingungen bei 2 Massen im <math> \R^3 </math> ergeben sich <math> 6-4=2 </math> Freiheitsgrade. Für dieses Problem empfiehlt es sich aufgrund der Azimutalsymmetrie Zylinderkoordinaten zu verwenden. So können die generalisierten Koordinaten einfach bestimmt werden. | |||
In Zylinderkoordinaten können die beiden generalisierten Koordinaten nun als | |||
:<math> q_1 = r_1 = \sqrt{x_1^2+y_1^2}, \qquad q_2 = \phi_1 = \arctan \frac{y_1}{x_1}</math> | |||
gewählt werden, wobei mittels der 4. Zwangsbedingung auch die Bewegung der <math>m_2 </math> durch <math> r_1 </math> beschrieben wird; | |||
:<math>g_4 = r_1 + z_2 - l = 0 \Leftrightarrow z_2 = l - r_1</math> | |||
Die kinetische Energie des Systems lautet nun | |||
:<math> E_\mathrm{kin} = \frac{m_{1} + m_{2}}{2} \dot{r}_1^2 +\frac{m_1}{2} r_1^2 \dot{\phi}_1^2</math>. | |||
Da <math> z_1 = 0 </math> und sich damit nur die potentielle Energie bei der 2. Masse verändert, lautet sie | |||
:<math> E_\mathrm{pot} = m_2 g r_1</math>. | |||
Daraus folgt dann die Lagrangefunktion | |||
:<math> L = T-V = \frac{m_1 + m_2}{2} \dot r_1^2 +\frac{m_1}{2} r_1^2 \dot \phi_1^2 - m_2 g r_1 </math> | |||
Da bei dieser Problemstellung zwei generalisierte Koordinaten vorliegen, folgt jeweils eine Bewegungsgleichung für <math>r_1</math> und <math>\phi_1</math>: | |||
:<math>\frac{\partial L}{\partial r_1} = m_1 r_1 \dot \phi_1^2 - m_2 g; \quad \frac{\mathrm d}{\mathrm dt} \frac{\partial L}{\partial \dot r_1} = \frac{\mathrm d}{\mathrm dt} (m_{1}+m_{2})\dot r_1 = (m_{1} + m_{2}) \ddot r_1 \quad \Rightarrow \quad (m_1 + m_2)\ddot r_1 = m_1 r_1 \dot \phi_1^2 - m_2 g </math> | |||
:<math>\frac{\partial L}{\partial \phi_1} = 0; \quad \frac{\mathrm d}{\mathrm dt} \frac{\partial L}{\partial \dot \phi_1} = \frac{\mathrm d}{\mathrm dt} m_1 r_1^2 \dot \phi_1 = 2 m_1 r_1 \dot r_1 \dot \phi_1 + m_1 r_1^2 \ddot \phi_1 \quad \Rightarrow \quad 2 m_1 r_1 \dot r_1 \dot \phi_1 + m_1 r_1^2 \ddot \phi_1 = 0</math> | |||
Aus der Gleichung für <math>\phi</math> zeigt sich in der Form | |||
:<math>\frac{\mathrm d}{\mathrm dt} m_1 r_1^2 \dot \phi_1 = 0</math> | |||
die Existenz einer Erhaltungsgröße, des [[Drehimpuls]]es in <math>z</math>-Richtung <math>L_1^z = m_1 r_1^2 \dot \phi_1</math>, der nach dem Noether-Theorem aus der Unabhängigkeit der Lagrangefunktion von der Variablen <math>q_2 = \phi_1</math> folgt. | |||
=== Teilchen im freien Fall (allgemeine Relativitätstheorie) === | === Teilchen im freien Fall (allgemeine Relativitätstheorie) === | ||
In der [[Allgemeine Relativitätstheorie|allgemeinen Relativitätstheorie]] durchlaufen frei fallende Teilchen [[Weltlinie]]n längster Zeit: | In der [[Allgemeine Relativitätstheorie|allgemeinen Relativitätstheorie]] durchlaufen frei fallende Teilchen [[Weltlinie]]n längster Zeit: Zwischen zwei (genügend nah beieinander liegenden) Ereignissen <math>A</math> und <math>B</math> vergeht auf einer mitgeführten Uhr auf der Weltlinie frei fallender Teilchen mehr [[Eigenzeit|Zeit]] als auf allen anderen Weltlinien durch diese Ereignisse. Sei <math>s</math> ein entlang des Pfades monoton wachsender Laufparameter, so ergibt sich die verstrichene Zeit zu | ||
:<math>\tau_{AB} = \int_{\underline{s}}^{\overline{s}}L\left(s, x(s), \frac{\mathrm dx}{\mathrm ds}\right)\,\mathrm d s\ ,\ x(\underline{s}) = A\,,\ x(\overline{s}) = B\,,</math> | :<math>\tau_{AB} = \int_{\underline{s}}^{\overline{s}}L\left(s, x(s), \frac{\mathrm dx}{\mathrm ds}\right)\,\mathrm d s\ ,\ x(\underline{s}) = A\,,\ x(\overline{s}) = B\,,</math> | ||
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Verwenden wir hier als Abkürzung das [[Christoffel-Symbol]] | Verwenden wir hier als Abkürzung das [[Christoffel-Symbol]] | ||
:<math>\ | :<math>\Gamma^l_{rs} = \frac{1}{2}g^{lm}\bigl(\partial_r g_{sm}+\partial_s g_{rm}-\partial_m g_{rs}\bigr)\,,</math> | ||
so erweist sich die Weltlinie längster Dauer als Gerade: | so erweist sich die Weltlinie längster Dauer als Gerade: Die Richtung der Tangente an die Weltlinie | ||
:<math>u^l = \frac{\dot{x}^l}{\sqrt{g_{mn}\,\dot{x}^m \,\dot{x}^n}}</math> | :<math>u^l = \frac{\dot{x}^l}{\sqrt{g_{mn}\,\dot{x}^m \,\dot{x}^n}}</math> | ||
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ändert sich nicht bei Parallelverschiebung längs der Weltlinie | ändert sich nicht bei Parallelverschiebung längs der Weltlinie | ||
:<math>0=g_{kl}\left(\frac{\mathrm d }{\mathrm ds} u^l + \dot{x}^r\, \ | :<math>0=g_{kl}\left(\frac{\mathrm d }{\mathrm ds} u^l + \dot{x}^r\, \Gamma^l_{rs}\,u^s\right)\,. | ||
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Die Parametrisierung wird nicht festgelegt. Verfügen wir so über sie, dass der Tangentialvektor überall gleich lang ist, dann ist <math>\sqrt{g_{mn}\,\dot{x}^m \,\dot{x}^n}</math> konstant und der Tangentialvektor geht beim Durchlaufen der Weltlinie in sich über. Sie erfüllt die Geodätengleichung | Die Parametrisierung wird nicht festgelegt. Verfügen wir so über sie, dass der Tangentialvektor überall gleich lang ist, dann ist <math>\sqrt{g_{mn}\,\dot{x}^m \,\dot{x}^n}</math> konstant und der Tangentialvektor geht beim Durchlaufen der Weltlinie in sich über. Sie erfüllt die Geodätengleichung | ||
:<math>0=\frac{\mathrm d^2 x^l }{\mathrm ds^2} + \ | :<math>0=\frac{\mathrm d^2 x^l }{\mathrm ds^2} + \Gamma^l_{rs}(x)\, | ||
\frac{\mathrm d x^r}{\mathrm d s}\,\frac{\mathrm d x^s}{\mathrm d s}\,. | \frac{\mathrm d x^r}{\mathrm d s}\,\frac{\mathrm d x^s}{\mathrm d s}\,. | ||
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Dies ist die allgemein-relativistische Form der Bewegungsgleichung eines frei fallenden Teilchens. Die Gravitation ist in | Dies ist die allgemein-relativistische Form der Bewegungsgleichung eines frei fallenden Teilchens. Die Gravitation ist in den <math>\Gamma^l_{rs}</math> voll berücksichtigt. | ||
== Literatur == | == Literatur == | ||
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== Weblinks == | == Weblinks == | ||
* [http://gdz.sub.uni-goettingen.de/no_cache/dms/load/toc/?IDDOC=270046& Whittaker ''Analytische Dynamik der Punkte und starren Körper'', Springer, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 1924] | * [http://gdz.sub.uni-goettingen.de/no_cache/dms/load/toc/?IDDOC=270046& Whittaker ''Analytische Dynamik der Punkte und starren Körper'', Springer, Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 1924] | ||
* [http://www.matheplanet.com/matheplanet/nuke/html/article.php?sid=1157 Artikel ''Von d´Alembert zu Lagrange II'' auf | * [http://www.matheplanet.com/matheplanet/nuke/html/article.php?sid=1157 Artikel ''Von d´Alembert zu Lagrange II''] auf [[Matroids Matheplanet|matheplanet.com]] | ||
* [ | * [https://itp.uni-frankfurt.de/~hees/faq-pdf/lagrange.pdf Anwendungen des Lagrange-Formalismus an Beispielen der Oberstufenphysik] | ||
== | == Einzelnachweise == | ||
<references /> | <references /> | ||
Der Lagrange-Formalismus ist in der Physik eine 1788 von Joseph-Louis Lagrange eingeführte Formulierung der klassischen Mechanik, in der die Dynamik eines Systems durch eine einzige skalare Funktion, die Lagrange-Funktion, beschrieben wird. Der Formalismus ist (im Gegensatz zu der newtonschen Mechanik, die a priori nur in Inertialsystemen gilt) auch in beschleunigten Bezugssystemen gültig. Der Lagrange-Formalismus ist invariant gegen Koordinatentransformationen.[1] Aus der Lagrange-Funktion lassen sich die Bewegungsgleichungen mit den Euler-Lagrange-Gleichungen der Variationsrechnung aus dem Prinzip der kleinsten Wirkung bestimmen. Diese Betrachtungsweise vereinfacht viele physikalische Probleme, da sich, im Gegensatz zu der newtonschen Formulierung der Bewegungsgesetze, im Lagrange-Formalismus Zwangsbedingungen relativ einfach durch das explizite Ausrechnen der Zwangskräfte oder die geeignete Wahl generalisierter Koordinaten berücksichtigen lassen. Aus diesem Grund wird der Lagrange-Formalismus verbreitet bei Mehrkörpersystemen (MKS) eingesetzt. Er lässt sich auch auf den relativistischen Fall übertragen und ist auch in der relativistischen Quantenfeldtheorie zur Formulierung von Modellen von Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen weit verbreitet.
Für Systeme mit einem generalisierten Potential und holonomen Zwangsbedingungen lautet die Lagrange-Funktion
wobei $ T $ die kinetische Energie und $ V $ die potentielle Energie des betrachteten Systems bezeichnen. Man unterscheidet sogenannte Lagrange-Gleichungen erster und zweiter Art. Im engeren Sinn versteht man unter dem Lagrange-Formalismus und den Lagrange-Gleichungen aber die zweiter Art, die häufig einfach als Lagrange-Gleichungen bezeichnet werden:
Dabei sind $ q_{i} $ generalisierte Koordinaten und $ {\dot {q}}_{i} $ deren Zeitableitungen.
Mit den Lagrange-Gleichungen erster Art lassen sich die Zwangskräfte berechnen. Sie sind äquivalent zu den Gleichungen, die sich aus dem D’Alembertschen Prinzip ergeben. Wir betrachten $ N $ Punktteilchen im $ \ \mathbb {R} ^{3} $ mit den Ortsvektoren $ \ \mathbf {r} _{i} $, $ i\in \{1,...,N\} $, deren Koordinaten durch $ s $ voneinander unabhängige (holonome) Zwangsbedingungen der Form $ F_{k}(\mathbf {r} _{1},\ldots ,\mathbf {r} _{N},t)=0 $ mit $ k\in \{1,\ldots ,s\} $ eingeschränkt sind (eine explizite Zeitabhängigkeit ist erlaubt). Dadurch werden die Lagen der Teilchen auf eine $ (3N-s) $-dimensionale Mannigfaltigkeit eingeschränkt ($ f=3N-s $ ist die Anzahl der Freiheitsgrade).
Die auf ein Teilchen $ i $ wirkenden Zwangskräfte sind proportional zum Gradienten $ \nabla F_{k} $, die Gesamt-Zwangskraft $ \mathbf {Z} _{i} $ ist daher
Wenn man annimmt, dass sich die äußeren Kräfte aus einem Potential ableiten lassen, kann man die Bewegungsgleichung schreiben (Lagrange-Gleichung 1. Art):[2]
Die $ m_{i} $ sind die Massen der $ N $ Punktteilchen, $ V $ ist die potentielle Energie. Dies, zusammen mit den Zwangsbedingungen $ F_{k}(\mathbf {r} _{1},\ldots ,\mathbf {r} _{N},t)=0 $, sind $ 3N+s $ unabhängige Gleichungen für die $ 3N $ Koordinaten der $ \mathbf {r} _{i} $ sowie für die $ s $ Lagrange-Multiplikatoren $ \lambda _{k} $. Somit ist die Lösung des Gleichungssystems eindeutig.
Bemerkung: Hier wurden nur holonome Zwangsbedingungen behandelt. Der Formalismus lässt sich aber auch auf Zwangsbedingungen der Form $ \sum _{k}a_{k}\delta q_{k}=0\, $ anwenden, die z. B. bei nicht-holonomen Zwangsbedingungen zwischen den Geschwindigkeiten der Teilchen folgen.[3] Diese Zwangsbedingungsgleichungen lassen sich im Gegensatz zu holonomen Zwangsbedingungen nicht als vollständiges Differential einer Funktion darstellen, das heißt, zwischen den Koeffizientenfunktionen gilt nicht $ {\tfrac {\partial a_{i}}{\partial q_{k}}}={\tfrac {\partial a_{k}}{\partial q_{i}}} $.
Im Fall von holonomen Zwangsbedingungen kann man neue Koordinaten $ q_{i} $ einführen, die diese implizit enthalten, sogenannte generalisierte Koordinaten. Mit der kinetischen Energie
und Potentialkräften
(die auch durch generalisierte Koordinaten ausgedrückt sind und dann als generalisierte Kräfte bezeichnet werden – sie haben nicht unbedingt die Dimension einer Kraft) lassen sich die Bewegungsgleichungen auch schreiben
oder mit der Lagrange-Funktion $ L=T-V $ (Lagrange-Gleichung 2. Art):
Treten wie in diesem Fall nur aus einem Potential ableitbare Kräfte (Potentialkräfte) auf, spricht man von konservativen Kräften.
Bemerkung: Manchmal lassen sich die generalisierten Kräfte durch ein geschwindigkeitsabhängiges generalisiertes Potential $ V(q_{1},\ldots ,q_{n},{\dot {q}}_{1},\ldots ,{\dot {q}}_{n},t) $ in folgender Form schreiben
Auch dann ergeben sich die Bewegungsgleichungen
mit der Lagrange-Funktion $ L $:
Das System ist dann aber nicht mehr im üblichen Sinn konservativ. Ein Beispiel ist das elektromagnetische Feld (siehe unten).
Manchmal hat man aber noch nicht-konservative Kräfte $ Q_{i}^{*} $, so dass sich die Gleichungen schreiben:
Ein Beispiel sind Systeme mit nicht-holonomen Zwangsbedingungen (siehe oben) oder Reibungskräften (zum Beispiel Rayleighsche Dissipationsfunktion).
Die Lagrange-Gleichungen zweiter Art ergeben sich als sogenannte Euler-Lagrange-Gleichungen[4] eines Variationsproblems und liefern die Bewegungsgleichungen, wenn die Lagrange-Funktion gegeben ist. Sie folgen aus der Variation des mit der Lagrange-Funktion gebildeten Wirkungsintegrals im Hamiltonschen Prinzip. Dazu betrachtet man alle möglichen Bahnkurven $ q(t) $ im Raum der generalisierten Koordinaten zwischen festen Anfangs- und Endpunkten. Man betrachtet die Änderung des Wirkungsintegrals bei Variation der Bahnkurven
Das hamiltonsche Prinzip besagt, dass für die klassische Bahn das Wirkungsintegral stationär unter Variation der Bahnkurven ist:
Eine Näherung in erster Ordnung lautet für eine gewöhnliche Funktion $ f(x,y) $
also
In erster Ordnung ergibt sich die Variation des Integrals also zu
Nun führt man eine partielle Integration in dem Term aus, der die Ableitung nach der Zeit enthält:
Hierbei wird benutzt, dass
ist, da Anfangs- und Endpunkt festgehalten werden. Daher gilt für die Randterme
Damit resultiert schließlich
Da nun $ \delta q $ als Faktor des gesamten Integrals auftritt und beliebig ist, kann das Integral nur dann nach dem Variationsprinzip verschwinden, wenn der Integrand selbst verschwindet. Es folgen die Lagrange-Gleichungen oder Lagrange-Gleichungen zweiter Art (die Euler-Lagrange-Gleichungen des hier betrachteten Variationsproblems):
Für jede generalisierte Koordinate $ q_{i} $ (und die zugehörige generalisierte Geschwindigkeit $ {\dot {q}}_{i} $) gibt es eine solche Gleichung. Die Lagrange-Gleichungen bilden ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen zweiter Ordnung bezüglich der Zeitableitung. Wie viele Differentialgleichungen das im Endeffekt sind, weiß man erst, wenn die Zahl der Freiheitsgrade des Systems berechnet wurde.
Wenn die Lagrange-Funktion $ L $ nicht von einer Koordinate $ q $ abhängt, sondern nur von der zugehörigen Geschwindigkeit $ {\dot {q}} $, dann nennt man $ q $ zyklisch, zyklische Koordinate oder zyklische Variable. Der zur zyklischen Variablen $ q $ konjugierte Impuls
ist eine Erhaltungsgröße; sein Wert ändert sich nicht während der Bewegung, wie gleich gezeigt wird: Wenn die Lagrange-Funktion nicht von $ q $ abhängt, gilt
Dann folgt aber aus der Euler-Lagrange-Gleichung, dass die Zeitableitung des zugehörigen konjugierten Impulses verschwindet und er somit zeitlich konstant ist:
Allgemeiner gehört nach dem Noether-Theorem zu jeder kontinuierlichen Symmetrie der Wirkung eine Erhaltungsgröße. Bei einer zyklischen Variablen ist die Wirkung invariant unter der Verschiebung von $ q $ um eine beliebige Konstante, $ q\rightarrow q+c\,. $
In der Feldtheorie ergibt sich die Bewegungsgleichung aus dem hamiltonschen Prinzip für Felder zu
wobei $ \phi =\phi (x,y,z,t) $ das betrachtete Feld und $ {\mathcal {L}}={\mathcal {L}}\left(\phi ,{\frac {\partial \phi }{\partial x}},{\frac {\partial \phi }{\partial y}},{\frac {\partial \phi }{\partial z}},{\frac {\partial \phi }{\partial t}},x,y,z,t\right) $ die Lagrange-Dichte sind.
Man kann dies in Kurzform auch schreiben als
mit der so definierten Variationsableitung $ {\frac {\delta {\mathcal {L}}}{\delta \phi }}:={\frac {\partial {\mathcal {L}}}{\partial \phi _{i}}}-{\partial _{\mu }}\left({\frac {\partial {\mathcal {L}}}{\partial (\partial _{\mu }\phi _{i})}}\right) $.
Hinweis: Der Lagrange-Formalismus ist auch der Ausgangspunkt vieler Formulierungen der Quantenfeldtheorie.
In der relativistischen Mechanik kann die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens aus dem hamiltonschen Prinzip abgeleitet werden, indem für die Wirkung der einfachste Fall eines relativistischen Skalars angenommen wird:
wobei $ \mathrm {d} s=c\,\mathrm {d} \tau =c\,\mathrm {d} t{\sqrt {1-{\frac {v^{2}}{c^{2}}}}} $ das zur Eigenzeit proportionale relativistische Linienelement ist und ein konstanter Faktor $ \,(-mc) $ gewählt wurde.
Die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens ist hier nicht mehr mit der kinetischen Energie identisch (manchmal spricht man deshalb auch von kinetischer Ergänzungsenergie T in der Lagrange-Funktion). Die relativistische kinetische Energie eines Körpers mit der Masse $ m $ und Geschwindigkeit $ v={\dot {\mathbf {x} }} $ ohne Zwangsbedingungen beträgt
wohingegen für die Lagrange-Funktion die kinetische Ergänzungsenergie
maßgeblich ist. Die Lagrange-Funktion für ein Teilchen in einem Potential V ergibt sich dann zu
Für ein $ N $-Teilchensystem ist die Lagrange-Funktion mit den generalisierten Koordinaten
wobei $ n=3N-s $ die Anzahl der Freiheitsgrade und $ s $ die Anzahl der holonomen Zwangsbedingungen ist.
Für kleine Geschwindigkeiten $ |{\dot {\mathbf {x} }}|\ll c $ kann man die Wurzel bis zur ersten Ordnung entwickeln $ {\sqrt {1-x}}=1-x/2 $:
Die nullte Ordnung der Entwicklung ist eine Konstante, die negative Ruheenergie. Da die Lagrange-Gleichungen invariant sind unter Addition einer Konstanten zur Lagrange-Funktion, kann man den konstanten ersten Term weglassen und man erhält wieder die klassische kinetische Energie:
Richard Feynman hat als Erster diese Herangehensweise auch konsequent für die Herleitung der Gleichungen der Quantenmechanik verwendet. In der klassischen Physik ergeben sich die oben beschriebenen Lagrange-Gleichungen aus der Forderung, dass das Wirkungsintegral stationär wird. In Feynmans Pfadintegral-Formalismus ist die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude, dass ein System zwischen Anfangs- und Endbedingungen einen bestimmten Pfad einschlägt, proportional zu $ e^{\frac {iW}{\hbar }} $ mit dem Wirkungsintegral $ W $. Pfade in der Umgebung des klassischen Weges, für den die Variation von $ W $ verschwindet, liefern dabei meist die Hauptbeiträge, da sich in ihrer Umgebung die Beiträge mit fast gleichen Phasenfaktoren addieren.
Eine Masse $ m $ sei über zwei Federn mit Federkonstante $ c $ und festen Randbedingungen verbunden. Grundvoraussetzung zur Beschreibung des Problems im Lagrange-Formalismus ist das Aufstellen der Lagrange-Funktion, indem man die Terme für kinetische Energie $ T $ und potentielle Energie $ V $ aufstellt:
Die Lagrange-Funktion lautet daher:
Die Lagrange-Funktion wiederum wird zur analytischen Beschreibung des physikalischen Problems in die Euler-Lagrange-Gleichung eingesetzt, was dann auf Gleichungen führt, die den Bewegungsgleichungen in der Newtonschen Mechanik entsprechen. In diesem Beispiel lautet die generalisierte Koordinate $ x $, die Euler-Lagrange-Gleichung
Dies führt mit obigen Formeln für $ L $ auf
und damit auf die Bewegungsgleichung des Systems:
Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist $ x(t)=A\cos(\omega t+\varphi ) $, $ t $ ist die Zeit, $ \textstyle \omega ={\sqrt {c/m}} $ die Kreisfrequenz. Die konstante Amplitude $ A $ und Phase $ \varphi $ können aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden.
Eine Punktladung $ q $ mit Masse $ m $ bewege sich im elektromagnetischen Feld. Die generalisierten Koordinaten entsprechen den kartesischen Koordinaten in 3 Raumdimensionen.
Die Felder (Magnetfeld $ \mathbf {B} $ und elektrisches Feld $ \mathbf {E} $) werden über das Skalarpotential $ \phi $ und das Vektorpotential $ \mathbf {A} $ bestimmt:
Die kinetische Energie des Teilchens ist klassisch:
Das „Potential“ ist hier allerdings geschwindigkeitsabhängig, man spricht deshalb wie oben dargestellt von einem generalisierten Potential:
Somit ist die Lagrange-Funktion eines geladenen Teilchens im elektromagnetischen Feld:
Die Euler-Lagrange-Gleichung $ {\frac {d}{dt}}\nabla _{\dot {\mathbf {x} }}L-\nabla _{\mathbf {x} }L=0 $ führt auf die Bewegungsgleichung, auf deren rechter Seite die Lorentzkraft steht:
Die Achse einer Aufzugtrommel wird durch ein Drehmoment $ M $ angetrieben. Die Masse der Last beträgt $ m $, das Massenträgheitsmoment der Trommel ist $ J $. Der Radius der Trommel ist $ r $.
Zwischen den Koordinaten $ x $ und $ \varphi $ besteht folgende Beziehung:
$ \Rightarrow \;{\dot {x}}=r{\dot {\varphi }} $
$ \Rightarrow \;\delta x=r\delta \varphi $
Die kinetische Energie ist:
Die virtuelle Arbeit der eingeprägten Kräfte ist
$ \Rightarrow \;Q=-mgr+M $
Daraus folgt schließlich die Bewegungsgleichung
Die Auflösung dieser Gleichung nach der Winkelbeschleunigung ergibt
Bei der Atwoodschen Fallmaschine betrachtet man zwei Punktmassen im Gravitationsfeld der Erde, die über eine Rolle in der Höhe h aufgehängt und durch ein Seil der Länge l verbunden seien. Die Zwangsbedingung lautet in diesem Fall:
Wird das Seil berücksichtigt, das auf der Rolle (Rollenradius r) liegt, dann ergibt sich:
Die potentielle Energie V berechnet sich zu:
Für die Gradienten erhält man
Dies führt auf das System der Lagrange-Gleichungen 1. Art:
Dies kann man auflösen und erhält z. B. für bekannte Anfangsbedingungen:
Die 1. Masse ($ m_{1} $) ist auf einer dünnen Platte durch ein Loch in der Mitte der Platte durch ein Seil mit konstanter Länge ($ l $) mit einer 2. Masse ($ m_{2} $) verbunden, die sich nur in z-Richtung bewegt (die z-Achse zeige in Richtung Erdmittelpunkt).
Die Zwangsbedingungen $ g_{i} $ lauten:
Aus 4 Zwangsbedingungen bei 2 Massen im $ \mathbb {R} ^{3} $ ergeben sich $ 6-4=2 $ Freiheitsgrade. Für dieses Problem empfiehlt es sich aufgrund der Azimutalsymmetrie Zylinderkoordinaten zu verwenden. So können die generalisierten Koordinaten einfach bestimmt werden.
In Zylinderkoordinaten können die beiden generalisierten Koordinaten nun als
gewählt werden, wobei mittels der 4. Zwangsbedingung auch die Bewegung der $ m_{2} $ durch $ r_{1} $ beschrieben wird;
Die kinetische Energie des Systems lautet nun
Da $ z_{1}=0 $ und sich damit nur die potentielle Energie bei der 2. Masse verändert, lautet sie
Daraus folgt dann die Lagrangefunktion
Da bei dieser Problemstellung zwei generalisierte Koordinaten vorliegen, folgt jeweils eine Bewegungsgleichung für $ r_{1} $ und $ \phi _{1} $:
Aus der Gleichung für $ \phi $ zeigt sich in der Form
die Existenz einer Erhaltungsgröße, des Drehimpulses in $ z $-Richtung $ L_{1}^{z}=m_{1}r_{1}^{2}{\dot {\phi }}_{1} $, der nach dem Noether-Theorem aus der Unabhängigkeit der Lagrangefunktion von der Variablen $ q_{2}=\phi _{1} $ folgt.
In der allgemeinen Relativitätstheorie durchlaufen frei fallende Teilchen Weltlinien längster Zeit: Zwischen zwei (genügend nah beieinander liegenden) Ereignissen $ A $ und $ B $ vergeht auf einer mitgeführten Uhr auf der Weltlinie frei fallender Teilchen mehr Zeit als auf allen anderen Weltlinien durch diese Ereignisse. Sei $ s $ ein entlang des Pfades monoton wachsender Laufparameter, so ergibt sich die verstrichene Zeit zu
mit der Lagrange-Funktion
Dabei sind $ g_{mn}(x) $ die Komponentenfunktionen der Metrik (sowohl Raum- als auch Zeitkomponenten). Wir rechnen einfachheitshalber in Maßsystemen, in denen die Lichtgeschwindigkeit dimensionslos ist und den Wert $ c=1 $ hat, und verwenden die Einsteinsche Summenkonvention.
Der zu $ x^{k} $ konjugierte Impuls ist
und die Euler-Lagrange-Gleichungen lauten
Verwenden wir hier als Abkürzung das Christoffel-Symbol
so erweist sich die Weltlinie längster Dauer als Gerade: Die Richtung der Tangente an die Weltlinie
ändert sich nicht bei Parallelverschiebung längs der Weltlinie
Die Parametrisierung wird nicht festgelegt. Verfügen wir so über sie, dass der Tangentialvektor überall gleich lang ist, dann ist $ {\sqrt {g_{mn}\,{\dot {x}}^{m}\,{\dot {x}}^{n}}} $ konstant und der Tangentialvektor geht beim Durchlaufen der Weltlinie in sich über. Sie erfüllt die Geodätengleichung
Dies ist die allgemein-relativistische Form der Bewegungsgleichung eines frei fallenden Teilchens. Die Gravitation ist in den $ \Gamma _{rs}^{l} $ voll berücksichtigt.
Der Lagrange-Formalismus wird in vielen ein- und weiterführenden Lehrbüchern der klassischen Mechanik behandelt.
Literatur zu Pfadintegralen.