Einsteins glücklichster Gedanke: die bisher beste Bestätigung

Einsteins glücklichster Gedanke: die bisher beste Bestätigung

Physik-News vom 10.06.2020
 

Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Astronomen vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat in einem Dreifachsternsystem mit dem Pulsar PSR J0337+1715 und zwei Weißen Zwergen mit extrem hoher Präzision vermessen, dass sich Neutronensterne und Weiße Zwerge in einem Schwerefeld mit gleicher Beschleunigung bewegen. Dies bedeutet die bisher beste Überprüfung einer fundamentalen Vorhersage der allgemeinen Relativitätstheorie, dass nämlich die Schwerkraft alle Objekte mit der gleichen Beschleunigung anzieht, unabhängig von deren Zusammensetzung, Dichte oder Stärke des eigenen Gravitationsfeldes.

Der Pulsar PSR J0337+1715 in Richtung des Sternbilds Stier (Taurus) ist ein Neutronenstern von 1,44 Sonnenmassen, der sich 366mal pro Sekunde um die eigene Achse dreht und dabei einem Leuchtturm gleich regelmäßige Radiopulse in dieser Frequenz Richtung Erde sendet. Er bildet eine Komponente in einem außergewöhnlichen Dreifachsternsystem, in gegenseitiger Wechselwirkung mit zwei weiteren Sternen, beides Weiße Zwerge (vgl. Abb. 1). Ein Weißer Zwerg ist ein recht exotisches Objekt, nämlich ein Stern von ungefähr Erdgröße, aber mit einer Dichte von vielen Hundert Kilogramm pro Kubikzentimeter in seinem zentralen Bereich. Verglichen mit Weißen Zwergen sind Neutronensterne aber noch wesentlich extremer. Mit einer Masse größer als die unserer Sonne zusammengequetscht in einem Gebiet von nur etwas mehr als 20 km Durchmesser erreichen sie zentrale Dichten von mehr als einer Milliarde Tonnen im Volumen eines Zuckerwürfels.


PSR J0337+1715: Dreifachsternsystems aus einem Pulsar und zwei Weißen Zwergen. Das grüne Netz verdeutlicht die durch die Massen verursachte Raumzeitkrümmung. Größen und Abstände nicht maßstäblich.

Publikation:


G. Voisin et al.
An improved test of the strong equivalence principle with the pulsar in a triple star system
Astronomy & Astrophysics 638, A24 (10. Juni 2020)

DOI: 10.1051/0004-6361/202038104



Ein Test für die Universalität des freien Falls

Ein Forscherteam unter der Leitung von Guillaume Voisin (Jodrell Bank Centre for Astrophysics/UK und Observatoire de Paris), unter Beteiligung von Paulo Freire, Norbert Wex und Michael Kramer vom Bonner Radioastronomie'>Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) sowie Wissenschaftlern aus mehreren Forschungsinstituten in Frankreich, hat mit dem Nançay-Radioteleskop in der Sologne-Region in Frankreich (Abb. 2) die Ankunftszeiten der Radio-pulse von PSR J0337+1715 über einen Zeitraum von acht Jahren genau vermessen. Als Ergebnis können die Wissenschaftler nun zeigen, dass Neutronensterne und Weiße Zwerge sich mit einer Genauigkeit von zwei Teilen pro Million mit gleicher Beschleunigung in einem Schwerefeld bewegen.

Diese fundamentale Eigenschaft, bekannt unter dem Stichwort “Universalität des freien Falls“, bildet die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. „Die Bestätigung mit dieser Genauigkeit stellt einen der bisher überzeugendsten Tests überhaupt für Einsteins Theorie dar – und die Theorie besteht den Test mit Bravour“, sagt Dr. Guillaume Voisin. „Das bedeutet, dass für alternative Theorien der Schwerkraft, die in Konkurrenz zur allgemeinen Relativitätstheorie zum Beispiel zur Erklärung der „Dunklen Energie“ vorgeschlagen werden, enge Grenzen gesetzt werden.“


Das Radioteleskop'>Nançay-Radioteleskop in Frankreich.

Was ist die Universalität des freien Falls?

Die Universalität des freien Falls ist eine einzigartige Eigenschaft der Gravitation. Im Unterschied zu allen anderen Wechselwirkungen in der Natur zieht die Schwerkraft alle materiellen Objekte mit gleicher Beschleunigung an. Galileo Galilei hat angeblich eine Reihe unterschiedlich großer Gewichte vom Schiefen Turm von Pisa aus herunterfallen lassen, um dies zu überprüfen. Später hat Isaak Newton diesen Sachverhalt als fundamentale Eigenschaft der Gravitation bezeichnet, ohne es indes näher zu erklären. Die höchste Genauigkeit bei der Überprüfung der Universalität des freien Falls konnte bisher mit einem speziell dafür entwickelten Satelliten namens MICROSCOPE erreicht werden, der vom französischen „Centre Nationale d'Études Spatiales“ entwickelt wurde. Die kleinen Prüfmassen im Inneren des Satelliten zeigen eine identische Beschleunigung im Schwerefeld der Erde bis zu einer Genauigkeit von 1 zu 10^14 (oder 1 zu 100 Billionen).

Einsteins glücklichster Gedanke

Nach der Veröffentlichung seiner speziellen Relativitätstheorie im Jahr 1905 begann Einstein darüber nachzudenken, wie er seine neue Theorie mit der Gravitation zusammenbringen könnte, da Newtons Gravitationsgesetz mit dem Relativitätsprinzip in der speziellen Relativitätstheorie unvereinbar ist. Im Herbst 1907 kam ihm ein entscheidender Gedanke, dass es einem Beobachter im freien Fall genauso erscheint, als ob die Gravitation ausgeschaltet worden wäre. Aufgrund der Universalität des freien Falls wird nämlich alles in seinem Umfeld auf die gleiche Weise beschleunigt. Diese einfache aber trotzdem tiefgreifende Erkenntnis brachte Einstein schließlich dazu, die Gravitation als ein Resultat der gekrümmten Raumzeit anzusehen, die in gleicher Art auf alle Massen einwirkt und ein Schlüsselkonzept der allgemeinen Relativitätstheorie darstellt. Er hat diese plötzliche Eingebung später als „den glücklichsten Gedanken meines Lebens“ bezeichnet.

Da Experimente wie der MICROSCOPE-Satellit die Universalität des freien Falls mit derart hoher Genauigkeit bestätigen konnten, haben die meisten Gravitationstheorien inklusive der allgemeinen Relativitätstheorie selbst Einsteins Erkenntnis als Grundvoraussetzung integriert. Das heißt, dass alle diese Theorien die Gravitation als geometrisches Phänomen beschreiben, das aus der Krümmung der Raumzeit resultiert. Die anderen Theorien unterscheiden sich von der allgemeinen Relativitätstheorie nur dadurch, wie die Raumzeit durch die Massen großer Objekte verbogen wird, was sich durch radioastronomische Beobachtungen von Neutronensternen besonders gut testen lässt.

Wie unterscheidet sich die allgemeine Relativitätstheorie von anderen Theorien der Schwerkraft?

Obwohl alle die genannten Theorien vorhersagen, dass kleine Objekte sich mit identischer Beschleunigung im gleichen Gravitationsfeld bewegen, ist der Sachverhalt nicht mehr so einfach, wenn es sich statt kleiner Körper um astronomische Objekte mit großer Masse handelt, die durch die Gravitation selbst zusammengehalten werden. In diesem Fall vermittelt die allgemeine Relativitätstheorie das einfachste Bild, dass nämlich die Universalität des freien Falls auch für solche „selbstgravitierenden“ Objekte gilt, während viele alternative Theorien zur Gravitation Abweichungen von einer universellen Beschleunigung vorhersagen. Diese Abweichungen vergrößern sich in der Regel in dem Maß, mit dem die Raumzeit durch die Masse des Objekts selbst verkrümmt wird. Für Objekte wie die Erde, die Sonne und selbst weiße Zwergsterne ist das Maß der Raumkrümmung ziemlich klein. Im Vergleich dazu ist die Raumkrümmung bei Neutronensternen Millionen bis Billionen mal stärker. In Gravitationstheorien, die eine Verletzung der Universalität des freien Falls in Bezug auf die Eigengravitation der Objekte vorhersagen, ist das Ausmaß dieser Verletzung im Fall von Neutronensternen generell wesentlich stärker als bei allen anderen Objekten.

Ein Pulsar in einem Dreifach-Sternsystem

Im Jahr 2014 entdeckten Radioastronomen, dass der Pulsar PSR J0337+1715 zusammen mit zwei Weißen Zwergen ein Dreifachsternsystem bildet. Dieses System stellt ein ideales Labor dar, um die Universalität des freien Falls für einen Neutronenstern zu überprüfen. Durch die systematische Erfassung der Bewegung des Pulsars aufgrund seiner Radiosignale konnte nun ein hochpräziser Test durchgeführt werden, der zeigt, ob der Pulsar sich mit der gleichen Beschleunigung im Gravitationsfeld des äußeren Weißen Zwergs bewegt wie der benachbarte „innere“ Weiße Zwerg. Der neue Test verbessert frühere Untersuchungen des gleichen Systems in zweifacher Hinsicht. Zum einen liefert er einen schärferen Grenzwert für einen Unterschied in der Schwerebeschleunigung zwischen Pulsar und innerem Weißen Zwerg, zum anderen verwendet er Ergebnisse zu den Eigenschaften von Neutronensternen, die sich aus der vernichtenden Kollision zweier Neutronensterne ergeben, die mit den LIGO/VIRGO-Gravitationswellenobservatorien beobachtet werden konnte. „Der zweite Aspekt ist besonders wichtig in Hinblick auf die Abgrenzung der allgemeinen Relativitätstheorie zu alternativen Gravitationstheorien“, erklärt Dr. Norbert Wex vom MPIfR, ein Ko-autor der Veröffentlichung.



PSR J0337+1715 zeigt uns also, dass Einsteins geniale Einsicht auch bei so extremen Objekten wie Neutronensternen zutrifft, die erst ein halbes Jahrhundert nach der Veröffentlichung der allgemeinen Relativitätstheorie entdeckt wurden. „Vielleicht mehr als in allen vorhergehenden Studien zeigt dieses Ergebnis, dass Einsteins glücklichster Gedanke tatsächlich eine fundamentale Aussage über die Gravitation und die innere Funktion der Natur darstellt“, schließt Dr. Paulo Freire, ein weiterer Ko-autor vom MPIfR.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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