2.000 Atome an zwei Orten gleichzeitig
Physik-News vom 23.09.2019
Das Prinzip der Quantenüberlagerung wurde in einer neuen Studie von Wissenschaftlern der Universität Wien in Zusammenarbeit mit der Universität Basel, in einem bisher unerreichten Maßstab getestet. Heiße, komplexe Moleküle bestehend aus fast zweitausend Atomen wurden in eine Quantenüberlagerung gebracht und interferiert. Durch die Bestätigung dieses Phänomens – nach Richard Feynman "das Herz der Quantenmechanik" – auf einer größeren Massenskala wurden neue Beschränkungen für eine Klasse alternativer Theorien zur Quantenmechanik aufgestellt. Die Arbeit wird in Nature Physics veröffentlicht.
Quanten zu Klassik?
Das Überlagerungsprinzip ist ein Kennzeichen der Quantentheorie, das aus einer der grundlegendsten Gleichungen der Quantenmechanik hervorgeht, der Schrödinger-Gleichung. Sie beschreibt Partikel im Rahmen von Wellenfunktionen, die ähnlich wie Wasserwellen auf der Oberfläche eines Teiches Interferenzeffekte aufweisen können. Im Gegensatz zu Wasserwellen, die ein kollektives Verhalten vieler wechselwirkender Wassermoleküle darstellen, können Quantenwellen aber auch mit isolierten Einzelpartikeln assoziiert werden.
Publikation:
Y. Y. Fein, P. Geyer, P. Zwick, F. Kiałka, S. Pedalino, M. Mayor, S. Gerlich, and M. Arndt
Quantum superposition of molecules beyond 25 kDa
Nat. Phys. (2019)
DOI: 10.1038/s41567-019-0663-9
Das vielleicht eleganteste Beispiel für die Wellennatur von Partikeln ist das Doppelspaltexperiment, bei dem die Wellenfunktion eines Partikels gleichzeitig zwei Schlitze durchläuft und dahinter interferiert. Dieser Effekt wurde für Photonen, Elektronen, Neutronen, Atome und sogar Moleküle demonstriert und wirft eine Frage auf, mit der Physikerinnen und Physiker und Philosophinnen seit den Anfängen der Quantenmechanik zu kämpfen haben: Wie gehen diese merkwürdigen Quanteneffekte in die klassische Welt über, mit der wir im Alltag vertraut sind?
Experimenteller Ansatz
Die Experimente von Markus Arndt und seinem Team an der Universität Wien nähern sich dieser Frage auf möglichst direkte Weise, indem sie Quanteninterferenzen mit immer massereicheren Objekten aufzeigen. Die Moleküle in den jüngsten Experimenten haben Massen von mehr als 25.000 atomaren Masseneinheiten, ein Vielfaches des vorherigen Rekordes. Eines der größten Moleküle, das durch das Interferometer geschickt wird, C707H260F908N16S53Zn4, besteht aus mehr als 40.000 Protonen, Neutronen und Elektronen mit einer de Broglie Wellenlänge, die tausendmal kleiner ist als der Durchmesser eines einzelnen Wasserstoffatoms. Marcel Mayor und sein Team an der Universität Basel verwendeten spezielle Techniken um derart massive Moleküle zu synthetisieren, die dennoch ausreichend stabil sind um einen Molekularstrahl im Ultrahochvakuum zu bilden. Der Nachweis der Quantennatur solcher massenreichen Teilchen erforderte auch ein neues, zwei Meter langes Materiewelleninterferometer, das zu diesem Zweck in Wien gebaut wurde.
Alternative Quantenmodelle und Makroskopizität
Eine Klasse von Modellen, die darauf abzielt, den vermeintlichen Übergang von einem Quanten- zu einem klassischen Regime in Einklang zu bringen, sagt voraus, dass die Wellenfunktion eines Teilchens spontan mit einer Rate zusammenbricht, die proportional zu dem Quadrat seiner Masse ist. Indem gezeigt wird, dass eine Überlagerung für ein schweres Teilchen für eine bestimmte Zeitdauer aufrechterhalten wird, wird daher direkt festgelegt, wie oft und wie lokalisiert der Kollapsvorgang sein kann. In diesen Experimenten blieben die Moleküle länger als 7 ms in einer Überlagerung – genug um alternative Quantenmodelle mit neuen interferometrischen Grenzen zu versehen.
Ein als Makroskopizität bezeichnetes, verallgemeinertes Maß wird verwendet, um zu klassifizieren, wie gut alternative Modelle durch solche Experimente ausgeschlossen werden. Die Experimente von Fein et al., veröffentlicht in Nature Physics, stellen in der Tat eine Zunahme der Makroskopizität um eine Größenordnung dar. "Unsere Experimente zeigen, dass die Quantenmechanik, bei all ihrer Verrücktheit, auch erstaunlich robust ist und ich bin optimistisch, dass zukünftige Experimente sie in noch größerem Maßstab testen werden", sagt Yaakov Fein. Die Grenzen zwischen der quanten- und der klassischen Welt wird immer unschärfer.
Diese Newsmeldung wurde via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.