Temperaturkoeffizient

Temperaturabhängigkeit ist eine Weiterleitung auf diesen Artikel. Zur Temperaturabhängigkeit chemischer Reaktionsgeschwindigkeiten siehe Arrhenius-Gleichung.

Ein Temperaturkoeffizient (Temperaturbeiwert) beschreibt die relative Änderung einer jeweils bestimmten physikalischen Größe bei Änderung der Temperatur gegenüber einer festgelegten Referenztemperatur. Die interessierende Größe ist meist, aber nicht immer eine Materialeigenschaft.

Temperaturkoeffizienten werden für verschiedene Größen wie beispielsweise die Länge, das Volumen (siehe Ausdehnungskoeffizient), den Druck, den elektrischen Widerstand oder die Spannung an einer Halbleiterdiode betrachtet. Ein mehr oder weniger linearer Zusammenhang der jeweiligen Größe mit der Temperatur, also ein annähernd konstanter Temperaturkoeffizient, liegt im Allgemeinen nur in einem begrenzten Temperaturbereich vor.

Grundlagen

Ist die interessierende Größe $ \xi $ hysteresefrei und ohne Sprungstellen von der Temperatur $ T $ abhängig, also eindeutig, kann ihre Temperaturabhängigkeit ausgehend von der Referenztemperatur $ T_{0} $ beschrieben werden. Im einfachsten Fall genügt eine Näherungsfunktion mit einem einzigen Temperaturkoeffizienten:

$ \xi (T)=\xi (T_{0})\cdot \left[1+\alpha _{T_{0}}\cdot \left(T-T_{0}\right)\right] $

Als Bezugstemperatur wird oft 20 °C gewählt.

$ \xi (T)=\xi (20\,^{\circ }\mathrm {C} )\cdot \left[1+\alpha _{20}\cdot \left(T-20\,^{\circ }\mathrm {C} \right)\right] $

Allgemein kann jede Temperaturkennlinie durch eine Taylorreihe beschrieben werden:

$ {\xi (T)=\xi (T_{0}+\Delta T)=\xi (T_{0})\cdot (1+\alpha _{T_{0}}\cdot {\Delta T}+\beta _{T_{0}}\cdot {\Delta T}^{2}+\gamma _{T_{0}}\cdot {\Delta T}^{3}+\dotsb +k_{n,T_{0}}\cdot {\Delta T}^{n}+\dotsb )} $

Angenähert durch ein Taylorpolynom $ n $-ten Grades ergibt sich die Approximation:

$ {\xi (T)=\xi (T_{0}+\Delta T)=\xi (T_{0})\cdot (1+\alpha _{T_{0}}\cdot {\Delta T}+\beta _{T_{0}}\cdot {\Delta T}^{2}+\gamma _{T_{0}}\cdot {\Delta T}^{3}+\dotsb +k_{n,T_{0}}\cdot {\Delta T}^{n})} $

Für $ n=1 $ ergibt sich die meist verwendete lineare Approximation:

$ \xi (T)=\xi (T_{0}+\Delta T)=\xi (T_{0})\cdot (1+\alpha _{T_{0}}\cdot \Delta T) $

Dabei ist

  • $ \Delta T $ die Temperaturdifferenz zur Referenztemperatur ($ T-T_{0} $),
  • $ \alpha _{T_{0}} $ der Temperaturkoeffizient 1. Ordnung bei der Referenztemperatur $ T_{0} $,
  • $ \beta _{T_{0}} $ der Temperaturkoeffizient 2. Ordnung bei $ T_{0} $,
  • $ \gamma _{T_{0}} $ der Temperaturkoeffizient 3. Ordnung bei $ T_{0} $,
  • $ k_{n,{T_{0}}} $ der Temperaturkoeffizient $ n $-ter Ordnung bei $ T_{0} $.

Die Temperaturkoeffizienten können wie folgt durch Ableitung der bekannten Funktion $ \xi (\tau ) $ berechnet werden:

$ \alpha _{T_{0}}={\frac {1}{1\,\xi (T_{0})}}\cdot \left.{\frac {\mathrm {d} \xi (\tau )}{\mathrm {d} \tau }}\right|_{\tau =T_{0}} $
$ \beta _{T_{0}}={\frac {1}{2!\,\xi (T_{0})}}\cdot \left.{\frac {\mathrm {d} ^{2}\xi (\tau )}{\mathrm {d} \tau ^{2}}}\right|_{\tau =T_{0}} $
$ \gamma _{T_{0}}={\frac {1}{3!\,\xi (T_{0})}}\cdot \left.{\frac {\mathrm {d} ^{3}\xi (\tau )}{\mathrm {d} \tau ^{3}}}\right|_{\tau =T_{0}} $
$ k_{n,T_{0}}={\frac {1}{n!\,\xi (T_{0})}}\cdot \left.{\frac {\mathrm {d} ^{n}\xi (\tau )}{\mathrm {d} \tau ^{n}}}\right|_{\tau =T_{0}} $

Es ist zu beachten, dass die Temperaturkoeffizienten von der Bezugstemperatur $ T_{0} $ abhängen.

Beispiel: Temperaturkoeffizienten beim idealen Gas

Für das ideale Gas sind die Temperaturkoeffizienten für Druck- und Volumenänderung gleich $ {\frac {1}{273{,}15}}\,\mathrm {K} ^{-1} $.

Bei den idealisierenden Annahmen sind Druck- und Volumenänderung linear.

Beispiel: Temperaturkoeffizient des elektrischen Widerstands

Die Temperaturabhängigkeit des elektrischen Widerstands von Bauelementen (Leitungen, Widerständen) muss bei der Konstruktion von Baugruppen und der Auslegung von Schaltungen immer einkalkuliert werden. Andererseits wird diese Eigenschaft auch genutzt, z. B. bei Widerstandsthermometern.

Da der Temperaturkoeffizient des elektrischen Widerstands streng genommen nicht konstant ist, gibt es Polynome zur Berechnung des Widerstands aus der vorliegenden Temperatur, zum Beispiel genormt für das Platin-Widerstandsthermometer. Für regelungstechnische Anwendungen sind oft lineare Funktionen erwünscht. Der lineare Temperaturkoeffizient $ \alpha $ gibt die relative Änderung des Widerstandswertes pro Änderung der Temperatur zu einer Bezugstemperatur an; diese wird statt 20 °C oft zu 0 °C oder 25 °C gewählt. Bei den in der Elektrotechnik wichtigen Leitermaterialien Kupfer und Aluminium kann im Temperaturbereich 0 °C bis 50 °C für Abschätzungen mit dem Wert 0,4 % pro Kelvin gerechnet werden.

Handelsübliche Kleinleistungswiderstände, welche über den gesamten Betriebstemperaturbereich einen möglichst konstanten Widerstandswert aufweisen sollen, weisen übliche Temperaturkoeffizienten im Bereich von 100 ppm pro Kelvin bis 200 ppm pro Kelvin auf, Präzisionswiderstände sind im Bereich von 50 ppm pro Kelvin bis hinunter zu 1 ppm pro Kelvin verfügbar. Der lineare Temperaturkoeffizient wird in diesem Fall mit dem Präfix TK angegeben (im Englischen mit dem Präfix „TC“, für {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value)), beispielsweise TK100 für einen Widerstand mit 100 ppm pro Kelvin.

Lineare Widerstands-Temperaturkoeffizienten einiger Stoffe bei 20 °C
Reine Metalle $ \alpha $ in K−1 Legierungen $ \alpha $ in K−1 Nichtmetalle $ \alpha $ in K−1
Aluminium (99,5 %) 4,0 · 10−3[1] Aldrey (AlMgSi) 3,6 · 10−3[1] Kohlenstoff −0,5 · 10−3[2]
Blei 4,2 · 10−3[1] Berylliumbronze (SnBe4Pb) 0,5 · 10−3 Graphit −0,2 · 10−3
Eisen (rein) 6,57 · 10−3[3] Manganin (Cu84Ni4Mn12) ±0,04 · 10−3 Lichtbogen-Kohle 0,5 · 10−3[4]
Gold 3,7 · 10−3[1] Konstantan (CuNi44) ±0,01 · 10−3[1] Germanium −48 · 10−3[2]
Kupfer (99,9 %) 3,93 · 10−3[1] Isaohm ±0,003 · 10−3[5] Silizium −75 · 10−3[2]
Nickel 6,0 · 10−3[1] Messing (CuZn37) 1,6 · 10−3[1]
Platin 3,92 · 10−3[6] Weicheisen (4 % Si) 0,9 · 10−3[4]
Quecksilber 0,9 · 10−3[1] Stahl C15 5,7 · 10−3
Silber 3,8 · 10−3[1]
Tantal 3,3 · 10−3[1]
Wolfram 4,4 · 10−3[1]

Weitere Beispiele

Neben den bereits genannten allgemein bekannten Temperaturkoeffizienten für den elektrischen Widerstand oder für Druck- und Volumenänderung für ideale Gase gibt es noch zahlreiche andere Temperaturkoeffizienten. Für ein bestimmtes Objekt ist dabei meist die Temperaturabhängigkeit einer bestimmten Größe technisch relevant, weswegen für dieses Objekt bzw. dessen Verwendung einfach nur von „dem“ (einen) Temperaturkoeffizienten gesprochen wird und damit klar ist, welche Größe sich ändert. Beispiele sind unter anderem:

  • Der Temperaturkoeffizient eines Schwingquarzes, er beschreibt die Temperaturabhängigkeit der Eigenfrequenz.
  • Der Temperaturkoeffizient eines Kernreaktors, er beschreibt die Temperaturabhängigkeit der Reaktivität (siehe auch Reaktivitätskoeffizient).
  • Der Temperaturkoeffizient einer optischen Linse, er beschreibt die Temperaturabhängigkeit des Brechungsindex, z. B. bei Laseranwendung mit hohen Leistungen oder hoher Präzision.[7]

Einzelnachweise

  1. 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 Friedrich Tabellenbuch Elektrotechnik/Elektronik. 582. Auflage. Bildungsverlag EINS, Köln 2007.
  2. 2,0 2,1 2,2 Spezifische Widerstände und Temperaturkoeffizienten. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 21. Januar 2005; abgerufen am 27. Dezember 2011.
  3. Tabellenbuch Elektrotechnik. Europa-Lehrmittel, Wuppertal 1966.
  4. 4,0 4,1 H. H. Gobbin: Naturkonstanten. Wittwer, Stuttgart 1962.
  5. isabellenhuette.de: Isaohm (PDF; 239 kB).
  6. Frank Bernhard: Technische Temperaturmessung. Springer, 2004, ISBN 3-642-18895-8, S. 609 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. Advanced Optics SCHOTT AG (Hrsg.): TIE-19: Temperature Coefficient of the Refractive Index. Juli 2016 (schott.com [PDF; abgerufen am 21. Oktober 2020]).

Die News der letzten Tage

25.09.2023
Thermodynamik | Optik | Akustik
Licht- und Schallwellen enthüllen negativen Druck
Negativer Druck ist ein seltenes und schwer nachzuweisendes Phänomen in der Physik.
20.09.2023
Sterne | Teleskope | Astrophysik
JWST knipst Überschall-Gasjet eines jungen Sterns
Die sogenannten Herbig-Haro-Objekte (HH) sind leuchtende Gasströme, die das Wachstum von Sternbabies signalisieren.
18.09.2023
Optik | Quantenphysik
Ein linearer Weg zu effizienten Quantentechnologien
Forschende haben gezeigt, dass eine Schlüsselkomponente für viele Verfahren der Quanteninformatik und der Quantenkommunikation mit einer Effizienz ausgeführt werden kann, die jenseits der üblicherweise angenommenen oberen theoretischen Grenze liegt.
17.01.1900
Thermodynamik
Effizientes Training für künstliche Intelligenz
Neuartige physik-basierte selbstlernende Maschinen könnten heutige künstliche neuronale Netze ersetzen und damit Energie sparen.
16.01.1900
Quantencomputer
Daten quantensicher verschlüsseln
Aufgrund ihrer speziellen Funktionsweise wird es für Quantencomputer möglich sein, die derzeit verwendeten Verschlüsselungsmethoden zu knacken, doch ein Wettbewerb der US-Bundesbehörde NIST soll das ändern.
15.01.1900
Teilchenphysik
Schwer fassbaren Neutrinos auf der Spur
Wichtiger Meilenstein im Experiment „Project 8“ zur Messung der Neutrinomasse erreicht.
17.09.2023
Schwarze Löcher
Neues zu supermassereichen binären Schwarzen Löchern in aktiven galaktischen Kernen
Ein internationales Team unter der Leitung von Silke Britzen vom MPI für Radioastronomie in Bonn hat Blazare untersucht, dabei handelt es sich um akkretierende supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien.
14.09.2023
Sterne | Teleskope | Astrophysik
ESO-Teleskope helfen bei der Lösung eines Pulsar-Rätsels
Durch eine bemerkenswerte Beobachtungsreihe, an der zwölf Teleskope sowohl am Erdboden als auch im Weltraum beteiligt waren, darunter drei Standorte der Europäischen Südsternwarte (ESO), haben Astronom*innen das seltsame Verhalten eines Pulsars entschlüsselt, eines sich extrem schnell drehenden toten Sterns.
30.08.2023
Quantenphysik
Verschränkung macht Quantensensoren empfindlicher
Quantenphysik hat die Entwicklung von Sensoren ermöglicht, die die Präzision herkömmlicher Instrumente weit übertreffen.
30.08.2023
Atomphysik | Teilchenphysik
Ein einzelnes Ion als Thermometer
Messungen mit neuem Verfahren zur Bestimmung der Frequenzverschiebung durch thermische Strahlung an der PTB unterstützen eine mögliche Neudefinition der Sekunde durch optische Uhren.