Zerfallskanal: Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''Zerfallskanal''' bezeichnet man in der Physik eine Möglichkeit eines instabilen Teilchens oder Systems – zum Beispiel eines [[Elementarteilchen]]s, eines radioaktiven [[Atomkern]]s oder eines [[Compoundkern]]s – in bestimmte andere Teilchen zu ''zerfallen'', d. h. sich spontan umzuwandeln. Als Teilchen zählen dabei auch z. B. [[Photon]]en; ein Zerfall muss nicht mit einer Abgabe von [[Masse (Physik)|Masse]] verbunden sein. Zerfälle treten jedoch nur auf, wenn das System dabei Energie abgeben kann, der erreichte neue Zustand also weniger Energie enthält als der ursprüngliche.  
Als '''Zerfallskanal''' oder '''Zerfallsmodus''' bezeichnet man in der Physik eine Möglichkeit eines instabilen Teilchens oder Systems – zum Beispiel eines [[Elementarteilchen]]s, eines radioaktiven [[Atomkern]]s oder eines [[Compoundkern]]s – in bestimmte andere Teilchen zu ''zerfallen,'' d. h., sich spontan umzuwandeln. Als Teilchen zählen dabei z. B. auch [[Photon]]en; ein Zerfall muss nicht mit einer Abgabe von [[Masse (Physik)|Masse]] verbunden sein. Ein Zerfall erfolgt aber nur, wenn die Summe der Massen der Zerfallsprodukte kleiner als die anfängliche Masse ist. Hierin drückt sich die [[Energieerhaltung]] aus. Der Verlust an Gesamtmasse tritt nach der [[Masse-Energie-Äquivalenz]] als kinetische Energie der Zerfallsprodukte auf.


Beispielsweise hat der Atomkern von [[Kalium]]-40 (in seinem [[Grundzustand]]) drei Zerfallskanäle: Er kann sich umwandeln  
Beispielsweise hat der Atomkern von [[Kalium]]-40 (in seinem [[Grundzustand]]) drei Zerfallskanäle: Er kann sich umwandeln
*in einen Calcium-40-Kern, ein [[Elektron]] und ein Elektron-[[Antineutrino]] ([[Beta-Minus-Zerfall]])  
* in einen Calcium-40-Kern, ein [[Elektron]] und ein Elektron-[[Antineutrino]] ([[Beta-Minus-Zerfall]])
*oder in einen Argon-40-Kern, ein [[Positron]] und ein Elektron-[[Neutrino]] ([[Beta-Plus-Zerfall]])  
* oder in einen Argon-40-Kern, ein [[Positron]] und ein Elektron-[[Neutrino]] ([[Beta-Plus-Zerfall]])
*oder, nach Einfangen eines Elektrons aus seiner Atomhülle, ohne Emission eines Positrons in einen Argon-40-Kern und ein Elektron-Neutrino ([[Elektroneneinfang]]).
* oder, nach Einfangen eines Elektrons aus seiner Atomhülle, ohne Emission eines Positrons in einen Argon-40-Kern und ein Elektron-Neutrino ([[Elektroneneinfang]]).


Das erste entdeckte System mit mehr als einem Zerfallskanal war ein [[Radionuklid]], das sowohl [[Alphastrahlung|Alpha-]] als auch Betastrahlung abgibt (siehe unten, Geschichtliches). Viele andere Radionuklide weisen z. B. die beiden Zerfallskanäle Alphazerfall und [[Spontanspaltung]] auf. Allgemein werden solche Fälle von Atomkernen mit zwei Zerfallskanälen manchmal als '''dualer Kernzerfall''' bezeichnet.
Das erste entdeckte System mit mehr als einem Zerfallskanal war ein [[Radionuklid]], das sowohl [[Alphastrahlung|Alpha-]] als auch [[Betastrahlung]] abgibt (siehe weiter unten [[#Geschichte|Geschichtliches]]). Viele andere Radionuklide weisen z. B. die beiden Zerfallskanäle Alphazerfall und [[Spontanspaltung]] auf. Allgemein wird so ein Fall eines Atomkerns mit zwei Zerfallskanälen manchmal als '''dualer Kernzerfall''' bezeichnet.


== Zerfallskonstante und Verzweigungsverhältnis ==
== Zerfallskonstante und Verzweigungsverhältnis ==
Jeder Zerfallskanal ist gekennzeichnet durch eine bestimmte [[Zerfallskonstante]] <math>\lambda</math> (griech. Buchstabe [[Lambda]]), d. h. [[Wahrscheinlichkeit]] pro Zeiteinheit für den Zerfall in diesen Kanal. Ihre [[Dimension (Physik)|Dimension]] ist die einer inversen Zeit, die übliche Maßeinheit 1/s.
Jeder Zerfallskanal ist gekennzeichnet durch eine bestimmte [[Zerfallskonstante]] <math>\lambda</math> (griech. Buchstabe [[Lambda]]), das ist die [[Wahrscheinlichkeit]] pro Zeiteinheit für den Zerfall in diesen Kanal. Ihre [[Dimension (Physik)|Dimension]] ist der Kehrwert der Zeit, die übliche Maßeinheit <math>1/\mathrm s</math>.


Gibt es mehrere Zerfallskanäle, so addieren sich deren einzelne (''partielle'') Zerfallskonstanten zu einer ''totalen'' Zerfallskonstante <math>\lambda_\mathrm{tot}</math>. Diese ist die Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit dafür, dass das System in ''irgendeinen'' der Kanäle zerfällt:
Gibt es mehrere Zerfallskanäle, so addieren sich deren einzelne ''(partielle)'' Zerfallskonstanten zu einer ''totalen'' Zerfallskonstante <math>\lambda_\mathrm{tot}</math>. Diese ist die Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit dafür, dass das System in ''irgendeinen'' der Kanäle zerfällt:


:<math> \lambda_1 + \lambda_2 + \lambda_3 + \dots = \lambda_\mathrm{tot} \,</math>.
:<math>\lambda_1 + \lambda_2 + \lambda_3 + \dotsb = \lambda_\mathrm{tot}.</math>


Der Wert von <math>\lambda</math> – bei Bestehen mehrerer Kanäle stets <math>\lambda_\mathrm{tot}</math> – bestimmt im [[Zerfallsgesetz]], wie schnell oder langsam die Substanzmenge (und damit auch ihre [[Aktivität (Physik)|Aktivität]]) abnimmt.
Der Wert von <math>\lambda</math> –&nbsp;bei Bestehen mehrerer Kanäle stets <math>\lambda_\mathrm{tot}</math>&nbsp;– bestimmt im [[Zerfallsgesetz]], wie schnell oder langsam die Substanzmenge (und damit auch ihre [[Aktivität (Physik)|Aktivität]]) abnimmt.


Die Größe  
Die Größe


:<math>B_i = \frac{\lambda_i}{\lambda_\mathrm{tot}}</math>
:<math>B_i = \frac{\lambda_i}{\lambda_\mathrm{tot}}</math>


heißt Verzweigungsverhältnis (engl.''branching fraction'' oder ''branching ratio'') des Kanals ''i''. Sie wird z. B. in Prozent angegeben und beschreibt, welcher Bruchteil aller Zerfallsereignisse in diesen Kanal führt.
heißt Verzweigungsverhältnis (engl.''branching fraction'' oder ''branching ratio'') des Kanals <math>i.</math> Sie wird z.&nbsp;B. in Prozent angegeben und beschreibt, welcher Anteil aller Zerfallsereignisse in diesen Kanal führt.


== Lebensdauer, Halbwertszeit, Zerfallsbreite ==
== Lebensdauer, Halbwertszeit, Zerfallsbreite ==
Der Kehrwert der totalen Zerfallskonstante ist die mittlere [[Lebensdauer (Physik)|Lebensdauer]] <math>\tau</math> (griech. Buchstabe [[Tau (Buchstabe)|tau]]):  
Der Kehrwert der totalen Zerfallskonstante ist die mittlere [[Lebensdauer (Physik)|Lebensdauer]] <math>\tau</math> (griech. Buchstabe [[Tau (Buchstabe)|tau]]):


:<math> \tau = \frac{1}{\lambda_\mathrm{tot}}</math>.
:<math>\tau = \frac{1}{\lambda_\mathrm{tot}}</math>


Nach der Zeit <math>\tau</math> ist nur noch der Bruchteil 1 / ''e'' = 1 / 2,7182818... = 0,36787944...  der anfänglichen Substanzmenge vorhanden.  
Nach der Zeit <math>\tau</math> ist nur noch der Anteil <math>1/e \approx 1/2{,}72 \approx 0{,}368 = 36{,}8\,\%</math> der anfänglichen Substanzmenge vorhanden.


Die [[Halbwertszeit]] ''T''<sub>1/2</sub> ist kürzer und beträgt reichlich 69 Prozent von <math>\tau</math>:  
Die [[Halbwertszeit]] <math>T_{1/2}</math> ist kürzer und beträgt gut 69 Prozent der Lebensdauer <math>\tau</math>:


:<math>T_{1/2} = \tau \cdot \ln 2 = \tau \cdot 0{,}693147\dots</math>
:<math>T_{1/2} = \tau \cdot \ln 2 \approx \tau \cdot 0{,}693 = 69{,}3\,\% \cdot \tau</math>


Extrem kurze Lebensdauern im Subpicosekundenbereich werden insbesondere in der Teilchenphysik oft durch Messung der Masseunschärfe ([[Ruheenergie]]unschärfe) als [[Zerfallsbreite]] gemessen und angegeben.
Extrem kurze Lebensdauern im Subpicosekundenbereich werden insbesondere in der Teilchenphysik oft durch Messung der Masseunschärfe ([[Ruheenergie]]unschärfe) als [[Zerfallsbreite]] gemessen und angegeben.


== „Partielle Halbwertszeit“ ==
== Partielle Halbwertszeit ==
Formal lässt sich auch zu jeder partiellen Zerfallskonstante eine entsprechende „partielle Lebensdauer“ und '''„partielle Halbwertszeit“''' berechnen. Dies wäre die Zeit, in der die Substanzmenge auf 1/''e'' bzw. 1/2 abnähme, wenn der betreffende Zerfallskanal allein existierte. Da in Wirklichkeit die anderen Zerfallskanäle nicht „abgeschaltet“ werden können, sind diese partiellen Zeitdauern fiktive, nicht beobachtbare Größen. Trotzdem wird die partielle Halbwertszeit wegen ihrer Anschaulichkeit in manchen Lehrbüchern erwähnt.<ref name=Lieser> Lieser, Karl Heinrich, ''Einführung in die Kernchemie'' (1991); ISBN 3-527-28329-3</ref> Sie kann aus der gemessenen Halbwertszeit (die dann „effektive“ oder „totale“ Halbwertszeit genannt wird) zusammen mit den gemessenen Verzweigungsverhältnissen berechnet werden.
Formal lässt sich auch zu jeder partiellen Zerfallskonstante eine entsprechende „partielle Lebensdauer“ und '''„partielle Halbwertszeit“''' berechnen. Dies wäre die Zeit, in der die Substanzmenge auf <math>1/e</math> bzw. <math>1/2</math> abnähme, wenn der betreffende Zerfallskanal allein existierte. Da in Wirklichkeit die anderen Zerfallskanäle nicht „abgeschaltet“ werden können, sind diese partiellen Zeitdauern fiktive, nicht beobachtbare Größen. Trotzdem wird die partielle Halbwertszeit wegen ihrer Anschaulichkeit in manchen Lehrbüchern<ref name=Lieser>Karl Heinrich Lieser: ''Einführung in die Kernchemie.'' (1991), ISBN 3-527-28329-3.</ref> und bei extrem seltenen Zerfallsvorgängen (siehe z.&nbsp;B. [[doppelter Betazerfall]]) betrachtet. Sie kann aus der gemessenen Halbwertszeit –&nbsp;die dann „effektive“ oder „totale“ Halbwertszeit genannt wird&nbsp;– zusammen mit dem zugehörigen gemessenen Verzweigungsverhältnis berechnet werden.


== Zerfallskanäle innerhalb einer Zerfallsart ==
== Zerfallskanäle innerhalb einer Zerfallsart ==
Bei radioaktiven Umwandlungen müssen manchmal auch noch innerhalb der gleichen Zerfallsart des gleichen Nuklids verschiedene Fälle unterschieden werden, wie beispielsweise  
Bei radioaktiven Umwandlungen müssen manchmal auch noch innerhalb der gleichen Zerfallsart des gleichen Nuklids verschiedene Fälle unterschieden werden, wie beispielsweise
* Alphazerfälle zu verschiedenen Energieniveaus des Tochterkerns,
* Alphazerfälle zu verschiedenen Energieniveaus des Tochterkerns,
* Spontanspaltung mit Erzeugung eines bestimmten Spaltprodukts oder Spaltfragmentpaars  
* Spontanspaltung mit Erzeugung eines bestimmten Spaltprodukts oder Spaltfragmentpaars
* oder mehrstufige Gammazerfälle (sog. ''Kaskaden''), die über verschiedene Zwischenniveaus verlaufen und daher Gamma-Spektrallinien verschiedener Energien ergeben.
* oder mehrstufige Gammazerfälle (sog. ''Kaskaden''), die über verschiedene Zwischenniveaus verlaufen und daher Gamma-Spektrallinien verschiedener Energien ergeben.


Sie werden i. Allg. nicht als Zerfallskanäle bezeichnet, unterliegen aber den gleichen Regeln. Bei Gammalinien wird die dem Verzweigungsverhältnis entsprechende Größe, die Zahl der Photonen dieser Energie pro Zerfall, oft Intensität genannt und mit <math>I</math> oder <math>I_\gamma</math> bezeichnet.<ref name="ToI" />
Sie werden im Allgemeinen nicht als Zerfallskanäle bezeichnet, unterliegen aber den gleichen Regeln. Bei Gammalinien wird die dem Verzweigungsverhältnis entsprechende Größe, die Zahl der Photonen dieser Energie pro Zerfall, oft „Intensität“ genannt und mit <math>I</math> oder <math>I_\gamma</math> bezeichnet.<ref name="ToI" />


== Datensammlungen ==
== Datensammlungen ==
Für Elementarteilchen bekommt man eine Übersicht der verschiedenen Zerfallskanäle und Zerfallswahrscheinlichkeiten in dem von der [[Particle Data Group]] herausgegebenen [[Review of Particle Physics]] oder in dessen Kurzfassung, dem [[Particle Physics Booklet]].
Für Elementarteilchen bekommt man eine Übersicht der verschiedenen Zerfallskanäle und Zerfallswahrscheinlichkeiten in dem von der [[Particle Data Group]] herausgegebenen [[Review of Particle Physics]] oder in dessen Kurzfassung, dem [[Particle Physics Booklet]].


Für Radionuklide sind Halbwertszeiten und Zerfallskanäle z. B. in der [[Karlsruher Nuklidkarte]] angegeben. Verzweigungsverhältnisse und weitere Daten finden sich in dem umfangreichen Buch ''Table of Isotopes''.<ref name=ToI>Richard B. Firestone, Coral M. Baglin, ed.: Table of isotopes. 8th ed., 1999 update. New York: Wiley, 1999. VI, 218 S.; ISBN 0-471-35633-6- </ref>
Für Radionuklide sind Halbwertszeiten und Zerfallskanäle z.&nbsp;B. in der [[Karlsruher Nuklidkarte]] angegeben. Verzweigungsverhältnisse und weitere Daten finden sich in dem umfangreichen Buch ''Table of Isotopes.''<ref name=ToI>Richard B. Firestone, Coral M. Baglin (Hrsg.): ''Table of Isotopes, 8th Edition, 1999 Update''. Wiley, New York 1999. ISBN 0-471-35633-6-.</ref>


== Geschichte ==
== Geschichte ==
[[Datei:Dualzerfall_von_Bi212.PNG|mini|Alpha- und Beta-Zerfallskanäle (dualer Kernzerfall) von Bi-212]]
[[Datei:Dualzerfall von Bi212.PNG|mini|Alpha- und Beta-Zerfallskanäle (dualer Kernzerfall) von Bi-212]]
Zwei verschiedene Zerfallskanäle desselben Radionuklids wurden erstmals 1906 von [[Otto Hahn]] während seines Aufenthalts im Laboratorium von Lord [[Ernest Rutherford|Rutherford]] in Montreal (Kanada) an dem Bismut-[[Isotop]] Bi-212 entdeckt (das Nuklid wurde damals noch zunächst als Thorium&nbsp;B, kurz darauf als Thorium&nbsp;C bezeichnet).<ref>Hahn, Otto, ''Physikalische Zeitschrift'' Bd. 7, S. 412–419, 456–462 (1906)</ref><ref>Rutherford, Ernest, ''Radioaktive Substanzen und ihre Strahlungen'', S. 479 (1913)</ref><ref>Hahn, Otto, ''Vom Radiothor zur Uranspaltung'', S. 24/27 (1962)</ref> Die nebenstehende Abbildung zeigt das Zerfallsschema von Bi-212.<ref name="Lieser" />
Zwei verschiedene Zerfallskanäle desselben Radionuklids wurden erstmals 1906 von [[Otto Hahn]] während seines Aufenthalts im Laboratorium von Lord [[Ernest Rutherford|Rutherford]] in Montreal (Kanada) an dem Bismut-[[Isotop]] Bi-212 entdeckt (das Nuklid wurde damals noch zunächst als Thorium&nbsp;B, kurz darauf als Thorium&nbsp;C bezeichnet).<ref>Otto Hahn, ''Physikalische Zeitschrift'' Bd.&nbsp;7, S.&nbsp;412–419, 456–462 (1906).</ref><ref>Ernest Rutherford: ''Radioaktive Substanzen und ihre Strahlungen.'' S.&nbsp;479 (1913).</ref><ref>Otto Hahn: ''Vom Radiothor zur Uranspaltung.'' S.&nbsp;24–27 (1962).</ref> Die nebenstehende Abbildung zeigt das Zerfallsschema von Bi-212.<ref name="Lieser" />


== Literatur ==
== Literatur ==
* H. Krieger, ''Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes'' (2007); ISBN 978-3-8351-0199-9
* H. Krieger: ''Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes.'' 2007, ISBN 978-3-8351-0199-9.
* W. Stolz, ''Radioaktivität'' (2005); ISBN 3-519-53022-8
* W. Stolz: ''Radioaktivität.'' 2005, ISBN 3-519-53022-8.
* J. Magill, J. Galy, ''Radioactivity, Radionuclides, Radiation'' (2005); ISBN 3-540-21116-0
* J. Magill, J. Galy: ''Radioactivity, Radionuclides, Radiation.'' 2005, ISBN 3-540-21116-0.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==

Aktuelle Version vom 9. Juli 2020, 20:00 Uhr

Als Zerfallskanal oder Zerfallsmodus bezeichnet man in der Physik eine Möglichkeit eines instabilen Teilchens oder Systems – zum Beispiel eines Elementarteilchens, eines radioaktiven Atomkerns oder eines Compoundkerns – in bestimmte andere Teilchen zu zerfallen, d. h., sich spontan umzuwandeln. Als Teilchen zählen dabei z. B. auch Photonen; ein Zerfall muss nicht mit einer Abgabe von Masse verbunden sein. Ein Zerfall erfolgt aber nur, wenn die Summe der Massen der Zerfallsprodukte kleiner als die anfängliche Masse ist. Hierin drückt sich die Energieerhaltung aus. Der Verlust an Gesamtmasse tritt nach der Masse-Energie-Äquivalenz als kinetische Energie der Zerfallsprodukte auf.

Beispielsweise hat der Atomkern von Kalium-40 (in seinem Grundzustand) drei Zerfallskanäle: Er kann sich umwandeln

  • in einen Calcium-40-Kern, ein Elektron und ein Elektron-Antineutrino (Beta-Minus-Zerfall)
  • oder in einen Argon-40-Kern, ein Positron und ein Elektron-Neutrino (Beta-Plus-Zerfall)
  • oder, nach Einfangen eines Elektrons aus seiner Atomhülle, ohne Emission eines Positrons in einen Argon-40-Kern und ein Elektron-Neutrino (Elektroneneinfang).

Das erste entdeckte System mit mehr als einem Zerfallskanal war ein Radionuklid, das sowohl Alpha- als auch Betastrahlung abgibt (siehe weiter unten Geschichtliches). Viele andere Radionuklide weisen z. B. die beiden Zerfallskanäle Alphazerfall und Spontanspaltung auf. Allgemein wird so ein Fall eines Atomkerns mit zwei Zerfallskanälen manchmal als dualer Kernzerfall bezeichnet.

Zerfallskonstante und Verzweigungsverhältnis

Jeder Zerfallskanal ist gekennzeichnet durch eine bestimmte Zerfallskonstante $ \lambda $ (griech. Buchstabe Lambda), das ist die Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit für den Zerfall in diesen Kanal. Ihre Dimension ist der Kehrwert der Zeit, die übliche Maßeinheit $ 1/\mathrm {s} $.

Gibt es mehrere Zerfallskanäle, so addieren sich deren einzelne (partielle) Zerfallskonstanten zu einer totalen Zerfallskonstante $ \lambda _{\mathrm {tot} } $. Diese ist die Wahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit dafür, dass das System in irgendeinen der Kanäle zerfällt:

$ \lambda _{1}+\lambda _{2}+\lambda _{3}+\dotsb =\lambda _{\mathrm {tot} }. $

Der Wert von $ \lambda $ – bei Bestehen mehrerer Kanäle stets $ \lambda _{\mathrm {tot} } $ – bestimmt im Zerfallsgesetz, wie schnell oder langsam die Substanzmenge (und damit auch ihre Aktivität) abnimmt.

Die Größe

$ B_{i}={\frac {\lambda _{i}}{\lambda _{\mathrm {tot} }}} $

heißt Verzweigungsverhältnis (engl.branching fraction oder branching ratio) des Kanals $ i. $ Sie wird z. B. in Prozent angegeben und beschreibt, welcher Anteil aller Zerfallsereignisse in diesen Kanal führt.

Lebensdauer, Halbwertszeit, Zerfallsbreite

Der Kehrwert der totalen Zerfallskonstante ist die mittlere Lebensdauer $ \tau $ (griech. Buchstabe tau):

$ \tau ={\frac {1}{\lambda _{\mathrm {tot} }}} $

Nach der Zeit $ \tau $ ist nur noch der Anteil $ 1/e\approx 1/2{,}72\approx 0{,}368=36{,}8\,\% $ der anfänglichen Substanzmenge vorhanden.

Die Halbwertszeit $ T_{1/2} $ ist kürzer und beträgt gut 69 Prozent der Lebensdauer $ \tau $:

$ T_{1/2}=\tau \cdot \ln 2\approx \tau \cdot 0{,}693=69{,}3\,\%\cdot \tau $

Extrem kurze Lebensdauern im Subpicosekundenbereich werden insbesondere in der Teilchenphysik oft durch Messung der Masseunschärfe (Ruheenergieunschärfe) als Zerfallsbreite gemessen und angegeben.

Partielle Halbwertszeit

Formal lässt sich auch zu jeder partiellen Zerfallskonstante eine entsprechende „partielle Lebensdauer“ und „partielle Halbwertszeit“ berechnen. Dies wäre die Zeit, in der die Substanzmenge auf $ 1/e $ bzw. $ 1/2 $ abnähme, wenn der betreffende Zerfallskanal allein existierte. Da in Wirklichkeit die anderen Zerfallskanäle nicht „abgeschaltet“ werden können, sind diese partiellen Zeitdauern fiktive, nicht beobachtbare Größen. Trotzdem wird die partielle Halbwertszeit wegen ihrer Anschaulichkeit in manchen Lehrbüchern[1] und bei extrem seltenen Zerfallsvorgängen (siehe z. B. doppelter Betazerfall) betrachtet. Sie kann aus der gemessenen Halbwertszeit – die dann „effektive“ oder „totale“ Halbwertszeit genannt wird – zusammen mit dem zugehörigen gemessenen Verzweigungsverhältnis berechnet werden.

Zerfallskanäle innerhalb einer Zerfallsart

Bei radioaktiven Umwandlungen müssen manchmal auch noch innerhalb der gleichen Zerfallsart des gleichen Nuklids verschiedene Fälle unterschieden werden, wie beispielsweise

  • Alphazerfälle zu verschiedenen Energieniveaus des Tochterkerns,
  • Spontanspaltung mit Erzeugung eines bestimmten Spaltprodukts oder Spaltfragmentpaars
  • oder mehrstufige Gammazerfälle (sog. Kaskaden), die über verschiedene Zwischenniveaus verlaufen und daher Gamma-Spektrallinien verschiedener Energien ergeben.

Sie werden im Allgemeinen nicht als Zerfallskanäle bezeichnet, unterliegen aber den gleichen Regeln. Bei Gammalinien wird die dem Verzweigungsverhältnis entsprechende Größe, die Zahl der Photonen dieser Energie pro Zerfall, oft „Intensität“ genannt und mit $ I $ oder $ I_{\gamma } $ bezeichnet.[2]

Datensammlungen

Für Elementarteilchen bekommt man eine Übersicht der verschiedenen Zerfallskanäle und Zerfallswahrscheinlichkeiten in dem von der Particle Data Group herausgegebenen Review of Particle Physics oder in dessen Kurzfassung, dem Particle Physics Booklet.

Für Radionuklide sind Halbwertszeiten und Zerfallskanäle z. B. in der Karlsruher Nuklidkarte angegeben. Verzweigungsverhältnisse und weitere Daten finden sich in dem umfangreichen Buch Table of Isotopes.[2]

Geschichte

Alpha- und Beta-Zerfallskanäle (dualer Kernzerfall) von Bi-212

Zwei verschiedene Zerfallskanäle desselben Radionuklids wurden erstmals 1906 von Otto Hahn während seines Aufenthalts im Laboratorium von Lord Rutherford in Montreal (Kanada) an dem Bismut-Isotop Bi-212 entdeckt (das Nuklid wurde damals noch zunächst als Thorium B, kurz darauf als Thorium C bezeichnet).[3][4][5] Die nebenstehende Abbildung zeigt das Zerfallsschema von Bi-212.[1]

Literatur

  • H. Krieger: Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes. 2007, ISBN 978-3-8351-0199-9.
  • W. Stolz: Radioaktivität. 2005, ISBN 3-519-53022-8.
  • J. Magill, J. Galy: Radioactivity, Radionuclides, Radiation. 2005, ISBN 3-540-21116-0.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Karl Heinrich Lieser: Einführung in die Kernchemie. (1991), ISBN 3-527-28329-3.
  2. 2,0 2,1 Richard B. Firestone, Coral M. Baglin (Hrsg.): Table of Isotopes, 8th Edition, 1999 Update. Wiley, New York 1999. ISBN 0-471-35633-6-.
  3. Otto Hahn, Physikalische Zeitschrift Bd. 7, S. 412–419, 456–462 (1906).
  4. Ernest Rutherford: Radioaktive Substanzen und ihre Strahlungen. S. 479 (1913).
  5. Otto Hahn: Vom Radiothor zur Uranspaltung. S. 24–27 (1962).

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