Relativität der Gleichzeitigkeit: Unterschied zwischen den Versionen

Relativität der Gleichzeitigkeit: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Relativität der Gleichzeitigkeit''' ist eine aus der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] folgende Aussage. Danach gibt es keine universelle Gleichzeitigkeit von Ereignissen, über die sich alle Beobachter einig sind.
Die '''Relativität der Gleichzeitigkeit''' ist eine Aussage der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]]. Sie besagt, dass es auf die Frage, ob zwei Ereignisse an verschiedenen Orten gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden, keine für alle [[Beobachter (Physik)|Beobachter]] gleichermaßen gültige Antwort gibt.


== Erläuterung ==
== Erläuterung ==
<!--Quelle für den Vorspann: Beitrag von Prof. Harald Lesch aus dem angegebenen Weblink "Was ist Gleichzeitigkeit", ergänzt mit Alltagsbeispielen -->
<!--Quelle für den Vorspann: Beitrag von Prof. Harald Lesch aus dem angegebenen Weblink "Was ist Gleichzeitigkeit", ergänzt mit Alltagsbeispielen -->
Gleichzeitigkeit ist ein grundlegender Begriff in der Physik. Alle Aussagen über [[Zeit]]abläufe beruhen auf Zeitvergleichen und somit auf dem Begriff Gleichzeitigkeit.
Gleichzeitigkeit ist ein grundlegender Begriff in der Physik. Alle Aussagen über [[Zeit]]abläufe beruhen auf Zeitvergleichen und somit auf dem Begriff Gleichzeitigkeit.
Bei zwei [[Ereignis]]sen, die am selben Ort erfolgen, ist unmittelbar beobachtbar, ob sie gleichzeitig stattfinden. Bei Ereignissen, die weiter voneinander entfernt eintreten, ist ein Vergleich über [[Einstein-Synchronisation|synchronisierte]] [[Uhr]]en möglich, die unmittelbar an den jeweiligen Ereignisorten aufgestellt sind und miteinander verglichen werden.
Ein Beobachter kann jederzeit problemlos erkennen, ob  in seiner unmittelbaren Umgebung zwei [[Ereignis]]se gleichzeitig stattfinden oder nicht. Bei weiter entfernten Ereignissen ist dies nicht ohne weiteres der Fall.
 
Im Rahmen der [[Newtonsche Physik|newtonschen Physik]] scheint es möglich, ein einheitliches [[Zeitsystem]] zu definieren, das für unser gesamtes [[Universum]] gilt. Mit dieser Annahme ist es durchaus verträglich, dass unser subjektives Zeitempfinden mitunter trügt, so etwa beim Wahrnehmen von [[Schallereignis]]sen, die aus unterschiedlicher Entfernung übertragen werden. Wir kennen die Verzögerung durch die [[Schallgeschwindigkeit]] – so kann man aus der Zeitspanne zwischen [[Blitz]] und [[Donner]] die Entfernung des Blitzes abschätzen. Auch die [[Lichtgeschwindigkeit|Lichtübertragung]] braucht ihre Zeit – das ist uns aus der Beobachtung von Himmelsobjekten bekannt, deren Licht Jahrzehnte oder Jahrhunderte unterwegs ist, bis es uns erreicht.<ref>Beispielsweise wurde 1987 eine [[Supernova]] beobachtet, die sich 168.000 Jahre zuvor ereignet hatte – die Supernova [[SN 1987A]]</ref> Solche Beobachtungen stehen völlig im Einklang mit der Vorstellung aus der Newtonschen Physik, dass es im Universum eine universell gültige Zeit gäbe. Erst in der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] wird die Existenz einer universell gültigen Zeit – und somit eines universellen Verständnisses von Gleichzeitigkeit – widerlegt. Der Grund ist die durch zahlreiche Beobachtungen bestätigte Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit in allen [[Inertialsystem|Bezugssystemen]] – wie auch immer sie sich gegeneinander bewegen – konstant ist. Unter dieser Voraussetzung machen wir folgendes [[Gedankenexperiment]]:
   
[[Datei:Relativität der Gleichzeitigkeit.jpg|miniatur|300px|Gegeneinander bewegte Beobachter kommen nicht überein, in welchem zeitlichen Abstand Ereignisse stattfinden.]]
Ein Zug und ein Bahnhof sollen zueinander eine Relativgeschwindigkeit von 60 % der Lichtgeschwindigkeit (<math>\textstyle v=0,6 c</math>) besitzen. Dabei wird im Zug mittig zwischen zwei Uhren A1 und A2 ein Lichtblitz ausgelöst, wobei bei Ankunft der Lichtblitze die jeweilige Uhr zu laufen beginnt. Da ein Beobachter im Ruhesystem des Zuges (d.&nbsp;h. dem [[Inertialsystem]], in dem der Zug ruht) aufgrund der Relativitätstheorie annimmt, dass die [[Lichtgeschwindigkeit]] in alle Richtungen gleich ist, werden seiner Meinung nach A1 und A2 von den Lichtblitzen gleichzeitig erreicht und synchron zu laufen beginnen.
 
Vom Standpunkt eines Beobachters im Ruhesystem des Bahnhofes sieht die Reihenfolge der Ereignisse aber anders aus. Um den Zeitpunkt der Ankunft der Lichtblitze bei A1 und A2 genau bestimmen zu können, hat er mit Lichtsignalen synchronisierte und mit Sensoren ausgestattete Uhren auf den Gleisen befestigt. Für diesen Beobachter ist nun die Lichtgeschwindigkeit ebenfalls konstant in alle Richtungen, und der Zug bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit nach rechts. Daraus folgt, dass der Blitz zu A2 einen längeren Weg zurücklegen muss als zu A1, weil A2 sich von der Stelle, von der der Blitz ausging, fortbewegt, wohingegen A1 sich auf diese Stelle hinbewegt. Die an den Gleisen befestigten Uhren werden folglich anzeigen, dass A1 vor A2 vom Blitz getroffen worden ist und früher zu laufen begonnen hat. A1 und A2 sind aus Sicht des Ruhesystems des Bahnhofes also nicht synchron.
 
Die Relativität der Gleichzeitigkeit besagt somit, dass an unterschiedlichen Orten stattfindende Ereignisse, die in einem Inertialsystem gleichzeitig sind, aus Sicht eines relativ dazu bewegten Inertialsystems nicht gleichzeitig sind. Wichtig dabei ist, dass die Messungen in allen Inertialsystemen am Ort der Ereignisse durchgeführt wurden – es ist somit klar, dass die Relativität der Gleichzeitigkeit nichts mit rein optischen Effekten bzw. Täuschungen zu tun hat.
 
Ein Beispiel: In einem Inertialsystem sollen zwei Ereignisse an unterschiedlichen Orten gleichzeitig stattfinden. Befindet sich ein weiterer, relativ dazu bewegter Beobachter vom Ort des einen Ereignisses 50.000&nbsp;km, und vom anderen Ort 300.000&nbsp;km entfernt, so wird ihn das erste Signal vor dem zweiten erreichen. Doch indem er die unterschiedliche Entfernung zu den beiden Ereignissen berücksichtigt, kann er die Lichtlaufzeiten herausrechnen und würde bei Gültigkeit der klassischen Physik nun ebenfalls feststellen, dass die beiden Ereignisse gleichzeitig stattgefunden haben. Hingegen bei Gültigkeit der Relativitätstheorie wird der Beobachter auch unter Berücksichtigung der optischen Effekte feststellen, dass zwischen beiden Ereignissen eine zeitliche Differenz bestanden hat.
 
== Die vier Bereiche im Minkowski-Diagramm ==
{{Hauptartikel|Minkowski-Diagramm}}
 
[[Datei:Minkowski-Diagramm - Kausalität.svg|miniatur|256px|Vergangenheit und Zukunft bezüglich des Koordinatenursprungs. Eine zeitliche Einordnung der Ereignisse im grauen Bereich ist nicht möglich.]]
 
Dies bedeutet aber insbesondere, dass die zeitliche Abfolge von zwei Ereignissen von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich beurteilt werden kann.
 
Die einzigen Aussagen, deren Gültigkeit nicht vom Beobachter abhängen, sind:
# „Von Ereignis A erreicht man Ereignis B mit Unterlichtgeschwindigkeit.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem diese Ereignisse am gleichen Ort stattfinden, sie finden aber in keinem Bezugssystem zur selben Zeit statt, und alle Beobachter sind sich über die Reihenfolge der Ereignisse einig. Diese Lage von Ereignissen zueinander nennt man ''zeitartig''.
# „Von Ereignis A erreicht man das Ereignis B mit Lichtgeschwindigkeit.“ Auch in diesem Fall sind sich alle Beobachter über die Reihenfolge der Ereignisse einig. Es gibt weder ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort, noch ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden. Diese Lage der Ereignisse zueinander nennt man ''lichtartig''.
# „Weder erreicht man Ereignis A von Ereignis B mit maximal Lichtgeschwindigkeit, noch umgekehrt.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden, sich also nur im Ort unterscheiden. Es gibt aber kein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort stattfinden. Daher nennt man diese Lage von Ereignissen zueinander ''raumartig''. In diesem –&nbsp;und nur in diesem&nbsp;– Fall ist die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse vom Beobachter abhängig. Hinsichtlich der Kausalität spielt das aber keine Rolle, da alle Beobachter auch darin übereinstimmen, dass keines der Ereignisse Ursache des anderen Ereignisses sein kann.
# „Ereignis A und Ereignis B sind zur selben Zeit und am selben Ort.“ In diesem Fall stimmen alle Beobachter überein, dass beide Ereignisse zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfinden und es sich daher um dasselbe Ereignis handelt.
 
[[Datei:Lorentz transform of world line.gif|miniatur|200px|links|Raumzeit aus Sicht eines beschleunigten Beobachters]]
Die Animation links demonstriert, wie sich die Minkowski-Raumzeit für einen beschleunigten Beobachter darstellt. Die punktierte Linie stellt dabei die Weltlinie des Beobachters dar, der sich jeweils in der Mitte des Bildes befindet. Die dicken Punkte markieren gleiche (Eigen)zeitintervalle. Dehnung und Stauchung der Weltlinie zeigen Beschleunigung des Beobachters in Bewegungsrichtung, Krümmung Beschleunigung quer dazu. Das Diagramm zeigt die Welt zu jedem Zeitpunkt im [[Inertialsystem]], also aus Sicht des Beobachters. Bei den Beschleunigungen kann man beobachten, dass Punkte der Raumzeit ''nach oben'', also entgegen dem „Zeitfluss“, laufen. Jedoch überqueren sie dabei niemals den Lichtkegel (die Diagonallinien) von unten; dieser wird durch den Zeitablauf stets nur ''nach unten'' durchquert. Somit kann ein Punkt niemals in den Vorwärtslichtkegel eintreten (man kann durch Beschleunigung kein Ereignis in die absolute Zukunft versetzen) und niemals den Rückwärtslichtkegel verlassen (man kann Ereignisse durch Beschleunigung nicht aus der absoluten Vergangenheit herausholen).
 
Man sieht auch, dass die Weltlinie des Beobachters stets innerhalb des Lichtkegels verläuft. Ereignisse, die der Beobachter erreichen wird bzw. erreicht hat, liegen stets in seiner absoluten Zukunft bzw. Vergangenheit; die Reihenfolge dieser Ereignisse lässt sich durch Beschleunigung nicht verändern. Insbesondere kann der Beobachter vergangene Ereignisse nicht zu zukünftigen Ereignissen machen.
<div style="clear:both"></div>
 
== Kausalität ==
 
Da die Reihenfolge raumartiger Ereignisse vom Beobachter (bzw. von dessen Bewegungszustand) abhängt, würde die Möglichkeit, dass eines der beiden Ereignisse das andere beeinflussen kann, zu Problemen mit der [[Kausalität]] führen. Denn wenn in einem Bezugssystem Ereignis&nbsp;A vor Ereignis&nbsp;B kommt, im anderen Bezugssystem jedoch Ereignis&nbsp;B vor Ereignis&nbsp;A, dann folgt daraus, dass sowohl A Ursache von B, als auch B Ursache von A sein kann. Damit lassen sich [[Paradoxie]]n konstruieren, bei denen ein Ereignis sich selbst in der Vergangenheit rückwirkend verhindert. Gleichzeitig bedeutet dies, dass Reisen mit [[Überlichtgeschwindigkeit]] Zeitreisen erlauben würden. Man reist von A zum späteren Ereignis&nbsp;B. Dann wechselt man durch normale Beschleunigung in ein Bezugssystem, in dem A später als B stattfindet. Anschließend reist man wiederum mit Überlichtgeschwindigkeit von B zu einem Ereignis vor&nbsp;A.
 
Nur zeitartig oder lichtartig zueinander gelegene Ereignisse können sich daher ohne Kausalitätsprobleme gegenseitig beeinflussen, wobei hier die zeitliche Reihenfolge und damit Ursache und Wirkung festliegen. Daher wird generell angenommen, dass Überlichtgeschwindigkeit nicht möglich ist, zumal die Relativitätstheorie auch nicht erlaubt, einen Körper von Unterlichtgeschwindigkeit auf Überlichtgeschwindigkeit zu beschleunigen.
 
== Verbale und formelmäßige Präzisierung der Relativität der Zeit ==
Die Präzisierung des Gesagten erfolgt am besten durch folgende verbale und formelmäßige Darstellung:


: Die beiden Rennfahrer erreichten das Ziel aus der Sicht eines „ruhenden Beobachters“ (externe „Stoppuhr“) zum selben Zeitpunkt<br />(<math>dt_1=dt_2</math>). Aber aus der Sicht der Rennfahrer, die ihre eigene Uhr mit sich führten (selbes Fabrikat), war die mit diesen „mitbewegten“ Uhren gemessene sog. [[Eigenzeit]] des einen Fahrers messbar geringer als die des anderen (<math> d\tau_1 < d\tau_2 </math>).
Im Rahmen der [[Newtonsche Physik|newtonschen Physik]] scheint es möglich, ein einheitliches [[Zeitsystem]] zu definieren, das für das gesamte [[Universum]] gilt. Damit ist gemeint, dass zwei Beobachter zwar unter Umständen verschiedene Zeitpunkte für bestimmte Ereignisse messen, dass sich aber diese Zeitpunkte eindeutig einander zuordnen lassen, so dass klar ist, welche Ereignisse gleichzeitig stattfinden und welche nicht, unabhängig davon, wo sich diese Beobachter befinden und in welcher Weise sie sich bewegen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer „absoluten“ Zeit. Gäbe es eine absolute Zeit, so wären sich auch alle Beobachter über die Reihenfolge von Ereignissen einig. Insbesondere hätten sie dieselbe Vorstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erst in der [[Spezielle Relativitätstheorie|speziellen Relativitätstheorie]] wird die Existenz einer universell gültigen Zeit – und somit eines universellen Verständnisses von Gleichzeitigkeit – widerlegt.


Hierbei ist zu beachten, dass nicht ''dt'', sondern allein diese ''Eigenzeit'' <math> d\tau</math>, bei allen [[Lorentztransformation]]en denselben Wert hat.
[[Datei:Relativität der Gleichzeitigkeit.jpg|mini|hochkant=1.5|Gegeneinander bewegte Beobachter sind sich uneins, ob zwei Ereignisse gleichzeitig sind oder nicht.]]
Ausgangspunkt für die spezielle Relativitätstheorie ist die durch zahlreiche Beobachtungen bestätigte Tatsache, dass die Messung der Lichtgeschwindigkeit in jedem Inertialsystem und unter allen Umständen stets denselben Wert liefert. Man spricht von der „Invarianz der Lichtgeschwindigkeit“. Unter dieser Voraussetzung machen wir folgendes [[Gedankenexperiment]]: Ein Zug fährt mit hoher Geschwindigkeit durch einen Bahnhof. Nun wird im Zug mittig zwischen zwei mitgeführten Uhren A1 und A2 ein Lichtblitz ausgelöst, wobei bei Ankunft der Lichtblitze an den Uhren die jeweilige Uhr zu laufen beginnt. Da die Lichtgeschwindigkeit in jedem [[Inertialsystem]] in allen Richtungen gleich groß ist (siehe oben), wird ein Fahrgast des Zuges, also ein Beobachter im Ruhesystem des Zuges, durch späteren Uhrenvergleich feststellen, dass A1 und A2 von den Lichtblitzen gleichzeitig erreicht wurden und die beiden Uhren somit synchron zu laufen begannen. Vom Standpunkt eines Beobachters im Ruhesystem des Bahnhofes sieht die Reihenfolge der Ereignisse aber anders aus. Um den Zeitpunkt der Ankunft der Lichtblitze bei A1 und A2 genau bestimmen zu können, hat er [[Einstein-Synchronisation|mit Lichtsignalen synchronisierte]] und mit Sensoren ausgestattete Uhren am Bahnsteig befestigt. Für diesen Beobachter bewegt sich der Zug mit hoher Geschwindigkeit (in der Abbildung Durchfahrt von links nach rechts). Daraus folgt, dass der Blitz zu A2 einen längeren Weg zurücklegen muss als zu A1, weil A2 sich von der Stelle, von der der Blitz ausgegangen ist, fortbewegt, wohingegen A1 sich auf diese Stelle zubewegt. Die an den Gleisen befestigten Uhren werden folglich anzeigen, dass A1 zeitlich vor A2 vom Blitz getroffen wurde und früher zu laufen begann. A1 und A2 sind aus Sicht des Ruhesystems des Bahnhofes also nicht synchron.


Zwischen der Zeit ''dt'' und der in einem mit der Geschwindigkeit ''v'' bewegten System gemessenen Zeit <math>dt'</math> besteht gemäß der Lorentztransformation die Beziehung <math> dt = \frac{dt'+(v/c^2)dx'}{\sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}}\,,</math>
Die Relativität der Gleichzeitigkeit besagt somit, dass an unterschiedlichen Orten stattfindende Ereignisse, die in einem Inertialsystem gleichzeitig sind, aus Sicht eines relativ dazu bewegten Inertialsystems nicht gleichzeitig sind. Die Diskrepanz ist umso größer, je höher die Relativgeschwindigkeit und je größer der räumliche Abstand der Ereignisse ist. Wichtig dabei ist, dass die Messungen in allen Inertialsystemen unmittelbar am Ort der Ereignisse mittels synchronisierter Uhren durchgeführt wurden.
wobei ''v'' die Geschwindigkeit des Systems und ''c'' die Lichtgeschwindigkeit ist. Ferner ist <math> dx'</math> die zurückgelegte Strecke.


Für das Intervall <math>dt</math> und die Eigenzeit <math>d\tau</math> ergibt sich mit <math> dt'\to d\tau</math> und <math>dx'\to 0</math> die fundamentale Relation
== Kausalität sowie Zukunft und Vergangenheit im Minkowski-Raum ==
[[Datei:World line-de.svg|mini|rechts|Lichtkegel in einer [[Raumzeit]] mit zwei Raumdimensionen.]]


: <math>d\tau = dt\cdot\sqrt{1-\frac{v^2}{c^2}}\,</math>
Unter [[Kausalität]] versteht man die eindeutige Beziehung von Ursache und Wirkung. Ein Ereignis kann nur dann die Ursache für ein zweites Ereignis sein, wenn es zeitlich vor ihm eintritt. Da aber die Reihenfolge von Ereignissen vom Beobachter (bzw. von dessen Bewegungszustand) abhängt, könnte dies zu Problemen mit der Kausalität führen. Denn wenn in einem Bezugssystem Ereignis&nbsp;A vor Ereignis&nbsp;B eintritt, im anderen Bezugssystem jedoch Ereignis&nbsp;B vor Ereignis&nbsp;A, dann folgt daraus, dass sowohl A Ursache von B, als auch B Ursache von A sein könnte. Damit lassen sich [[Paradoxie]]n konstruieren, bei denen ein Ereignis sich selbst in der Vergangenheit rückwirkend verhindert. Außerdem wären Zeitreisen mit [[Überlichtgeschwindigkeit]] möglich. Man reist von A zum späteren Ereignis&nbsp;B. Dann wechselt man durch normale Beschleunigung in ein Bezugssystem, in dem A später als B stattfindet. Anschließend reist man wiederum mit Überlichtgeschwindigkeit von B zu einem Ereignis vor&nbsp;A. Dies ist einer der Gründe dafür, warum generell angenommen wird, dass Überlichtgeschwindigkeit nicht möglich ist.


Im obigen Beispiel ist <math>v</math> bestenfalls von der Größenordnung der Schallgeschwindigkeit an Luft, &nbsp; <math>\approx 330</math> m/s, was verglichen mit ''c'' sehr klein ist (<math> c\approx 300.000</math> km/s). Man braucht also in der Praxis schon extrem genaue Uhren, um die Effekte zu messen.
Die Lichtgeschwindigkeit stellt also eine Maximalgeschwindigkeit dar, und die Raumzeit zerfällt in drei Bereiche: Aus Sicht eines Beobachters gibt es eine ''Zukunft'', die von ihm beeinflussbar ist, eine  ''Vergangenheit'', deren Auswirkungen ihn betreffen und ein „Anderswo“, mit dem er in keiner kausalen Beziehung steht. Diese drei Bereiche werden im [[Minkowski-Raum]] durch den [[Lichtkegel|Doppelkegel des Lichts]] voneinander getrennt. Da die Lichtgeschwindigkeit invariant ist, ist die Zuordnung von Ereignissen zu einem der drei Bereiche für alle Beobachter gleich. Das bedeutet, dass verschiedene Beobachter zwar die Gleichzeitigkeit und die Reihenfolge von manchen Ereignissen unterschiedlich bewerten können (nämlich dann, wenn sich eines der Ereignisse im Anderswo des anderen befindet), dass sie sich aber bezüglich der Kausalität stets einig sind. Ob ein Ereignis A die Ursache für ein Ereignis B sein kann, hängt nicht vom Bezugssystem des Beobachters ab. Insofern ist es korrekt, von einer ''absoluten'' Zukunft und einer ''absoluten'' Vergangenheit zu sprechen, wenn es auch eine ''absolute'' Gegenwart nicht gibt, außer im „Hier und Jetzt“.


Gegenüber <math>d\tau</math> ist ''dt'' vergrößert ([[Zeitdilatation]]).
Der Raumzeitpunkt des Beobachters („Hier und Jetzt“) wird im Folgenden mit A bezeichnet. Ein zweites beliebiges Ereignis mit B. Folgende Aussagen über diese beiden Ereignisse sind gültig:
# Falls B sich im Zukunftslichtkegel von A befindet: „Der Beobachter kann das Ereignis erreichen, indem er sich langsamer als das Licht bewegt.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem B am selben Ort wie A stattfindet (nämlich das Ruhesystem des Beobachters). Es gibt aber kein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse gleichzeitig eintreten. Alle Beobachter sind sich darüber einig, dass B später als A eintritt. Diese Lage von Ereignissen zueinander nennt man ''zeitartig''.
# Falls sich B auf der Oberfläche des Zukunftslichtkegels von A befindet: „Der Beobachter könnte das Ereignis B nur erreichen, wenn er sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen würde.“ Auch in diesem Fall sind sich alle Beobachter über die Reihenfolge von A und B einig. Es gibt weder ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort, noch ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden. Diese Lage der Ereignisse zueinander nennt man ''lichtartig''.
# Falls sich B außerhalb der beiden Lichtkegel von A befindet: „Nichts kann von B nach A oder von A nach B gelangen, denn dafür müsste es sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden, sich also nur im Ort unterscheiden. Es gibt aber kein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort stattfinden. Daher nennt man diese Lage von Ereignissen zueinander ''raumartig''. In diesem –&nbsp;und nur in diesem&nbsp;– Fall ist die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse vom Bewegungszustand des Beobachters abhängig. Hinsichtlich der Kausalität spielt das aber keine Rolle, da alle Beobachter auch darin übereinstimmen, dass keines der Ereignisse Ursache des anderen Ereignisses sein kann.


== Allgemeine Relativitätstheorie ==
== Der beschleunigte Beobachter ==
[[Datei:Lorentz transform of world line.gif|miniatur|200px|links|Raumzeit aus Sicht eines beschleunigten Beobachters.]]
Die Animation links demonstriert, wie sich die Minkowski-Raumzeit für einen beschleunigten Beobachter darstellt. Die punktierte Linie stellt dabei die [[Weltlinie]] des Beobachters dar, der sich jeweils in der Mitte des Bildes befindet. Die dicken Punkte markieren gleiche (Eigen)zeitintervalle. Dehnung und Stauchung der Weltlinie zeigen Beschleunigung des Beobachters in Bewegungsrichtung, Krümmung Beschleunigung quer dazu. Das Diagramm zeigt die Welt zu jedem Zeitpunkt im [[Inertialsystem]], also aus Sicht des Beobachters. Bei den Beschleunigungen kann man beobachten, dass Punkte der Raumzeit ''nach oben'', also entgegen dem „Zeitfluss“, laufen. Jedoch überqueren sie dabei niemals den Lichtkegel (die Diagonallinien) von unten; dieser wird durch den Zeitablauf stets nur ''nach unten'' durchquert. Somit kann ein Punkt niemals in den Vorwärtslichtkegel eintreten (man kann durch Beschleunigung kein Ereignis in die absolute Zukunft versetzen) und niemals den Rückwärtslichtkegel verlassen (man kann Ereignisse durch Beschleunigung nicht aus der absoluten Vergangenheit herausholen).


In der [[Allgemeine Relativitätstheorie|allgemeinen Relativitätstheorie]] ist die Gleichzeitigkeit selbst für „mitbewegte“ (bedeutet hier „frei fallende“) Beobachter schwer zu definieren, weil das Verhältnis <math> d\tau / dt</math> jetzt nicht nur von ''v'', sondern auch von sämtlichen gravitierenden Massen abhängt. Außerdem müssen zwei verschiedene Ereignisse keineswegs immer „kausal verbunden“ sein. Das hat insbesondere zur Folge, dass Aussagen wie „etwas passiert jetzt im Andromeda-Nebel“ wenig sinnvoll sind.
Man sieht auch, dass die Weltlinie des Beobachters stets innerhalb des Lichtkegels verläuft. Ereignisse, die den Beobachter erreichen bzw. erreicht haben, liegen stets in seiner absoluten Zukunft bzw. Vergangenheit; die Reihenfolge dieser Ereignisse lässt sich durch Beschleunigung nicht verändern. Insbesondere kann der Beobachter vergangene Ereignisse nicht zu zukünftigen Ereignissen machen.
{{Absatz}}


Für menschliche Alltagserfahrung spielen diese Effekte keine Rolle: Selbst wenn man auf dem Mount Everest stünde und aufs Meer hinaussehen könnte, wäre für den gesamten sichtbaren Bereich der Erdoberfläche bis zum Horizont die Relativität der Gleichzeitigkeit auf einen Bereich von wenigen Millisekunden beschränkt. Dieses Zeitintervall liegt unterhalb der Schwelle, ab der wir überhaupt in der Lage sind, die Reihenfolge von Ereignissen aufzulösen, und unterhalb der Schwelle, ab der wir optische Eigenschaften als nicht-gleichzeitig wahrnehmen können. Für die Alltagserfahrung ist also das Licht stets unendlich schnell und die Gleichzeitigkeit wohldefiniert.
== Gleichzeitigkeit im Alltag ==
Für menschliche Alltagserfahrung spielen relativistische Effekte der Gleichzeitigkeit keine Rolle: Selbst wenn man auf dem Mount Everest stünde und aufs Meer hinaussehen könnte, wäre für den gesamten sichtbaren Bereich der Erdoberfläche bis zum Horizont die Relativität der Gleichzeitigkeit auf einen Bereich von wenigen Millisekunden beschränkt. Dieses Zeitintervall liegt unterhalb der [[Zeitwahrnehmung#Schwellen|Schwelle]], ab der Menschen überhaupt in der Lage sind, die Reihenfolge von Ereignissen aufzulösen, und unterhalb der Schwelle, ab der Menschen optische Eigenschaften als nichtgleichzeitig wahrnehmen können. Für die Alltagserfahrung ist das Licht stets derart schnell, dass der Eindruck einer Gleichzeitigkeit der Ereignisse entsteht.


== Literatur ==
== Literatur ==
* Albert Einstein: ''Zur Elektrodynamik bewegter Körper.'' In: ''Annalen der Physik und Chemie.'' 17, 1905, S.&nbsp;891–921 (als [http://www.physik.fu-berlin.de/~kleinert/files/1905_17_891-921.pdf Faksimile] (PDF; 2,0&nbsp;MB); als [[Wikilivres:Zur Elektrodynamik bewegter Körper|digitalisierter Volltext]] bei [[Wikilivres]]; und [[b:A. Einstein: Kommentare und Erläuterungen: Zur Elektrodynamik bewegter Körper|kommentiert und erläutert]] bei [[Wikibooks]])
* Albert Einstein: ''Zur Elektrodynamik bewegter Körper.'' In: ''Annalen der Physik und Chemie.'' 17, 1905, S.&nbsp;891–921 (als [http://www.physik.fu-berlin.de/~kleinert/files/1905_17_891-921.pdf Faksimile] (PDF; 1,9&nbsp;MB); als [[Wikilivres:Zur Elektrodynamik bewegter Körper|digitalisierter Volltext]] bei [[Wikilivres]]; und [[b:A. Einstein: Kommentare und Erläuterungen: Zur Elektrodynamik bewegter Körper|kommentiert und erläutert]] bei [[Wikibooks]])
* P. Mittelstaedt: ''Der Zeitbegriff in der Physik''. 1980, ISBN 3-411-01585-3
* P. Mittelstaedt: ''Der Zeitbegriff in der Physik''. 1980, ISBN 3-411-01585-3
* H. Reichenbach: ''Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre''. Vieweg, Braunschweig 1924
* H. Reichenbach: ''Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre''. Vieweg, Braunschweig 1924
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== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.pitt.edu/~jdnorton/Goodies/rel_of_sim/index.html Detaillierte Beschreibung der Relativität der Gleichzeitigkeit] (englisch)
* [http://www.pitt.edu/~jdnorton/Goodies/rel_of_sim/index.html Detaillierte Beschreibung der Relativität der Gleichzeitigkeit] (englisch).
* {{Alpha Centauri|71}}
* {{Alpha Centauri|71}}
== Anmerkung ==
<references />


{{SORTIERUNG:Relativitat der Gleichzeitigkeit}}
{{SORTIERUNG:Relativitat der Gleichzeitigkeit}}
[[Kategorie:Spezielle Relativitätstheorie]]
[[Kategorie:Spezielle Relativitätstheorie]]

Aktuelle Version vom 7. November 2021, 17:45 Uhr

Die Relativität der Gleichzeitigkeit ist eine Aussage der speziellen Relativitätstheorie. Sie besagt, dass es auf die Frage, ob zwei Ereignisse an verschiedenen Orten gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeitpunkten stattfinden, keine für alle Beobachter gleichermaßen gültige Antwort gibt.

Erläuterung

Gleichzeitigkeit ist ein grundlegender Begriff in der Physik. Alle Aussagen über Zeitabläufe beruhen auf Zeitvergleichen und somit auf dem Begriff Gleichzeitigkeit. Ein Beobachter kann jederzeit problemlos erkennen, ob in seiner unmittelbaren Umgebung zwei Ereignisse gleichzeitig stattfinden oder nicht. Bei weiter entfernten Ereignissen ist dies nicht ohne weiteres der Fall.

Im Rahmen der newtonschen Physik scheint es möglich, ein einheitliches Zeitsystem zu definieren, das für das gesamte Universum gilt. Damit ist gemeint, dass zwei Beobachter zwar unter Umständen verschiedene Zeitpunkte für bestimmte Ereignisse messen, dass sich aber diese Zeitpunkte eindeutig einander zuordnen lassen, so dass klar ist, welche Ereignisse gleichzeitig stattfinden und welche nicht, unabhängig davon, wo sich diese Beobachter befinden und in welcher Weise sie sich bewegen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer „absoluten“ Zeit. Gäbe es eine absolute Zeit, so wären sich auch alle Beobachter über die Reihenfolge von Ereignissen einig. Insbesondere hätten sie dieselbe Vorstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Erst in der speziellen Relativitätstheorie wird die Existenz einer universell gültigen Zeit – und somit eines universellen Verständnisses von Gleichzeitigkeit – widerlegt.

Datei:Relativität der Gleichzeitigkeit.jpg
Gegeneinander bewegte Beobachter sind sich uneins, ob zwei Ereignisse gleichzeitig sind oder nicht.

Ausgangspunkt für die spezielle Relativitätstheorie ist die durch zahlreiche Beobachtungen bestätigte Tatsache, dass die Messung der Lichtgeschwindigkeit in jedem Inertialsystem und unter allen Umständen stets denselben Wert liefert. Man spricht von der „Invarianz der Lichtgeschwindigkeit“. Unter dieser Voraussetzung machen wir folgendes Gedankenexperiment: Ein Zug fährt mit hoher Geschwindigkeit durch einen Bahnhof. Nun wird im Zug mittig zwischen zwei mitgeführten Uhren A1 und A2 ein Lichtblitz ausgelöst, wobei bei Ankunft der Lichtblitze an den Uhren die jeweilige Uhr zu laufen beginnt. Da die Lichtgeschwindigkeit in jedem Inertialsystem in allen Richtungen gleich groß ist (siehe oben), wird ein Fahrgast des Zuges, also ein Beobachter im Ruhesystem des Zuges, durch späteren Uhrenvergleich feststellen, dass A1 und A2 von den Lichtblitzen gleichzeitig erreicht wurden und die beiden Uhren somit synchron zu laufen begannen. Vom Standpunkt eines Beobachters im Ruhesystem des Bahnhofes sieht die Reihenfolge der Ereignisse aber anders aus. Um den Zeitpunkt der Ankunft der Lichtblitze bei A1 und A2 genau bestimmen zu können, hat er mit Lichtsignalen synchronisierte und mit Sensoren ausgestattete Uhren am Bahnsteig befestigt. Für diesen Beobachter bewegt sich der Zug mit hoher Geschwindigkeit (in der Abbildung Durchfahrt von links nach rechts). Daraus folgt, dass der Blitz zu A2 einen längeren Weg zurücklegen muss als zu A1, weil A2 sich von der Stelle, von der der Blitz ausgegangen ist, fortbewegt, wohingegen A1 sich auf diese Stelle zubewegt. Die an den Gleisen befestigten Uhren werden folglich anzeigen, dass A1 zeitlich vor A2 vom Blitz getroffen wurde und früher zu laufen begann. A1 und A2 sind aus Sicht des Ruhesystems des Bahnhofes also nicht synchron.

Die Relativität der Gleichzeitigkeit besagt somit, dass an unterschiedlichen Orten stattfindende Ereignisse, die in einem Inertialsystem gleichzeitig sind, aus Sicht eines relativ dazu bewegten Inertialsystems nicht gleichzeitig sind. Die Diskrepanz ist umso größer, je höher die Relativgeschwindigkeit und je größer der räumliche Abstand der Ereignisse ist. Wichtig dabei ist, dass die Messungen in allen Inertialsystemen unmittelbar am Ort der Ereignisse mittels synchronisierter Uhren durchgeführt wurden.

Kausalität sowie Zukunft und Vergangenheit im Minkowski-Raum

Lichtkegel in einer Raumzeit mit zwei Raumdimensionen.

Unter Kausalität versteht man die eindeutige Beziehung von Ursache und Wirkung. Ein Ereignis kann nur dann die Ursache für ein zweites Ereignis sein, wenn es zeitlich vor ihm eintritt. Da aber die Reihenfolge von Ereignissen vom Beobachter (bzw. von dessen Bewegungszustand) abhängt, könnte dies zu Problemen mit der Kausalität führen. Denn wenn in einem Bezugssystem Ereignis A vor Ereignis B eintritt, im anderen Bezugssystem jedoch Ereignis B vor Ereignis A, dann folgt daraus, dass sowohl A Ursache von B, als auch B Ursache von A sein könnte. Damit lassen sich Paradoxien konstruieren, bei denen ein Ereignis sich selbst in der Vergangenheit rückwirkend verhindert. Außerdem wären Zeitreisen mit Überlichtgeschwindigkeit möglich. Man reist von A zum späteren Ereignis B. Dann wechselt man durch normale Beschleunigung in ein Bezugssystem, in dem A später als B stattfindet. Anschließend reist man wiederum mit Überlichtgeschwindigkeit von B zu einem Ereignis vor A. Dies ist einer der Gründe dafür, warum generell angenommen wird, dass Überlichtgeschwindigkeit nicht möglich ist.

Die Lichtgeschwindigkeit stellt also eine Maximalgeschwindigkeit dar, und die Raumzeit zerfällt in drei Bereiche: Aus Sicht eines Beobachters gibt es eine Zukunft, die von ihm beeinflussbar ist, eine Vergangenheit, deren Auswirkungen ihn betreffen und ein „Anderswo“, mit dem er in keiner kausalen Beziehung steht. Diese drei Bereiche werden im Minkowski-Raum durch den Doppelkegel des Lichts voneinander getrennt. Da die Lichtgeschwindigkeit invariant ist, ist die Zuordnung von Ereignissen zu einem der drei Bereiche für alle Beobachter gleich. Das bedeutet, dass verschiedene Beobachter zwar die Gleichzeitigkeit und die Reihenfolge von manchen Ereignissen unterschiedlich bewerten können (nämlich dann, wenn sich eines der Ereignisse im Anderswo des anderen befindet), dass sie sich aber bezüglich der Kausalität stets einig sind. Ob ein Ereignis A die Ursache für ein Ereignis B sein kann, hängt nicht vom Bezugssystem des Beobachters ab. Insofern ist es korrekt, von einer absoluten Zukunft und einer absoluten Vergangenheit zu sprechen, wenn es auch eine absolute Gegenwart nicht gibt, außer im „Hier und Jetzt“.

Der Raumzeitpunkt des Beobachters („Hier und Jetzt“) wird im Folgenden mit A bezeichnet. Ein zweites beliebiges Ereignis mit B. Folgende Aussagen über diese beiden Ereignisse sind gültig:

  1. Falls B sich im Zukunftslichtkegel von A befindet: „Der Beobachter kann das Ereignis erreichen, indem er sich langsamer als das Licht bewegt.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem B am selben Ort wie A stattfindet (nämlich das Ruhesystem des Beobachters). Es gibt aber kein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse gleichzeitig eintreten. Alle Beobachter sind sich darüber einig, dass B später als A eintritt. Diese Lage von Ereignissen zueinander nennt man zeitartig.
  2. Falls sich B auf der Oberfläche des Zukunftslichtkegels von A befindet: „Der Beobachter könnte das Ereignis B nur erreichen, wenn er sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen würde.“ Auch in diesem Fall sind sich alle Beobachter über die Reihenfolge von A und B einig. Es gibt weder ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort, noch ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden. Diese Lage der Ereignisse zueinander nennt man lichtartig.
  3. Falls sich B außerhalb der beiden Lichtkegel von A befindet: „Nichts kann von B nach A oder von A nach B gelangen, denn dafür müsste es sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen.“ In diesem Fall gibt es ein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse zur selben Zeit stattfinden, sich also nur im Ort unterscheiden. Es gibt aber kein Bezugssystem, in dem beide Ereignisse am gleichen Ort stattfinden. Daher nennt man diese Lage von Ereignissen zueinander raumartig. In diesem – und nur in diesem – Fall ist die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse vom Bewegungszustand des Beobachters abhängig. Hinsichtlich der Kausalität spielt das aber keine Rolle, da alle Beobachter auch darin übereinstimmen, dass keines der Ereignisse Ursache des anderen Ereignisses sein kann.

Der beschleunigte Beobachter

Raumzeit aus Sicht eines beschleunigten Beobachters.

Die Animation links demonstriert, wie sich die Minkowski-Raumzeit für einen beschleunigten Beobachter darstellt. Die punktierte Linie stellt dabei die Weltlinie des Beobachters dar, der sich jeweils in der Mitte des Bildes befindet. Die dicken Punkte markieren gleiche (Eigen)zeitintervalle. Dehnung und Stauchung der Weltlinie zeigen Beschleunigung des Beobachters in Bewegungsrichtung, Krümmung Beschleunigung quer dazu. Das Diagramm zeigt die Welt zu jedem Zeitpunkt im Inertialsystem, also aus Sicht des Beobachters. Bei den Beschleunigungen kann man beobachten, dass Punkte der Raumzeit nach oben, also entgegen dem „Zeitfluss“, laufen. Jedoch überqueren sie dabei niemals den Lichtkegel (die Diagonallinien) von unten; dieser wird durch den Zeitablauf stets nur nach unten durchquert. Somit kann ein Punkt niemals in den Vorwärtslichtkegel eintreten (man kann durch Beschleunigung kein Ereignis in die absolute Zukunft versetzen) und niemals den Rückwärtslichtkegel verlassen (man kann Ereignisse durch Beschleunigung nicht aus der absoluten Vergangenheit herausholen).

Man sieht auch, dass die Weltlinie des Beobachters stets innerhalb des Lichtkegels verläuft. Ereignisse, die den Beobachter erreichen bzw. erreicht haben, liegen stets in seiner absoluten Zukunft bzw. Vergangenheit; die Reihenfolge dieser Ereignisse lässt sich durch Beschleunigung nicht verändern. Insbesondere kann der Beobachter vergangene Ereignisse nicht zu zukünftigen Ereignissen machen.

Gleichzeitigkeit im Alltag

Für menschliche Alltagserfahrung spielen relativistische Effekte der Gleichzeitigkeit keine Rolle: Selbst wenn man auf dem Mount Everest stünde und aufs Meer hinaussehen könnte, wäre für den gesamten sichtbaren Bereich der Erdoberfläche bis zum Horizont die Relativität der Gleichzeitigkeit auf einen Bereich von wenigen Millisekunden beschränkt. Dieses Zeitintervall liegt unterhalb der Schwelle, ab der Menschen überhaupt in der Lage sind, die Reihenfolge von Ereignissen aufzulösen, und unterhalb der Schwelle, ab der Menschen optische Eigenschaften als nichtgleichzeitig wahrnehmen können. Für die Alltagserfahrung ist das Licht stets derart schnell, dass der Eindruck einer Gleichzeitigkeit der Ereignisse entsteht.

Literatur

  • Albert Einstein: Zur Elektrodynamik bewegter Körper. In: Annalen der Physik und Chemie. 17, 1905, S. 891–921 (als Faksimile (PDF; 1,9 MB); als digitalisierter Volltext bei Wikilivres; und kommentiert und erläutert bei Wikibooks)
  • P. Mittelstaedt: Der Zeitbegriff in der Physik. 1980, ISBN 3-411-01585-3
  • H. Reichenbach: Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre. Vieweg, Braunschweig 1924
  • H. Reichenbach: Philosophie der Raum-Zeit-Lehre. de Gruyter, Berlin & Leipzig, 1928

Weblinks

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