Myonischer Wasserstoff: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Myonischer Wasserstoff''' ist ein [[Exotische Atome|exotisches Atom]], in dem ein [[Myon]] an ein [[Proton]] gebunden ist. Da das Myon etwa 200-mal schwerer ist als das [[Elektron]], welches in normalem [[Wasserstoff]] an ein Proton gebunden ist, hat das Energiespektrum deutliche Abweichungen gegenüber dem [[Wasserstoffspektrum]]. Wegen der [[Lebensdauer (Physik)|mittleren Lebensdauer]] des Myons von etwa 2,2&nbsp;·&nbsp;10<sup>−6</sup>&nbsp;s ist auch die Lebensdauer myonischen Wasserstoffs auf die Größenordnung von einer millionstel Sekunde begrenzt.
'''Myonischer Wasserstoff''' ist ein [[Exotische Atome|exotisches Atom]], in dem ein [[Myon]] an ein [[Proton]] gebunden ist. Da das Myon etwa 207-mal schwerer ist als das [[Elektron]], welches in normalem [[Wasserstoff]] an ein Proton gebunden ist, hat das Energiespektrum deutliche Abweichungen gegenüber dem [[Wasserstoffspektrum]]. Wegen der [[Lebensdauer (Physik)|mittleren Lebensdauer]] des Myons von etwa {{ZahlExp|2,2|−6|post=s}} ist auch die Lebensdauer myonischen Wasserstoffs auf die Größenordnung von einer Millionstel Sekunde begrenzt.


== Physikalische Eigenschaften ==
== Physikalische Eigenschaften ==
Durch die hohe Masse des Myons ist der Abstand zwischen diesem und dem Proton wesentlich geringer als bei normalem Wasserstoff:
Durch die hohe Masse des Myons ist der Abstand zwischen diesem und dem Proton wesentlich geringer als bei normalem Wasserstoff.
* der [[Bohr-Radius]] des normalen Wasserstoffs beträgt <math>a_0 = \frac{\lambda_{\mathrm{e}}}{2 \pi \alpha} \approx 21,8 \lambda_{\mathrm{e}}</math>,<br />mit der [[Compton-Wellenlänge]] <math>\lambda_{\mathrm{e}}</math> des Elektrons und<br />der [[Feinstrukturkonstante]] <math>\alpha,</math>
In normalem Wasserstoff beträgt der [[Bohrscher Radius|bohrsche Radius]] (Radius des Grundzustands im [[Bohrsches Atommodell|bohrschen Atommodell]])
* während der Bohrsche Radius des myonischen Wasserstoffs nur ca. ein Dreißigstel dieses Wertes beträgt: <math>a_{0, \mathrm{myonisch}} \approx 0,73 \lambda_{\mathrm{e}}.</math>
<!--- :<math>a_0 = \frac{4\pi\varepsilon_0\hbar^2}{m_{\mathrm{e} e^2}}\,.</math> -->
:<math>a_0 = \frac{\hbar}{\alpha m_\mathrm{e} c} = 53\cdot 10^{-12}\,\mathrm m</math>
und die [[Rydberg-Energie]] (Ionisationsenergie des Grundzustands)
:<math>R_\infty h c = \frac{\alpha^2}2 m_\mathrm e c^2 = 13{,}6\,\mathrm{eV}\,,</math>
wobei <math>\alpha</math> die [[Feinstrukturkonstante]] ist.
Aufgrund der höheren Masse des Myons ist der Radius des myonischen Wasserstoffs um den Faktor 186 reduziert<ref group="Anm" name="reduziert" />
:<math>a_0^{\mu\mathrm p}= 0{,}28\cdot 10^{-12}\,\mathrm m</math>
und die Rydberg-Energie entsprechend erhöht.


Die Compton-Wellenlänge des Elektrons ist die typische Längenskala für die [[Vakuumpolarisation]], folglich ist diese in myonischem Wasserstoff deutlich stärker ausgeprägt als in normalem Wasserstoff und die [[Lamb-Verschiebung]] ist die dominante Korrektur der Energiedifferenz von [[Elektronenkonfiguration|2p- und 2s]]-[[Energieniveau|Niveau]]. Anschaulich gesprochen hat das Myon im kugelsymmetrischen 2s-Niveau eine gewisse von Null verschiedene Aufenthaltswahrscheinlichkeit „im Innern des Protons“, in diesem Fall „sieht“ es dessen [[elektrische Ladung]] nicht – das Myon im 2p-Niveau hat dagegen beim Proton die Aufenthaltswahrscheinlichkeit Null.
Die [[Compton-Wellenlänge]]
: <math>\lambda_{\mathrm{e},\mu}=\frac h {m_{\mathrm{e},\mu}c}</math>
des Elektrons bzw. des Myons ist die typische Längenskala für die [[Vakuumpolarisation]], folglich ist diese in myonischem Wasserstoff deutlich stärker ausgeprägt als in normalem Wasserstoff und die [[Lamb-Verschiebung]] ist die dominante Korrektur der Energiedifferenz der [[Energieniveau]]s 2s<sub>1/2</sub> und 2p<sub>1/2</sub>.<ref name="Antognini" /> Anschaulich gesprochen hat das Myon im kugelsymmetrischen 2s-Niveau eine gewisse von Null verschiedene Aufenthaltswahrscheinlichkeit „im Innern des Protons“, in diesem Fall „sieht“ es dessen [[elektrische Ladung]] nicht – das Myon im 2p-Niveau hat dagegen beim Proton die Aufenthaltswahrscheinlichkeit Null. Da der Bohrsche Radius um den Faktor 186 kleiner ist, hat die 2s-Wellenfunktion des Myons einen um {{ZahlExp|7|6}} größeren Überlapp mit der Wellenfunktion des Protons.


Durch den geringen Abstand zwischen Myon und Proton kann die Größe des Protons gemessen werden, da die endliche Größe die Energieniveaus beeinflusst. Eine Messung im Jahr 2010 lieferte für den [[Proton]]enradius den Wert 0,84184(67)&nbsp;[[Femtometer|fm]], welcher von den vorherigen Messwerten signifikant abweicht, allerdings wesentlich genauer ist.<ref>{{Literatur |Autor=Randolf Pohl et al.<!--, Aldo Antognini, François Nez, Fernando D. Amaro, François Biraben, João M. R. Cardoso, Daniel S. Covita, Andreas Dax, Satish Dhawan, Luis M. P. Fernandes, Adolf Giesen, Thomas Graf, Theodor W. Hänsch, Paul Indelicato, Lucile Julien, Cheng-Yang Kao, Paul Knowles, Eric-Olivier Le Bigot, Yi-Wei Liu, José A. M. Lopes, Livia Ludhova, Cristina M. B. Monteiro, Françoise Mulhauser, Tobias Nebel, Paul Rabinowitz, Joaquim M. F. dos Santos, Lukas A. Schaller, Karsten Schuhmann, Catherine Schwob, David Taqqu, João F. C. A. Veloso, Franz Kottmann--> |Titel=The size of the proton |Sammelwerk=Nature |Band=466 |Nummer=7303 |Datum=2010 |Seiten=213–216 |DOI=10.1038/nature09250}}</ref> Von derselben Arbeitsgruppe durchgeführte Messungen aus dem Jahr 2013 liefern mit einem Protonenradius von 0,84087(39)&nbsp;fm einen nochmals genaueren Messwert, der jedoch immer noch vom, durch Streuungsmessungen an [[Wasserstoff|elektronischem Wasserstoff]] bestimmten, Wert des Protonenradius von 0,8775(51)&nbsp;fm abweicht.<ref>{{Literatur |Autor=Randolf Pohl et al. |Titel=Muonic hydrogen and the proton radius puzzle |Sammelwerk=Annual Review of Nuclear and Particle Science |Band=Vol. 63 |Datum=2013 |Seiten=175–204 |arxiv=1301.0905v2 |DOI=10.1146/annurev-nucl-102212-170627}}</ref> Dies könnte ein Hinweis auf eine [[Standardmodell#Physik jenseits des Standardmodells|Neue Physik]] sein, da das [[Standardmodell]] bisher nicht im Stande ist diese Abweichung zu erklären.<ref>{{Literatur |Autor=Randolf Pohl, Jan C. Bernauer |Titel=Das Proton-Paradoxon |Sammelwerk=Spektrum der Wissenschaft |Band=April |Datum=2014 |Seiten=48–55}}</ref>
== Messung des Protonradius ==
 
Durch den geringen Abstand zwischen Myon und Proton kann die Größe des Protons gemessen werden, da die endliche Größe die Energieniveaus beeinflusst.<ref name="Antognini" /> Eine Messung im Jahr 2010 lieferte für den [[Ladungsradius]] des Protons den Wert 0,84184(67)&nbsp;[[Femtometer|fm]], welcher von den vorherigen Messwerten signifikant abweicht, allerdings wesentlich genauer ist.<ref>{{Literatur |Autor=Randolf Pohl et al.<!--, Aldo Antognini, François Nez, Fernando D. Amaro, François Biraben, João M. R. Cardoso, Daniel S. Covita, Andreas Dax, Satish Dhawan, Luis M. P. Fernandes, Adolf Giesen, Thomas Graf, Theodor W. Hänsch, Paul Indelicato, Lucile Julien, Cheng-Yang Kao, Paul Knowles, Eric-Olivier Le Bigot, Yi-Wei Liu, José A. M. Lopes, Livia Ludhova, Cristina M. B. Monteiro, Françoise Mulhauser, Tobias Nebel, Paul Rabinowitz, Joaquim M. F. dos Santos, Lukas A. Schaller, Karsten Schuhmann, Catherine Schwob, David Taqqu, João F. C. A. Veloso, Franz Kottmann--> |Titel=The size of the proton |Sammelwerk=Nature |Band=466 |Nummer=7303 |Datum=2010 |Seiten=213–216 |DOI=10.1038/nature09250}}</ref> Von derselben Arbeitsgruppe durchgeführte Messungen aus dem Jahr 2013 liefern mit einem Protonenradius von 0,84087(39)&nbsp;fm einen nochmals genaueren Messwert, der jedoch immer noch vom durch Streuungsmessungen an [[Wasserstoff|elektronischem Wasserstoff]] bestimmten Wert des Protonenradius von 0,8775(51)&nbsp;fm abweicht.<ref name="Pohl2013" /> Dies könnte ein Hinweis auf eine Neue Physik sein, da das [[Standardmodell]] bisher nicht imstande ist, diese Abweichung zu erklären.<ref name="Pohl2014" />
 
== Anmerkungen ==
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== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references>
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|Autor=Randolf Pohl et al.
|Titel=Muonic hydrogen and the proton radius puzzle
|Sammelwerk=Annual Review of Nuclear and Particle Science
|Band=Vol. 63
|Datum=2013
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[https://arxiv.org/abs/1512.01765] Aldo Antognini, Muonic atoms and the nuclear structure, COLS 2015, Singapore.
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</references>


[[Kategorie:Kernphysik]]
[[Kategorie:Kernphysik]]
[[Kategorie:Atomphysik]]
[[Kategorie:Atomphysik]]

Aktuelle Version vom 10. April 2021, 16:05 Uhr

Myonischer Wasserstoff ist ein exotisches Atom, in dem ein Myon an ein Proton gebunden ist. Da das Myon etwa 207-mal schwerer ist als das Elektron, welches in normalem Wasserstoff an ein Proton gebunden ist, hat das Energiespektrum deutliche Abweichungen gegenüber dem Wasserstoffspektrum. Wegen der mittleren Lebensdauer des Myons von etwa 2.2e-6 s ist auch die Lebensdauer myonischen Wasserstoffs auf die Größenordnung von einer Millionstel Sekunde begrenzt.

Physikalische Eigenschaften

Durch die hohe Masse des Myons ist der Abstand zwischen diesem und dem Proton wesentlich geringer als bei normalem Wasserstoff. In normalem Wasserstoff beträgt der bohrsche Radius (Radius des Grundzustands im bohrschen Atommodell)

$ a_{0}={\frac {\hbar }{\alpha m_{\mathrm {e} }c}}=53\cdot 10^{-12}\,\mathrm {m} $

und die Rydberg-Energie (Ionisationsenergie des Grundzustands)

$ R_{\infty }hc={\frac {\alpha ^{2}}{2}}m_{\mathrm {e} }c^{2}=13{,}6\,\mathrm {eV} \,, $

wobei $ \alpha $ die Feinstrukturkonstante ist. Aufgrund der höheren Masse des Myons ist der Radius des myonischen Wasserstoffs um den Faktor 186 reduziert[Anm 1]

$ a_{0}^{\mu \mathrm {p} }=0{,}28\cdot 10^{-12}\,\mathrm {m} $

und die Rydberg-Energie entsprechend erhöht.

Die Compton-Wellenlänge

$ \lambda _{\mathrm {e} ,\mu }={\frac {h}{m_{\mathrm {e} ,\mu }c}} $

des Elektrons bzw. des Myons ist die typische Längenskala für die Vakuumpolarisation, folglich ist diese in myonischem Wasserstoff deutlich stärker ausgeprägt als in normalem Wasserstoff und die Lamb-Verschiebung ist die dominante Korrektur der Energiedifferenz der Energieniveaus 2s1/2 und 2p1/2.[1] Anschaulich gesprochen hat das Myon im kugelsymmetrischen 2s-Niveau eine gewisse von Null verschiedene Aufenthaltswahrscheinlichkeit „im Innern des Protons“, in diesem Fall „sieht“ es dessen elektrische Ladung nicht – das Myon im 2p-Niveau hat dagegen beim Proton die Aufenthaltswahrscheinlichkeit Null. Da der Bohrsche Radius um den Faktor 186 kleiner ist, hat die 2s-Wellenfunktion des Myons einen um 7e6 größeren Überlapp mit der Wellenfunktion des Protons.

Messung des Protonradius

Durch den geringen Abstand zwischen Myon und Proton kann die Größe des Protons gemessen werden, da die endliche Größe die Energieniveaus beeinflusst.[1] Eine Messung im Jahr 2010 lieferte für den Ladungsradius des Protons den Wert 0,84184(67) fm, welcher von den vorherigen Messwerten signifikant abweicht, allerdings wesentlich genauer ist.[2] Von derselben Arbeitsgruppe durchgeführte Messungen aus dem Jahr 2013 liefern mit einem Protonenradius von 0,84087(39) fm einen nochmals genaueren Messwert, der jedoch immer noch vom durch Streuungsmessungen an elektronischem Wasserstoff bestimmten Wert des Protonenradius von 0,8775(51) fm abweicht.[3] Dies könnte ein Hinweis auf eine Neue Physik sein, da das Standardmodell bisher nicht imstande ist, diese Abweichung zu erklären.[4]

Anmerkungen

  1. Da das Myon immerhin 19 der Masse des Protons hat, kann man das Proton nicht mehr als im Zentrum ruhend betrachten. Zur Korrektur muss man die reduzierte Masse $ {\textstyle {\frac {m_{\mu }\cdot m_{\mathrm {p} }}{m_{\mu }+m_{\mathrm {p} }}}} $ des Myons verwenden. Diese ist das 186-fache der reduzierten Elektronenmasse.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 [1] Aldo Antognini, Muonic atoms and the nuclear structure, COLS 2015, Singapore.
  2. Randolf Pohl et al.: The size of the proton. In: Nature. Band 466, Nr. 7303, 2010, S. 213–216, doi:10.1038/nature09250.
  3. Randolf Pohl et al.: Muonic hydrogen and the proton radius puzzle. In: Annual Review of Nuclear and Particle Science. Vol. 63, 2013, S. 175–204, doi:10.1146/annurev-nucl-102212-170627, arxiv:1301.0905v2.
  4. Randolf Pohl, Jan C. Bernauer: Das Proton-Paradoxon. In: Spektrum der Wissenschaft. April, 2014, S. 48–55.

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