Kosmischer Neutrinohintergrund: Unterschied zwischen den Versionen

Kosmischer Neutrinohintergrund: Unterschied zwischen den Versionen

imported>Acky69
K (Kap.überschrift)
 
imported>Ernsts
(→‎Einleitung: Akronyme)
 
Zeile 1: Zeile 1:
Der '''kosmische Neutrinohintergrund''' ist der Teil der Hintergrund[[strahlung]] des [[Weltall]]s, der aus [[Neutrino]]s besteht.
Der '''kosmische Neutrinohintergrund''', {{enS|cosmic neutrino background}} ({{lang|en|''CNB''}} oder {{lang|en|''CνB''}}) ist der Teil der Hintergrund[[strahlung]] des [[Weltall]]s, der aus [[Neutrino]]s besteht.


Wie der [[Kosmischer Mikrowellenhintergrund|kosmische Mikrowellenhintergrund]] ist der kosmische Neutrinohintergrund ein Überrest des [[Urknall]]s: er geht auf die Entkopplung der Neutrinos von der Materie rund zwei Sekunden nach dem Urknall zurück; der kosmische Mikrowellenhintergrund hingegen entstand, als das Weltall rund 380.000 Jahre alt war. Der kosmische Neutrinohintergrund besitzt heute schätzungsweise eine Temperatur von ungefähr 1,95 [[Kelvin|K]].
Wie der [[Kosmischer Mikrowellenhintergrund|kosmische Mikrowellenhintergrund]] (CMB) ist der kosmische Neutrinohintergrund ein Überrest des [[Urknall]]s.
Im Gegensatz zum kosmische Mikrowellenhintergrund, der etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall entstand, entstand der Neutrinohintergrund etwa 2 Sekunden nach dem Urknall.
Er geht auf die Entkopplung der Neutrinos von der restlichen Materie zurück. Der kosmische Neutrinohintergrund besitzt heute schätzungsweise eine Temperatur von ungefähr 1,95 [[Kelvin|K]].


Da Neutrinos mit einer geringen Energie nur sehr schwach mit Materie in Wechselwirkung treten, sind sie äußerst schwierig nachzuweisen. Es gibt jedoch überzeugende indirekte Hinweise auf sein Bestehen. Das geplante Experiment [[PTOLEMY]] hat als Ziel, den Neutrinohintergrund direkt zu messen.<ref>{{Literatur|arxiv=1307.4738|Autor=S. Betts u.&nbsp;a.|Titel=Development of a Relic Neutrino Detection Experiment at PTOLEMY: Princeton Tritium Observatory for Light, Early-Universe, Massive-Neutrino Yield|Jahr=2013-08-26}}</ref>
Da Neutrinos mit einer geringen Energie nur sehr schwach mit Materie in Wechselwirkung treten, sind sie äußerst schwierig nachzuweisen. Es gibt jedoch überzeugende indirekte Hinweise auf sein Bestehen. Das geplante Experiment [[PTOLEMY]] hat als Ziel, den Neutrinohintergrund direkt zu messen.<ref>{{Literatur |Autor=S. Betts u.&nbsp;a. |Titel=Development of a Relic Neutrino Detection Experiment at PTOLEMY: Princeton Tritium Observatory for Light, Early-Universe, Massive-Neutrino Yield |Datum=2013-08-26 |arXiv=1307.4738}}</ref>


== Herleitung der Temperatur ==
== Herleitung der Temperatur ==
Die Temperatur&nbsp;<math>T_\nu</math> des Neutrinohintergrunds für masselose Neutrinos, die stets [[relativistisch]] sind, kann wie folgt abgeschätzt werden, wenn man die Temperatur&nbsp;<math>T_\gamma</math> des kosmischen Mikrowellenhintergrundes als gegeben voraussetzt:
Die Temperatur&nbsp;<math>T_\nu</math> des Neutrinohintergrunds für masselose Neutrinos, die stets [[relativistisch]] sind, kann wie folgt abgeschätzt werden, wenn man die Temperatur&nbsp;<math>T_\gamma</math> des kosmischen Mikrowellenhintergrundes als gegeben voraussetzt:


Bevor die Neutrinos von der übrigen Materie entkoppelten, bestand das Weltall vornehmlich aus Neutrinos, [[Elektron]]en, [[Positron]]en und [[Photon]]en, welche sich alle im [[thermisches Gleichgewicht|thermischen Gleichgewicht]] miteinander befanden. Als die Temperatur auf etwa 2,5&nbsp;M[[Elektronenvolt|eV]] fiel (siehe [[Natürliche Einheiten]]), entkoppelten die Neutrinos von der übrigen Materie. Trotz dieser Entkopplung besaßen die Neutrinos nach wie vor dieselbe Temperatur wie die Photonen, als sich das Weltall weiter ausdehnte. Als die Temperatur jedoch unter die [[Elektronenmasse]] fiel, wurden die meisten Elektronen und Positronen durch [[Paarvernichtung]] ausgelöscht. Dadurch wurden ihre Energie und ihre [[Entropie]] auf die Photonen übertragen, was einer Erhöhung der Temperatur des Photonengases entspricht. Das Verhältnis der Temperaturen&nbsp;<math>T</math> von Neutrinos&nbsp;<math>\nu</math> und Photonen&nbsp;<math>\gamma</math> in der heutigen Hintergrundstrahlung ist also dasselbe wie das Verhältnis der Temperatur der Photonen vor und nach der Elektron-Positron-Paarvernichtung:
Bevor die Neutrinos von der übrigen Materie entkoppelten, bestand das Weltall vornehmlich aus Neutrinos, [[Elektron]]en, [[Positron]]en und [[Photon]]en, welche sich alle im [[Thermisches Gleichgewicht|thermischen Gleichgewicht]] miteinander befanden. Als die Temperatur auf etwa 2,5&nbsp;M[[Elektronenvolt|eV]] fiel (siehe [[Natürliche Einheiten]]), entkoppelten die Neutrinos von der übrigen Materie. Trotz dieser Entkopplung besaßen die Neutrinos nach wie vor dieselbe Temperatur wie die Photonen, als sich das Weltall weiter ausdehnte. Als die Temperatur jedoch unter die [[Elektronenmasse]] fiel, wurden die meisten Elektronen und Positronen durch [[Paarvernichtung]] ausgelöscht. Dadurch wurden ihre Energie und ihre [[Entropie]] auf die Photonen übertragen, was einer Erhöhung der Temperatur des Photonengases entspricht. Das Verhältnis der Temperaturen&nbsp;<math>T</math> von Neutrinos&nbsp;<math>\nu</math> und Photonen&nbsp;<math>\gamma</math> in der heutigen Hintergrundstrahlung ist also dasselbe wie das Verhältnis der Temperatur der Photonen vor und nach der Elektron-Positron-Paarvernichtung:


:<math>\frac{T_\nu}{T_\gamma} = \frac{T_0}{T_1}</math>
:<math>\frac{T_\nu}{T_\gamma} = \frac{T_0}{T_1}</math>
Zeile 23: Zeile 25:


wobei
wobei
* <math>g</math> die effektive Zahl der [[Freiheitsgrad]]e bezeichne, festgelegt durch die Teilchensorte:<ref name=Weinberg_Cosmology>{{Literatur|Autor=Steven Weinberg |Titel=Cosmology |Verlag=Oxford University Press |Seiten=151 |Jahr=2008 |ISBN=978-0-19-852682-7}}</ref>
* <math>g</math> die effektive Zahl der [[Freiheitsgrad]]e bezeichne, festgelegt durch die Teilchensorte:<ref name="Weinberg_Cosmology">{{Literatur |Autor=Steven Weinberg |Titel=Cosmology |Verlag=Oxford University Press |Datum=2008 |ISBN=978-0-19-852682-7 |Seiten=151}}</ref>
** 2 für Photonen, da sie masselose [[Boson]]en sind
** 2{{0|&#8239;·&#8239;(7&#8239;/&#8239;8)}} für masselose [[Boson]]en, d.&#8239;h. für Photonen
** (7/8) jeweils für Elektronen und Positronen, da sie [[Fermion]]en sind
** 2&#8239;·&#8239;(7&#8239;/&#8239;8) für [[Fermion]]en, d.&nbsp;h. für Leptonen (Elektronen, Positronen) und Neutrinos.
* <math>T</math> die [[absolute Temperatur]] des Photonengases,
* <math>T</math> die [[absolute Temperatur]] des Photonengases,
erhalten wir
erhalten wir
Zeile 31: Zeile 33:
:<math>\Rightarrow \frac{T_0}{T_1} = \left( \frac{g_1}{g_0} \right) ^{1/3}</math>
:<math>\Rightarrow \frac{T_0}{T_1} = \left( \frac{g_1}{g_0} \right) ^{1/3}</math>


Also gilt :
Also gilt:


:<math>\frac{T_\nu}{T_\gamma} = \frac{T_0}{T_1} = \left(\frac{2}{2+2\cdot\frac{7}{8}+2\cdot\frac{7}{8}}\right)^{1/3} = \left(\frac{4}{11}\right)^{1/3}</math>
:<math>\frac{T_\nu}{T_\gamma} = \frac{T_0}{T_1} = \left(\frac{2}{2+2\cdot\frac{7}{8}+2\cdot\frac{7}{8}}\right)^{1/3} = \left(\frac{4}{11}\right)^{1/3}</math>


Mit dem heutigen Wert <math>T_\gamma=2{,}725 \, \mathrm{K}</math> für die Temperatur des kosmischen Mikrowellenhintergrunds<ref>{{cite_journal|first=Dale|last=Fixsen|coauthors=Mather, John|title=The Spectral Results of the Far-Infrared Absolute Spectrophotometer Instrument on COBE|year=2002|journal=[[Astrophysical Journal]]|volume=581|issue=2|pages=817–822|bibcode=2002ApJ...581..817F|doi=10.1086/344402}}</ref> folgt
Mit dem heutigen Wert <math>T_\gamma=2{,}725 \, \mathrm{K}</math> für die Temperatur des kosmischen Mikrowellenhintergrunds<ref>{{cite journal|first=Dale|last=Fixsen|coauthors=Mather, John|title=The Spectral Results of the Far-Infrared Absolute Spectrophotometer Instrument on COBE|year=2002|journal=[[Astrophysical Journal]]|volume=581|issue=2|pages=817–822|bibcode=2002ApJ...581..817F|doi=10.1086/344402}}</ref> folgt


:<math>T_\nu \approx 1{,}95 \, \mathrm{K}</math>.
:<math>T_\nu \approx 1{,}95 \, \mathrm{K}</math>.


Für Neutrinos mit einer von null verschiedenen [[Ruhemasse]] ist die Herangehensweise über eine Temperatur nicht mehr geeignet, sobald sie nicht-relativistisch werden. Dies geschieht, wenn ihre [[thermische Energie]] <math>3/2 \cdot k \cdot T_\nu</math> unter die Energie <math>m_\nu \cdot c^2</math> ihrer Ruhemasse fällt. In diesem Fall sollte besser die [[Energiedichte]] betrachtet werden, die nach wie vor wohldefiniert ist.
Für Neutrinos mit einer von null verschiedenen [[Masse (Physik)|Masse]] ist die Herangehensweise über eine Temperatur nicht mehr geeignet, sobald sie nicht-relativistisch werden. Dies geschieht, wenn ihre [[thermische Energie]] <math>3/2 \cdot k \cdot T_\nu</math> unter ihre Ruheenergie <math>m_\nu \cdot c^2</math> fällt. In diesem Fall sollte besser die [[Energiedichte]] betrachtet werden, die nach wie vor wohldefiniert ist.


== Indirekte Hinweise ==
== Indirekte Hinweise ==
Zeile 50: Zeile 52:
* der effektiven Anzahl&nbsp;<math>N_\nu</math> an Neutrino[[Generation (Teilchenphysik)|generationen]].
* der effektiven Anzahl&nbsp;<math>N_\nu</math> an Neutrino[[Generation (Teilchenphysik)|generationen]].


Der erste Term in eckigen Klammern beschreibt den kosmischen Mikrowellenhintergrund, der zweite den kosmischen Neutrinohintergrund. Das [[Standardmodell der Elementarteilchenphysik]] sagt mit seinen drei Neutrinogattungen den effektiven Wert <math>N_\nu\approx 3{,}046</math> voraus.<ref>{{cite_journal | first = Gianpiero | last = Mangano | coauthors = et al. | title = Relic neutrino decoupling including flavor oscillations | year = 2005 | journal = Nucl.Phys.B | volume = 729 | issue = 1–2 | pages = 221–234 | arxiv = hep-ph/0506164 | doi = 10.1016/j.nuclphysb.2005.09.041|bibcode = 2005NuPhB.729..221M }}</ref>
Der erste Term in eckigen Klammern beschreibt den kosmischen Mikrowellenhintergrund, der zweite den kosmischen Neutrinohintergrund. Das [[Standardmodell der Elementarteilchenphysik]] sagt mit seinen drei Neutrinogattungen den effektiven Wert <math>N_\nu\approx 3{,}046</math> voraus.<ref>{{cite journal | first = Gianpiero | last = Mangano | coauthors = et al. | title = Relic neutrino decoupling including flavor oscillations | year = 2005 | journal = Nucl.Phys.B | volume = 729 | issue = 1–2 | pages = 221–234 | arxiv = hep-ph/0506164 | doi = 10.1016/j.nuclphysb.2005.09.041|bibcode = 2005NuPhB.729..221M }}</ref>


=== Primordiale Nukleosynthese ===
=== Primordiale Nukleosynthese ===
Da sich die effektive Anzahl der Neutrinogattungen auf die [[Expansion des Universums|Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls]] während der [[Primordiale Nukleosynthese|primordialen Nukleosynthese]] auswirkt, hängen die theoretisch erwarteten Werte für die primordialen Häufigkeiten leichter [[chemisches Element|Elemente]] von ihr ab. Astrophysikalische Messungen der primordialen Häufigkeiten von [[Helium]]-4 und [[Deuterium]] führen auf einen Wert von <math>N_\nu=3{,}14^{+0{,}70}_{-0{,}65}</math> bei einem [[Konfidenzintervall|Konfidenzniveau]] von 68&nbsp;%,<ref>{{cite journal | first = Richard | last = Cyburt | coauthors = et al. | title = New BBN limits on physics beyond the standard model from He-4 | year = 2005 | journal = Astropart.Phys. | volume = 23 | issue = 3 | pages = 313–323 | arxiv = astro-ph/0408033 | doi = 10.1016/j.astropartphys.2005.01.005|bibcode = 2005APh....23..313C }}</ref> was mit der Erwartung aus dem Standardmodell im Einklang steht.
Da sich die effektive Anzahl der Neutrinogattungen auf die [[Expansion des Universums|Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls]] während der [[Primordiale Nukleosynthese|primordialen Nukleosynthese]] auswirkt, hängen die theoretisch erwarteten Werte für die primordialen Häufigkeiten leichter [[Chemisches Element|Elemente]] von ihr ab. Astrophysikalische Messungen der primordialen Häufigkeiten von [[Helium]]-4 und [[Deuterium]] führen auf einen Wert von <math>N_\nu=3{,}14^{+0{,}70}_{-0{,}65}</math> bei einem [[Konfidenzintervall|Konfidenzniveau]] von 68 %,<ref>{{cite journal | first = Richard | last = Cyburt | coauthors = et al. | title = New BBN limits on physics beyond the standard model from He-4 | year = 2005 | journal = Astropart.Phys. | volume = 23 | issue = 3 | pages = 313–323 | arxiv = astro-ph/0408033 | doi = 10.1016/j.astropartphys.2005.01.005|bibcode = 2005APh....23..313C }}</ref> was mit der Erwartung aus dem Standardmodell im Einklang steht.


=== Anisotropien in der kosmischen Hintergrundstrahlung und Strukturbildung ===
=== Anisotropien in der kosmischen Hintergrundstrahlung und Strukturbildung ===
Zeile 59: Zeile 61:
* zum einen durch seinen Beitrag zur Strahlungsdichte des Weltalls (welche beispielsweise den Zeitpunkt des Übergangs vom strahlungs- zum materiedominierten Weltall festlegt),
* zum einen durch seinen Beitrag zur Strahlungsdichte des Weltalls (welche beispielsweise den Zeitpunkt des Übergangs vom strahlungs- zum materiedominierten Weltall festlegt),
* zum anderen durch den anisotropen Druck, welcher die [[Baryonische akustische Oszillation|baryonischen akustischen Schwingungen]] dämpft.
* zum anderen durch den anisotropen Druck, welcher die [[Baryonische akustische Oszillation|baryonischen akustischen Schwingungen]] dämpft.
Überdies unterdrücken massereiche Neutrinos, die sich frei ausbreiten, die Strukturbildung auf kleinen Längenskalen. Aus der fünfjährigen Datennahme des Satelliten [[WMAP]] in Kombination mit Daten zu Typ-I-[[Supernova]]e und Informationen über die Stärke der baryonischen akustischen Oszillationen liefern einen Wert von <math>N_\nu=4{,}34^{+0{,}88}_{-0{,}86}</math> bei einem [[Konfidenzintervall|Konfidenzniveau]] von 68 %,<ref>{{cite journal | first = Eiichiro | last = Komatsu | coauthors = et al. | title =  Seven-Year Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) Observations: Cosmological Interpretation | year = 2010 | arxiv = 1001.4538|bibcode = 2011ApJS..192...18K |doi = 10.1088/0067-0049/192/2/18 | journal = The Astrophysical Journal Supplement Series | volume = 192 | issue = 2 | pages = 18 }}</ref> was eine unabhängige Bestätigung der Schranken für <math>N_\nu</math> aus der primordialen Nukleosynthese darstellt. In naher Zukunft werden voraussichtlich Untersuchungen wie die des [[Planck-Weltraumteleskop]]s die gegenwärtigen Unsicherheiten von <math>N_\nu</math> um eine Größenordnung reduzieren.<ref>{{cite journal | first = Sergej | last = Bashinsky | coauthors = Seljak, Uroš | title = Neutrino perturbations in CMB anisotropy and matter clustering | year = 2004 | journal = Phys.Rev.D | volume = 69 | issue = 8 | pages = 083002 | arxiv = astro-ph/0310198 | doi = 10.1103/PhysRevD.69.083002|bibcode = 2004PhRvD..69h3002B }}</ref>
Überdies unterdrücken massereiche Neutrinos, die sich frei ausbreiten, die Strukturbildung auf kleinen Längenskalen. Aus der fünfjährigen Datennahme des Satelliten [[Wilkinson Microwave Anisotropy Probe|WMAP]] in Kombination mit Daten zu Typ-I-[[Supernova]]e und Informationen über die Stärke der baryonischen akustischen Oszillationen liefern einen Wert von <math>N_\nu=4{,}34^{+0{,}88}_{-0{,}86}</math> bei einem [[Konfidenzintervall|Konfidenzniveau]] von 68 %,<ref>{{cite journal | first = Eiichiro | last = Komatsu | coauthors = et al. | title =  Seven-Year Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) Observations: Cosmological Interpretation | year = 2010 | arxiv = 1001.4538|bibcode = 2011ApJS..192...18K |doi = 10.1088/0067-0049/192/2/18 | journal = The Astrophysical Journal Supplement Series | volume = 192 | issue = 2 | pages = 18 }}</ref> was eine unabhängige Bestätigung der Schranken für <math>N_\nu</math> aus der primordialen Nukleosynthese darstellt. In naher Zukunft werden voraussichtlich Untersuchungen wie die des [[Planck-Weltraumteleskop]]s die gegenwärtigen Unsicherheiten von <math>N_\nu</math> um eine Größenordnung reduzieren.<ref>{{cite journal | first = Sergej | last = Bashinsky | coauthors = Seljak, Uroš | title = Neutrino perturbations in CMB anisotropy and matter clustering | year = 2004 | journal = Phys.Rev.D | volume = 69 | issue = 8 | pages = 083002 | arxiv = astro-ph/0310198 | doi = 10.1103/PhysRevD.69.083002|bibcode = 2004PhRvD..69h3002B }}</ref> Nach [[CODATA]] wird seit 2019 ein Wert von <math>N_{\nu}=2,99</math> angegeben


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references />


[[Kategorie:Astrophysik]]
[[Kategorie:Astrophysik]]

Aktuelle Version vom 24. Oktober 2021, 15:05 Uhr

Der kosmische Neutrinohintergrund, englisch cosmic neutrino background ({{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value) oder {{Modul:Vorlage:lang}} Modul:Multilingual:149: attempt to index field 'data' (a nil value)) ist der Teil der Hintergrundstrahlung des Weltalls, der aus Neutrinos besteht.

Wie der kosmische Mikrowellenhintergrund (CMB) ist der kosmische Neutrinohintergrund ein Überrest des Urknalls. Im Gegensatz zum kosmische Mikrowellenhintergrund, der etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall entstand, entstand der Neutrinohintergrund etwa 2 Sekunden nach dem Urknall. Er geht auf die Entkopplung der Neutrinos von der restlichen Materie zurück. Der kosmische Neutrinohintergrund besitzt heute schätzungsweise eine Temperatur von ungefähr 1,95 K.

Da Neutrinos mit einer geringen Energie nur sehr schwach mit Materie in Wechselwirkung treten, sind sie äußerst schwierig nachzuweisen. Es gibt jedoch überzeugende indirekte Hinweise auf sein Bestehen. Das geplante Experiment PTOLEMY hat als Ziel, den Neutrinohintergrund direkt zu messen.[1]

Herleitung der Temperatur

Die Temperatur $ T_{\nu } $ des Neutrinohintergrunds für masselose Neutrinos, die stets relativistisch sind, kann wie folgt abgeschätzt werden, wenn man die Temperatur $ T_{\gamma } $ des kosmischen Mikrowellenhintergrundes als gegeben voraussetzt:

Bevor die Neutrinos von der übrigen Materie entkoppelten, bestand das Weltall vornehmlich aus Neutrinos, Elektronen, Positronen und Photonen, welche sich alle im thermischen Gleichgewicht miteinander befanden. Als die Temperatur auf etwa 2,5 MeV fiel (siehe Natürliche Einheiten), entkoppelten die Neutrinos von der übrigen Materie. Trotz dieser Entkopplung besaßen die Neutrinos nach wie vor dieselbe Temperatur wie die Photonen, als sich das Weltall weiter ausdehnte. Als die Temperatur jedoch unter die Elektronenmasse fiel, wurden die meisten Elektronen und Positronen durch Paarvernichtung ausgelöscht. Dadurch wurden ihre Energie und ihre Entropie auf die Photonen übertragen, was einer Erhöhung der Temperatur des Photonengases entspricht. Das Verhältnis der Temperaturen $ T $ von Neutrinos $ \nu $ und Photonen $ \gamma $ in der heutigen Hintergrundstrahlung ist also dasselbe wie das Verhältnis der Temperatur der Photonen vor und nach der Elektron-Positron-Paarvernichtung:

$ {\frac {T_{\nu }}{T_{\gamma }}}={\frac {T_{0}}{T_{1}}} $

wobei der Index $ _{0} $ eine Größe vor und der Index $ _{1} $ die gleiche Größe nach der Elektron-Positron-Paarvernichtung kennzeichnen soll.

Um dieses Verhältnis zu bestimmen, nehmen wir an, dass die Entropie $ S $ des Weltalls während der Elektron-Positron-Paarvernichtung näherungsweise erhalten sei:

$ S_{0}\approx S_{1} $

Mit

$ S\propto g\cdot T^{3} $

wobei

  • $ g $ die effektive Zahl der Freiheitsgrade bezeichne, festgelegt durch die Teilchensorte:[2]
    • 2 · (7 / 8) für masselose Bosonen, d. h. für Photonen
    • 2 · (7 / 8) für Fermionen, d. h. für Leptonen (Elektronen, Positronen) und Neutrinos.
  • $ T $ die absolute Temperatur des Photonengases,

erhalten wir

$ \Rightarrow {\frac {T_{0}}{T_{1}}}=\left({\frac {g_{1}}{g_{0}}}\right)^{1/3} $

Also gilt:

$ {\frac {T_{\nu }}{T_{\gamma }}}={\frac {T_{0}}{T_{1}}}=\left({\frac {2}{2+2\cdot {\frac {7}{8}}+2\cdot {\frac {7}{8}}}}\right)^{1/3}=\left({\frac {4}{11}}\right)^{1/3} $

Mit dem heutigen Wert $ T_{\gamma }=2{,}725\,\mathrm {K} $ für die Temperatur des kosmischen Mikrowellenhintergrunds[3] folgt

$ T_{\nu }\approx 1{,}95\,\mathrm {K} $.

Für Neutrinos mit einer von null verschiedenen Masse ist die Herangehensweise über eine Temperatur nicht mehr geeignet, sobald sie nicht-relativistisch werden. Dies geschieht, wenn ihre thermische Energie $ 3/2\cdot k\cdot T_{\nu } $ unter ihre Ruheenergie $ m_{\nu }\cdot c^{2} $ fällt. In diesem Fall sollte besser die Energiedichte betrachtet werden, die nach wie vor wohldefiniert ist.

Indirekte Hinweise

Relativistische Neutrinos tragen zur Strahlungsdichte $ \rho _{\rm {R}} $ des Weltalls bei:

$ \rho _{\rm {R}}={\frac {\pi ^{2}}{15}}\,T_{\gamma }^{4}(1+z)^{4}\left[1+{\frac {7}{8}}N_{\rm {\nu }}\left({\frac {4}{11}}\right)^{4/3}\right] $

mit

Der erste Term in eckigen Klammern beschreibt den kosmischen Mikrowellenhintergrund, der zweite den kosmischen Neutrinohintergrund. Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik sagt mit seinen drei Neutrinogattungen den effektiven Wert $ N_{\nu }\approx 3{,}046 $ voraus.[4]

Primordiale Nukleosynthese

Da sich die effektive Anzahl der Neutrinogattungen auf die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls während der primordialen Nukleosynthese auswirkt, hängen die theoretisch erwarteten Werte für die primordialen Häufigkeiten leichter Elemente von ihr ab. Astrophysikalische Messungen der primordialen Häufigkeiten von Helium-4 und Deuterium führen auf einen Wert von $ N_{\nu }=3{,}14_{-0{,}65}^{+0{,}70} $ bei einem Konfidenzniveau von 68 %,[5] was mit der Erwartung aus dem Standardmodell im Einklang steht.

Anisotropien in der kosmischen Hintergrundstrahlung und Strukturbildung

Die Gegenwart des kosmischen Neutrinohintergrundes beeinflusst sowohl die Entwicklung von Anisotropien in der kosmischen Hintergrundstrahlung als auch das Wachstum von Dichteschwankungen auf zwei Arten:

  • zum einen durch seinen Beitrag zur Strahlungsdichte des Weltalls (welche beispielsweise den Zeitpunkt des Übergangs vom strahlungs- zum materiedominierten Weltall festlegt),
  • zum anderen durch den anisotropen Druck, welcher die baryonischen akustischen Schwingungen dämpft.

Überdies unterdrücken massereiche Neutrinos, die sich frei ausbreiten, die Strukturbildung auf kleinen Längenskalen. Aus der fünfjährigen Datennahme des Satelliten WMAP in Kombination mit Daten zu Typ-I-Supernovae und Informationen über die Stärke der baryonischen akustischen Oszillationen liefern einen Wert von $ N_{\nu }=4{,}34_{-0{,}86}^{+0{,}88} $ bei einem Konfidenzniveau von 68 %,[6] was eine unabhängige Bestätigung der Schranken für $ N_{\nu } $ aus der primordialen Nukleosynthese darstellt. In naher Zukunft werden voraussichtlich Untersuchungen wie die des Planck-Weltraumteleskops die gegenwärtigen Unsicherheiten von $ N_{\nu } $ um eine Größenordnung reduzieren.[7] Nach CODATA wird seit 2019 ein Wert von $ N_{\nu }=2,99 $ angegeben

Einzelnachweise

  1. S. Betts u. a.: Development of a Relic Neutrino Detection Experiment at PTOLEMY: Princeton Tritium Observatory for Light, Early-Universe, Massive-Neutrino Yield. 26. August 2013, arxiv:1307.4738.
  2. Steven Weinberg: Cosmology. Oxford University Press, 2008, ISBN 978-0-19-852682-7, S. 151.
  3. Dale Fixsen, Mather, John: The Spectral Results of the Far-Infrared Absolute Spectrophotometer Instrument on COBE. In: Astrophysical Journal. 581. Jahrgang, Nr. 2, 2002, S. 817–822, doi:10.1086/344402, bibcode:2002ApJ...581..817F.
  4. Gianpiero Mangano, et al.: Relic neutrino decoupling including flavor oscillations. In: Nucl.Phys.B. 729. Jahrgang, Nr. 1–2, 2005, S. 221–234, doi:10.1016/j.nuclphysb.2005.09.041, arxiv:hep-ph/0506164, bibcode:2005NuPhB.729..221M.
  5. Richard Cyburt, et al.: New BBN limits on physics beyond the standard model from He-4. In: Astropart.Phys. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2005, S. 313–323, doi:10.1016/j.astropartphys.2005.01.005, arxiv:astro-ph/0408033, bibcode:2005APh....23..313C.
  6. Eiichiro Komatsu, et al.: Seven-Year Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) Observations: Cosmological Interpretation. In: The Astrophysical Journal Supplement Series. 192. Jahrgang, Nr. 2, 2010, S. 18, doi:10.1088/0067-0049/192/2/18, arxiv:1001.4538, bibcode:2011ApJS..192...18K.
  7. Sergej Bashinsky, Seljak, Uroš: Neutrino perturbations in CMB anisotropy and matter clustering. In: Phys.Rev.D. 69. Jahrgang, Nr. 8, 2004, S. 083002, doi:10.1103/PhysRevD.69.083002, arxiv:astro-ph/0310198, bibcode:2004PhRvD..69h3002B.

Die News der letzten Tage