Helizität: Unterschied zwischen den Versionen

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{{Dieser Artikel|behandelt Helizität in der Physik. Für Helizität in der Chemie siehe [[Axiale Chiralität]].}}
Die '''Helizität''' <math>h\!\,</math> ({{grcS|ἕλιξ|[[helix]]|de=das Gewundene}}) ist in der [[Teilchenphysik]] die Komponente des [[Spin]]s eines [[Teilchen]]s, die in Richtung seines [[Impuls]]es, d.&nbsp;h. in Bewegungsrichtung, weist.
Die '''Helizität''' <math>h\!\,</math> ({{grcS|ἕλιξ|[[helix]]|de=das Gewundene}}) ist in der [[Teilchenphysik]] die Komponente des [[Spin]]s eines [[Teilchen]]s, die in Richtung seines [[Impuls]]es, d.&nbsp;h. in Bewegungsrichtung, weist.
Zur Bedeutung in der Chemie siehe: [[#Helizität in der Chemie|Helizität in der Chemie]].


== Definitionen ==
== Definitionen ==
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:<math>h = \vec S \cdot \hat p</math>,
:<math>h = \vec S \cdot \hat p</math>,


wobei <math>\vec S</math> den [[Vektor]] des Spins und <math>\hat p = \vec p / |\vec p|</math> die Impulsrichtung bezeichnet.
wobei <math>\vec S</math> den [[Vektor]] des Spins und <math>\hat p = \vec p / |\vec p|</math> die Impulsrichtung bezeichnet.<ref>{{Literatur|Titel=The Helicity Formalism|Sammelwerk=Angular Momentum Techniques in Quantum Mechanics|Autor=V. Devanathan|Verlag=Springer|Jahr=1999|ISBN=978-0-7923-5866-4|Kapitel=13|DOI=10.1007/0-306-47123-X_13|Online=https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F0-306-47123-X_13.pdf|Zugriff=2018-01-15}}</ref>


* Für ein massebehaftetes Teilchen mit Gesamtspin ''S'' kann die Helizität 2''S'' + 1 verschiedene [[Eigenwertproblem|Eigenwerte]] annehmen (vgl. [[Multiplizität]]):
* Für ein massebehaftetes Teilchen mit Gesamtspin ''S'' kann die Helizität 2''S'' + 1 verschiedene [[Eigenwertproblem|Eigenwerte]] annehmen (vgl. [[Multiplizität]]):
** für ganzzahlige ''S'': −''S'', −''S''+1, …, 0, …, ''S''−1, ''S''
** für ganzzahlige ''S'': −''S'', −''S''+1, …, 0, …, ''S''−1, ''S''
** für halbzahlige ''S'': −''S'', −''S''+1, …, −1/2, +1/2, …, ''S''−1, ''S''
** für halbzahlige ''S'': −''S'', −''S''+1, …, −1/2, +1/2, …, ''S''−1, ''S''
* Für ein masseloses Teilchen, das sich stets mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, sind nur die beiden Werte −''S'' und +''S'' möglich; die Helizität fällt in diesem Fall bis auf einen Faktor ''S'' mit der [[Chiralität (Physik)|Chiralität]] zusammen; für ein nahezu masseloses Teilchen (Bewegung mit nahezu Lichtgeschwindigkeit) gilt dies näherungsweise.
* Für ein masseloses Teilchen, das sich stets mit [[Lichtgeschwindigkeit]] bewegt, sind nur die beiden Werte −''S'' und +''S'' möglich; die Helizität fällt in diesem Fall bis auf einen Faktor ''S'' mit der [[Chiralität (Physik)|Chiralität]] zusammen; für ein nahezu masseloses Teilchen (Bewegung mit nahezu Lichtgeschwindigkeit) gilt dies näherungsweise.


Manchmal wird die Helizität auch als die Komponente des [[Gesamtdrehimpuls]]es <math>\vec J</math> in Impulsrichtung definiert:
Manchmal wird die Helizität auch als die Komponente des [[Gesamtdrehimpuls]]es <math>\vec J</math> in Impulsrichtung definiert:
:<math>h\,=\,\vec J \cdot \hat p</math>.
 
:<math>\Leftrightarrow h\,=\,\vec J \cdot \hat p</math>.


Die beiden Definitionen sind äquivalent, weil der [[Bahndrehimpuls]] <math>\vec L</math>, der Spin und Gesamtdrehimpuls verknüpft, immer senkrecht auf dem Impulsvektor steht und daher nicht zum [[Skalarprodukt]] beitragen kann (<math>\vec L \cdot \hat p = 0</math>).
Die beiden Definitionen sind äquivalent, weil der [[Bahndrehimpuls]] <math>\vec L</math>, der Spin und Gesamtdrehimpuls verknüpft, immer senkrecht auf dem Impulsvektor steht und daher nicht zum [[Skalarprodukt]] beitragen kann (<math>\vec L \cdot \hat p = 0</math>).
Für ein masseloses Teilchen ist die Helizität die Proportionalitätskonstante zwischen dem [[Viererimpuls]] des Teilchens und dessen [[Pauli-Lubanski-Pseudovektor]]:
:<math>W^\mu = h p^\mu</math>.


== Anschauliche Beschreibung ==
== Anschauliche Beschreibung ==
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  ! class = "hintergrundfarbe5"| Helizität
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  ! class = "hintergrundfarbe5"| Schraubenlinie<br />(in Abb.)
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== Helizität und Quantenfeldtheorie ==
== Helizität und Quantenfeldtheorie ==
Da die Helizität nicht [[Lorentzinvarianz|Lorentz-invariant]] ist, ist sie in der [[Quantenfeldtheorie]] nur mit Einschränkungen einsetzbar. Allerdings sind für masselose Teilchen Helizität und [[Chiralität (Physik)|Chiralität]] äquivalent zueinander und bei masselosen Antiteilchen entgegengesetzt. Daher verwendet man in der Quantenfeldtheorie die [[Lorentzinvarianz|Lorentz-invariante]] Größe der [[Chiralität (Physik)|Chiralität]]: Den [[Schwache Wechselwirkung #Geladene Ströme|geladenen Strömen der schwachen Wechselwirkung]] (Austausch von [[W-Boson]]en) unterliegen nur Teilchen mit linkshändiger Chiralität. Für die Helizität heißt das, dass nur (masselose) Teilchen mit negativer Helizität und Antiteilchen mit positiver Helizität geladen schwach wechselwirken können.
Da die Helizität nicht [[Lorentzinvarianz|Lorentz-invariant]] ist, ist sie in der [[Quantenfeldtheorie]] nur mit Einschränkungen einsetzbar. Allerdings sind Helizität und [[Chiralität (Physik)|Chiralität]]:
* für masselose Teilchen äquivalent zueinander
* für masselose Antiteilchen entgegengesetzt.
Daher verwendet man in der Quantenfeldtheorie die [[Lorentzinvarianz|Lorentz-invariante]] Größe der [[Chiralität (Physik)|Chiralität]]: Den [[Schwache Wechselwirkung #Geladene Ströme|geladenen Strömen der schwachen Wechselwirkung]] (Austausch von [[W-Boson]]en) unterliegen nur Teilchen mit linkshändiger Chiralität. Für die Helizität heißt das, dass nur (masselose) Teilchen mit negativer Helizität und Antiteilchen mit positiver Helizität geladen schwach wechselwirken können.
 
So nahm man lange an, dass es nur linkshändige [[Neutrino]]s und rechtshändige Antineutrinos gibt, da für sie experimentell keine [[Masse (Physik)|Masse]] nachgewiesen werden konnte. Aus der Entdeckung der [[Neutrinooszillation]]en lässt sich jedoch ableiten, dass Neutrinos eine ''nicht verschwindende'' Masse besitzen. Daraus folgt nach aktuellem physikalischem Verständnis, dass es auch rechtshändige Neutrinos und linkshändige Antineutrinos geben muss. Eine weitere Folge einer von Null verschiedenen Masse ist, dass Neutrinos sich nicht ganz mit [[Lichtgeschwindigkeit]] bewegen.
 
== Konsequenzen ==
 
Bei verschiedenen Prozessen der Kern- und  Teilchenphysik wirkt sich die Helizität auf die Reaktionswahrscheinlichkeit aus:
 
=== Mott-Streuung ===
 
Wenn ein spinbehaftetes Teilchen (z.&nbsp;B. ein Elektron) an einem Atomkern [[Streuung (Physik)|gestreut]] wird, bleibt die Helizität erhalten. Im Fall einer Ablenkung um 180° würde dies aber ein „Umklappen“ des Spins erfordern. Der hierzu erforderliche Drehimpulsübertrag kann nicht aus dem Bahndrehimpuls stammen, weil dieser senkrecht zur Spinkomponente in Flugrichtung ist. Wechselwirkung mit dem Spin des Targets könnte dieses „Umklappen“ ermöglichen. Wenn das Target aber keinen Spin trägt ([[Mott-Streuung]]), ist die Streuung gegenüber der Streuung eines spinlosen Projektils ([[Rutherford-Streuung]]) umso stärker unterdrückt, je größer der Ablenkwinkel ist. Im relativistischen Grenzfall ist die Ablenkung um 180° komplett unterdrückt.


Da für [[Neutrino]]s, die nur der schwachen Wechselwirkung unterliegen, experimentell lange keine [[Ruhemasse]] nachgewiesen werden konnte, weil sie nur schwach mit [[Materie (Physik)|Materie]] wechselwirken, nahm man an, dass es nur linkshändige (negative Helizität) Neutrinos und rechtshändige (positive Helizität, aber negative Chiralität) Antineutrinos gibt. Aus der Entdeckung der [[Neutrinooszillation]]en folgte aber, dass Neutrinos eine nicht verschwindende Ruhemasse besitzen müssen. Das bedeutet, dass Neutrinos sich ''nicht ganz mit [[Lichtgeschwindigkeit]]'' bewegen. Daraus folgt nach aktuellem physikalischem Wissen, dass es auch rechtshändige Neutrinos und linkshändige Antineutrinos geben muss.
=== Zerfall des Pions ===
Das geladene [[Pion]] zerfällt gemäß der Reaktionen
:<math>\pi^- \rightarrow\mathrm e^- + \bar\nu_\mathrm e\ \ </math> und
:<math>\pi^- \rightarrow\mu^- + \bar\nu_\mu\,</math>.


== Helizität in der Chemie ==
Aufgrund der Massenverhältnisse (''m<sub>π</sub>'' = 273&nbsp;''m<sub>e</sub>'') ist das Elektron hochrelativistisch (''v/c''&nbsp;≈&nbsp;1), wohingegen das Myon (''m<sub>π</sub>'' = 1,3&nbsp;''m<sub>μ</sub>'') eine geringere Geschwindigkeit hat (''v/c''&nbsp;≈&nbsp;0,27). Die Helizität der Antineutrinos (die hier als masselos betrachtet werden können) ist positiv.  Da das Pion keinen Spin trägt und die Zerfallsteilchen sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen, müssen aufgrund der Drehimpulserhaltung Elektron bzw. Myon ebenfalls positive Helizität haben. Die [[schwache Wechselwirkung]], die den Zerfall bewirkt, koppelt aber nur an Elektronen und Myonen linkshändiger Chiralität. Da das hochrelativistische Elektron nur eine sehr kleine linkshändige Komponente hat, ist der elektronische Zerfall gegenüber dem myonischen Zerfall stark unterdrückt (Faktor 1&nbsp;:&nbsp;8000).
<gallery widths="160" heights="120" perrow="2" class="float-right">
P-heptahelicene.svg|(''P'')-Helizität in der Chemie am Beispiel von (''P'')-Heptahelicen
M-heptahelicene.svg|(''M'')-Helizität in der Chemie am Beispiel von (''M'')-Heptahelicen
VaticanMuseumStaircase.jpg|(''P'')-Helizität in der Architektur einer Wendeltreppe im Vatikan-Museum
VaticanMuseumStaircase (M).jpg|(''M'')-Helizität eines Spiegelbilds des Originals der Wendeltreppe im Vatikan-Museum
</gallery>
Auf molekularer Ebene gibt es in der Chemie bestimmte Substanzen, bei denen es einander [[Isomerie|isomere]] Verknüpfungen gibt, z. B. bei den [[Helicene]]n.<ref name="Eliel">Ernest L. Eliel, Samuel H. Wilen:''Stereochemistry of Organic Compounds'', John Wiles & Sons, 1994, S.&nbsp;1163-1166, ISBN 0-471-05446-1.</ref> So verhalten sich beispielsweise (''P'')-Heptahelicen und (''M'')-Heptahelicen spiegelbildlich. Beide [[Molekül]]e besitzen die gleiche Anzahl an Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen und sind ausschließlich aus [[Anellierung|anellierten]] [[Benzol]]-Ringen aufgebaut, dennoch sind (''P'')-Heptahelicen und (''M'')-Heptahelicen verschieden und lassen sich nicht zur Deckung bringen, sie sind [[chiral]]. Dies findet seine Entsprechung in der Architektur (siehe Abbildungen).


== Literatur ==
== Literatur ==

Aktuelle Version vom 26. Juni 2021, 21:55 Uhr

Die Helizität $ h\!\, $ ({{Modul:Vorlage:lang}} Modul:ISO15924:97: attempt to index field 'wikibase' (a nil value)) ist in der Teilchenphysik die Komponente des Spins eines Teilchens, die in Richtung seines Impulses, d. h. in Bewegungsrichtung, weist.

Definitionen

Die Helizität ist definiert als

$ h={\vec {S}}\cdot {\hat {p}} $,

wobei $ {\vec {S}} $ den Vektor des Spins und $ {\hat {p}}={\vec {p}}/|{\vec {p}}| $ die Impulsrichtung bezeichnet.[1]

  • Für ein massebehaftetes Teilchen mit Gesamtspin S kann die Helizität 2S + 1 verschiedene Eigenwerte annehmen (vgl. Multiplizität):
    • für ganzzahlige S: −S, −S+1, …, 0, …, S−1, S
    • für halbzahlige S: −S, −S+1, …, −1/2, +1/2, …, S−1, S
  • Für ein masseloses Teilchen, das sich stets mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, sind nur die beiden Werte −S und +S möglich; die Helizität fällt in diesem Fall bis auf einen Faktor S mit der Chiralität zusammen; für ein nahezu masseloses Teilchen (Bewegung mit nahezu Lichtgeschwindigkeit) gilt dies näherungsweise.

Manchmal wird die Helizität auch als die Komponente des Gesamtdrehimpulses $ {\vec {J}} $ in Impulsrichtung definiert:

$ \Leftrightarrow h\,=\,{\vec {J}}\cdot {\hat {p}} $.

Die beiden Definitionen sind äquivalent, weil der Bahndrehimpuls $ {\vec {L}} $, der Spin und Gesamtdrehimpuls verknüpft, immer senkrecht auf dem Impulsvektor steht und daher nicht zum Skalarprodukt beitragen kann ($ {\vec {L}}\cdot {\hat {p}}=0 $).

Für ein masseloses Teilchen ist die Helizität die Proportionalitätskonstante zwischen dem Viererimpuls des Teilchens und dessen Pauli-Lubanski-Pseudovektor:

$ W^{\mu }=hp^{\mu } $.

Anschauliche Beschreibung

L: linkshändige Schraubenlinie (Helix),
R: rechtshändige Schraubenlinie

Anschaulich definiert die Helizität den Drehsinn oder die Händigkeit eines Teilchens. Betrachtet man den Begriff im Sinne der klassischen Mechanik, so bedeutet positive Helizität, dass die Drehachse des Teilchens nach „vorne“, d. h. in Bewegungsrichtung, geneigt ist. Die Richtung der Drehachse ist dabei so festgelegt, dass die Drehung des Teilchens in Richtung der Finger der rechten Hand erfolgt, wenn der Daumen derselben Hand in Richtung der Drehachse zeigt. Betrachtete man die Bahn eines Punktes auf der Oberfläche eines solchen klassischen Teilchens, so durchliefe dieser eine „rechtshändige Schraubenlinie“, wie man sie vom Gewinde einer üblichen Schraube kennt. Teilchen mit positiver Helizität bezeichnet man daher als rechtshändig, solche mit negativer Helizität entsprechend als linkshändig.

Spinrichtung
überwiegend geneigt...
Helizität Schraubenlinie
(in Abb.)
gilt unter schwacher Wechselwirkung
für...[Anm. 1]
in Impuls-/
Bewegungsrichtung
positiv rechtshändig
(R)
masselose Antiteilchen
entgegen Impuls-/
Bewegungsrichtung
negativ linkshändig
(L)
masselose Teilchen
  1. s. u. Helizität und Quantentheorie

Hierbei ist allerdings zu beachten, dass es sich um Analogiebetrachtungen zur Veranschaulichung handelt, die die wahre quantenmechanische Natur der Teilchen nicht vollständig wiedergeben.

Helizität und Relativitätstheorie

Im Rahmen der Relativitätstheorie ist die Helizität nur für masselose Teilchen (die sich stets mit Lichtgeschwindigkeit bewegen) eindeutig bestimmt. Für alle massebehafteten Teilchen dagegen lässt sich immer ein Bezugssystem wählen, das das Teilchen „überholt“, wodurch sich die Richtung seines Impulses und damit seine Helizität umkehrt.

Helizität und Quantenfeldtheorie

Da die Helizität nicht Lorentz-invariant ist, ist sie in der Quantenfeldtheorie nur mit Einschränkungen einsetzbar. Allerdings sind Helizität und Chiralität:

  • für masselose Teilchen äquivalent zueinander
  • für masselose Antiteilchen entgegengesetzt.

Daher verwendet man in der Quantenfeldtheorie die Lorentz-invariante Größe der Chiralität: Den geladenen Strömen der schwachen Wechselwirkung (Austausch von W-Bosonen) unterliegen nur Teilchen mit linkshändiger Chiralität. Für die Helizität heißt das, dass nur (masselose) Teilchen mit negativer Helizität und Antiteilchen mit positiver Helizität geladen schwach wechselwirken können.

So nahm man lange an, dass es nur linkshändige Neutrinos und rechtshändige Antineutrinos gibt, da für sie experimentell keine Masse nachgewiesen werden konnte. Aus der Entdeckung der Neutrinooszillationen lässt sich jedoch ableiten, dass Neutrinos eine nicht verschwindende Masse besitzen. Daraus folgt nach aktuellem physikalischem Verständnis, dass es auch rechtshändige Neutrinos und linkshändige Antineutrinos geben muss. Eine weitere Folge einer von Null verschiedenen Masse ist, dass Neutrinos sich nicht ganz mit Lichtgeschwindigkeit bewegen.

Konsequenzen

Bei verschiedenen Prozessen der Kern- und Teilchenphysik wirkt sich die Helizität auf die Reaktionswahrscheinlichkeit aus:

Mott-Streuung

Wenn ein spinbehaftetes Teilchen (z. B. ein Elektron) an einem Atomkern gestreut wird, bleibt die Helizität erhalten. Im Fall einer Ablenkung um 180° würde dies aber ein „Umklappen“ des Spins erfordern. Der hierzu erforderliche Drehimpulsübertrag kann nicht aus dem Bahndrehimpuls stammen, weil dieser senkrecht zur Spinkomponente in Flugrichtung ist. Wechselwirkung mit dem Spin des Targets könnte dieses „Umklappen“ ermöglichen. Wenn das Target aber keinen Spin trägt (Mott-Streuung), ist die Streuung gegenüber der Streuung eines spinlosen Projektils (Rutherford-Streuung) umso stärker unterdrückt, je größer der Ablenkwinkel ist. Im relativistischen Grenzfall ist die Ablenkung um 180° komplett unterdrückt.

Zerfall des Pions

Das geladene Pion zerfällt gemäß der Reaktionen

$ \pi ^{-}\rightarrow \mathrm {e} ^{-}+{\bar {\nu }}_{\mathrm {e} }\ \ $ und
$ \pi ^{-}\rightarrow \mu ^{-}+{\bar {\nu }}_{\mu }\, $.

Aufgrund der Massenverhältnisse (mπ = 273 me) ist das Elektron hochrelativistisch (v/c ≈ 1), wohingegen das Myon (mπ = 1,3 mμ) eine geringere Geschwindigkeit hat (v/c ≈ 0,27). Die Helizität der Antineutrinos (die hier als masselos betrachtet werden können) ist positiv. Da das Pion keinen Spin trägt und die Zerfallsteilchen sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen, müssen aufgrund der Drehimpulserhaltung Elektron bzw. Myon ebenfalls positive Helizität haben. Die schwache Wechselwirkung, die den Zerfall bewirkt, koppelt aber nur an Elektronen und Myonen linkshändiger Chiralität. Da das hochrelativistische Elektron nur eine sehr kleine linkshändige Komponente hat, ist der elektronische Zerfall gegenüber dem myonischen Zerfall stark unterdrückt (Faktor 1 : 8000).

Literatur

  • Bogdan Povh et al.: Teilchen und Kerne. 6. Auflage. Springer-Verlag, 2004, ISBN 3-540-21065-2.
  • Walter Greiner und Berndt Müller: Theoretische Physik, Bd. 8, Eichtheorie der schwachen Wechselwirkung. Harri Deutsch, 1995, ISBN 3-8171-1427-3.
  • James Daniel Bjorken und Sidney Drell: Relativistische Quantenmechanik, Bibliographisches Institut, Mannheim 1990, ISBN 3-411-00098-8. (BI Hochschultaschenbücher; 98/98a).

Einzelnachweise

  1. V. Devanathan: The Helicity Formalism. In: Angular Momentum Techniques in Quantum Mechanics. Springer, 1999, ISBN 978-0-7923-5866-4, Kap. 13, doi:10.1007/0-306-47123-X_13 (springer.com [PDF; abgerufen am 15. Januar 2018]).

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