Energie-Zeit-Unschärferelation: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Energie-Zeit-Unschärferelation''' beschreibt eine Grenzbedingung für die erreichbare [[Messgenauigkeit]] von [[Energie]] und [[Zeit]] in der [[Quantenmechanik]].  
Die '''Energie-Zeit-Unschärferelation''' beschreibt eine Grenzbedingung für die erreichbare [[Messgenauigkeit]] von [[Energie]] und [[Zeit]] in der [[Quantenmechanik]].


Sie wurde zuerst von [[Werner Heisenberg]] zusammen mit der [[heisenbergsche Unschärferelation|Unschärferelation]] für [[Ort (Physik)|Ort]] und [[Impuls]] publiziert, beschreibt jedoch einen grundsätzlich anderen Zusammenhang. Versuche, die Energie-Zeit-Unschärfe durch Einführung eines Zeitoperators <math>\hat t</math> direkt auf die Ort-Impuls-Unschärferelation zurückzuführen, ergeben Widersprüche.<ref>[https://www.tu-braunschweig.de/Medien-DB/ifdn-physik/quant7.pdf Die Energie-Zeit-Unbestimmtheitsrelation] (PDF)</ref> Wie die Ort-Impuls-Unschärferelation ist die Energie-Zeit-Unschärferelation prinzipieller Natur und nicht eine Folge von Unzulänglichkeiten im [[Quantenmechanische Messung|Messprozess]].
== Einordnung ==
In vorläufiger Form wurde sie 1927 von [[Werner Heisenberg]] gefunden und mit der gleichzeitig gefundenen [[Heisenbergsche Unschärferelation|Unschärferelation]] für [[Ort (Physik)|Ort]] und [[Impuls]] zunächst auf eine Stufe gestellt.<ref name="Heisenberg_1927">{{Literatur |Autor=W. Heisenberg |Titel=Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik |Sammelwerk=Zeitschrift für Physik |Band=43 |Nummer=3 |Datum=1927 |Seiten=172–198 |Online=[https://people.isy.liu.se/jalar/kurser/QF/references/Heisenberg1927.pdf Originalarbeit] |Format=PDF |KBytes=2700 |DOI=10.1007/BF01397280}}</ref> Wie die Ort-Impuls-Unschärferelation ist die Energie-Zeit-Unschärferelation prinzipieller Natur und nicht eine Folge unzulänglicher [[Quantenmechanische Messung|Messungen]]. Die beiden Relationen zeigen aber grundsätzliche Unterschiede, die auch jeweils eine eigene Interpretation erforderlich machen: Während Ort und Impuls eines Teilchens zu jedem Zeitpunkt beobachtbare Größen sind, wie sie in der Quantenmechanik durch Orts- und Impuls-[[Quantenmechanik#Observable und Zustände|Operatoren]] dargestellt werden, ist die Zeit keine im selben Sinne beobachtbare Größe und kann nicht widerspruchsfrei durch einen Zeitoperator dargestellt werden.<ref>[https://www.weltderphysik.de/fileadmin/user_upload/Redaktion/Gebiete/theorien/Grundzuege_der_QM/201011_unschaerfe.pdf Siegfried Großmann: Heisenbergsche Unschärferelation]</ref>


Formal wurde die Energie-Zeit-Unschärferelation von Heisenberg wie folgt formuliert:<ref name="Heisenberg_1927">{{Literatur|Autor=W. Heisenberg|Titel=Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik|Sammelwerk=Zeitschrift für Physik |Band=43|Nummer=3|Jahr=1927|Seiten=172–198|DOI=10.1007/BF01397280| Online=[https://people.isy.liu.se/jalar/kurser/QF/references/Heisenberg1927.pdf Originalarbeit als PDF; 2,7 MB]}}</ref><ref name="Heisenberg_1930">Werner Heisenberg: ''Physikalische Prinzipien der Quantentheorie.'' S. Hirzel Verlag, Leipzig 1930.</ref>
Auch hier handelt es sich, wie bei allen Unschärferelationen, um eine direkte Anwendung des [[Satz von Plancherel|Satzes von Plancherel]]&nbsp;(1910).


:<math> \Delta E \cdot \Delta t \ge \frac{\hbar}{2} ,</math>
== Mathematische Beschreibung ==
Heisenberg leitete für das Produkt aus der Ungenauigkeit <math> \Delta E</math> einer Energiemessung und der Dauer <math> \Delta t</math>, die diese Messung mindestens beansprucht, die Abschätzung


wobei <math>\hbar</math> das reduzierte [[plancksches Wirkungsquantum|plancksche Wirkungsquantum]] ist.
:<math>\Delta E \; \Delta t \sim \hbar</math>


Anders als die Unschärferelation für Ort und Impuls lässt sich die Energie-Zeit-Unschärferelation ''nicht'' [[Stringenz|stringent]] aus dem Standardformalismus der Quantenmechanik herleiten.
her, wobei <math>\hbar</math> das reduzierte [[Plancksches Wirkungsquantum|plancksche Wirkungsquantum]] ist. Diese Form wird auch heute noch häufig benutzt. Dies kann zu einer echten Ungleichung


Wegen des quantenmechanischen Zusammenhangs <math>E = \hbar \cdot \omega</math> zwischen Energie und [[Kreisfrequenz]] <math>\omega</math> lässt sich die Energie-Zeit-Unschärferelation auch als '''Frequenz-Zeit-Unschärferelation''' schreiben:
:<math>\Delta E \; \Delta t \ge \frac{\hbar}{2} ,</math>


:<math>\Leftrightarrow \Delta \omega \cdot \Delta t \ge \frac{1}{2}</math>
verschärft werden, in der <math> \Delta E</math> die [[Standardabweichung]] der im System vertretenen Energiewerte ist und <math> \Delta t</math> die kleinstmögliche Zeitspanne, in der sich der [[Erwartungswert]] einer [[Observable]]n um eine Standardabweichung verändert.<ref name="RebhanII">{{Literatur |Autor=Eckhard Rebhan |Titel=Theoretische Physik II |Auflage=1 |Verlag=Spektrum Akademischer Verlag |Ort=München |Datum=2005 |Seiten=96ff}}</ref>


== Herleitungen ==
Auch ohne Bezug auf den Begriff Messgenauigkeit gilt in der Quantenmechanik grundsätzlich, dass ein System, dessen Zustand nicht zeitlich konstant bleibt, keine scharf bestimmte Energie haben kann. Denn nur die [[Eigenzustand|Eigenzustände]] zum [[Hamiltonoperator|Energieoperator]] sind  stationäre Zustände. Je nach betrachtetem Fall können sich unterschiedliche Abschätzungen für das kleinstmögliche Produkt aus der Spannweite der beteiligten Energiewerte und einer für die Änderung des Systems charakteristischen Zeitspanne ergeben.
Die Herleitung der Energie-Zeit-Unschärferelation ist nicht identisch zur Herleitung der [[Heisenbergsche Unschärferelation|Heisenbergschen Unschärferelation]], kann jedoch auf diese zurückgeführt werden. Der wesentliche Grund dafür ist, dass die Zeit im Gegensatz zu Ort, Impuls, Drehimpuls, Energie etc. keine quantenmechanische [[Observable]] darstellt.
 
In [[Populärwissenschaftliche Literatur|populärwissenschaftlichen]] Darstellungen heißt es gelegentlich, die Energie-Zeit-Unschärferelation erlaube, für eine kurze Zeit <math> \Delta t</math> die [[Energieerhaltung]] um den Betrag <math> \Delta E</math> zu verletzen; dies erkläre die „virtuellen Zustände“ und [[Vakuumfluktuation]]en in der [[Störungstheorie (Quantenmechanik)|Störungstheorie in Quantenmechanik]] und [[Störungstheorie (Quantenfeldtheorie)|Quantenfeldtheorie]]. Dies ist ''nicht'' korrekt. Die Energieerhaltung ist ''immer'' strikt gewährleistet, und die genannten Begriffe aus der Störungstheorie bezeichnen mathematische Konstrukte, die als solche unbeobachtbar sind.


In einer formaleren Herleitung definiert man – für den Fall eines nicht explizit zeitabhängigen [[Hamilton-Operator|Hamilton-Operators]] <math>H</math> und einer ebenfalls nicht explizit zeitabhängigen [[Observable]]n <math>A</math> – für <math>A</math> eine Zeit, in der sich <math>A</math> um eine [[Standardabweichung (Wahrscheinlichkeitstheorie)|Standardabweichung]] <math>\Delta A</math> ändert:
Wegen des quantenmechanischen Zusammenhangs <math>E = \hbar \omega</math> zwischen Energie und [[Kreisfrequenz]] <math>\omega</math> lässt sich die Energie-Zeit-Unschärferelation auch als '''Frequenz-Zeit-Unschärferelation''' schreiben:


:<math>\Delta t_{A} = \frac{\Delta A}{\left|\frac{d}{dt}\left\langle A\right\rangle\right|}.</math>
:<math>\Leftrightarrow \Delta \omega \; \Delta t \ge \frac{1}{2}</math>.


Aus dem [[Ehrenfest-Theorem]] folgt
Diese Relation wird z.&nbsp;B. in der [[Hochfrequenztechnik]] verwendet, um die Zeit <math> \Delta t</math> zu errechnen, die man praktisch benötigt, um eine Kreisfrequenz mit der Ungenauigkeit <math> \Delta \omega</math> zu bestimmen, wie dies von [[Küpfmüllersche Unbestimmtheitsrelation|Küpfmüller]] 1924 auch genau so getan wurde.


:<math>\frac{d}{dt}\left\langle A\right\rangle = \frac{i}{\hbar}\left\langle \left[H,A\right] \right\rangle</math>
== Herleitungen ==
=== Eine allgemeine formale Herleitung ===
Die formale Herleitung legt die [[Heisenbergsche Unschärferelation#Verallgemeinerung|verallgemeinerte Form]] der Unschärferelation für den Hamilton-Operator <math> \hat H</math> und einen beliebigen anderen Operator <math> \hat A</math>  zugrunde:<ref>[[Wolfgang Nolting (Physiker)|Wolfgang Nolting]]: ''Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik - Grundlagen.'' 7. Auflage, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-68868-6, Seite 220ff</ref>


Nun lässt sich die [[Heisenbergsche Unschärferelation #Verallgemeinerung|verallgemeinerte Form]] der Unschärferelation anwenden, so dass folgt:
:<math> \Delta H \; \Delta A \geq \frac{1}{2} \left|\left\langle \left[ \hat H,\hat A\ \right] \right \rangle \right| </math>


:<math> \Delta E \Delta A \geq \frac{1}{2} \left|\left\langle \left[H,A\right] \right\rangle\right| = \frac{\hbar}{2} \left| \frac{d}{dt}\left\langle A\right\rangle \right| \qquad \Rightarrow \qquad \Delta E \Delta t_{A} \geq \frac{\hbar}{2}.</math>
Darin ist <math>\Delta H = \Delta E </math> die [[Standardabweichung (Wahrscheinlichkeitstheorie)|Standardabweichung]] der Energie und <math>\Delta A </math> die Standardabweichung der Observablen <math>A</math> im betrachteten Zustand. Da aber für <math> \hat A</math> nicht die Zeit gewählt werden darf, weil diese im Gegensatz zu Ort, Impuls, Drehimpuls, Energie etc. nicht durch einen Operator dargestellt werden kann, wird der Umweg über die zeitliche Änderung des Erwartungswerts von <math> \hat A</math> genommen. Die Änderungsgeschwindigkeit ist nach dem [[Ehrenfest-Theorem]] (hierbei werden <math>\hat A</math> und <math>\hat H</math> als stationär, d.&nbsp;h. als nicht explizit zeitabhängig vorausgesetzt):
:<math>\left|  \frac{d}{dt}\left\langle \hat A\right\rangle \right| = \frac{1}{\hbar} \left| \left\langle \left[\hat H,\hat A\right] \right\rangle \right| </math>,
Schreiben wir <math>\Delta E</math> statt <math>\Delta H</math>, so gilt also
:<math>  \Delta E \; \Delta A \geq  \frac{\hbar}{2} \left| \frac{d}{dt}\left\langle \hat A\right\rangle \right| </math>.
Die Zeitspanne <math>\Delta t_A </math>  wird eingeführt, indem
:<math>  \Delta A = \left|  \frac{d}{dt}\left\langle \hat A\right\rangle  \right|  \Delta t_A</math>.
gesetzt wird. <math>\Delta t_A </math> ist also kein Maß für eine Streuung, sondern die Zeit, die verstreichen muss, damit der Erwartungswert der Observablen <math>\hat{A}</math> sich wesentlich, d.&nbsp;h. um eine Standardabweichung <math>\Delta A </math> ändert. Wenn die letzte Ungleichung mit <math>\Delta t_A </math> multipliziert wird, lässt sich <math>\Delta A </math> herauskürzen. Übrig bleibt die gesuchte Unschärferelation:
:<math>  \Delta E \; \Delta t \geq \frac{\hbar}{2} </math>.
Da die rechte Seite der Ungleichung nicht von der Wahl von <math>\hat A </math> abhängt, gilt sie allgemein und kann bei keiner Observablen unterschritten werden. Daher kann der Index bei <math>\Delta t_A</math> weggelassen werden. Gleichwohl sollte man sich des Kontextes bei der Interpretation der Ungleichung und des Zeitintervalls <math>\Delta t</math> stets bewusst sein.


Als letzter Argumentationsschritt wird der Index <math>A</math> von <math>t_{A}</math> weggelassen, da eine solche Eigenzeit für jede Observable definiert werden kann.<ref>[[Wolfgang Nolting (Physiker)|Wolfgang Nolting]]: ''Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik - Grundlagen.'' 7. Auflage, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-68868-6, Seite 220ff</ref>
=== Energieunschärfe und Lebensdauer ===
Mit einer anderen physikalischen Interpretation gilt eine ähnliche Energie-Zeit-Unschärferelation beim Zerfall eines Systems in einem metastabilen Zustand in zwei Teilchen, also auch bei jeder Art von Emission. Hier ist die Relation durch eine Gleichung gegeben:
:<math>  \Delta E \; \tau =  \hbar </math>.
Darin steht <math>\Delta E</math> nicht für die Standardabweichung, sondern für die Halbwertsbreite der kinetischen Energie der Zerfallsprodukte, und <math>\tau </math> nicht für eine Zeitunschärfe, sondern für die wohlbestimmte mittlere [[Lebensdauer (Physik)|Lebensdauer]] des metastabilen Zustands. Allerdings kann man <math>\tau </math> auch als eine Zeitunschärfe ansehen, weil bei einem Ensemble gleicher Systeme die einzelnen Zerfallszeiten eine exponentielle Verteilung zeigen, für die der Mittelwert auch die Standardabweichung angibt. Die Herleitung erfolgt im Rahmen der Resonanztheorie für die Streuung an einem Potentialtopf.<ref name="BlattWeisskopf">{{Literatur |Autor=John M. Blatt, [[Viktor Weisskopf]] |Titel=Theoretische Kernphysik |Auflage=1 |Verlag=B.G.Teubner |Ort=Leipzig |Datum=1959 |Seiten=354ff}}</ref> Sie gilt für jedes zerfallende System, denn dieses lässt sich als Resonanz in der Umkehrreaktion auffassen, wenn also die Zerfallsprodukte aneinander gestreut werden.


== Referenzen ==
=== Weitere Einzelbeispiele ===
<references/>
Es gibt eine Reihe weiterer Einzelbeispiele, an denen sich eine ähnliche Energie-Zeit-Unschärferelation finden lässt. Unter anderem:
* Bezieht sich <math>\Delta t</math> auf die Unsicherheit in der Bestimmung des Zeitpunkts, an dem ein Teilchen einen Ort passiert, dann wird die [[Wellenfunktion]] des Teilchens als [[Wellenpaket]] mit einer gewissen Ausdehnung und damit auch Energieunschärfe modelliert. Bei gegebener (mittlerer) Geschwindigkeit ist <math>\Delta t</math> proportional zur Länge des Wellenpakets, die ihrerseits umgekehrt proportional zur Energieunschärfe ist.<ref>{{Literatur |Autor=Franz Schwabl |Titel=Quantenmechanik - Eine Einführung |Auflage=7 |Verlag=Springer |Ort=Heidelberg |Datum=2007 |Seiten=101ff}}</ref> Es ergibt sich <math>  \Delta E \; \Delta t \sim  \hbar </math>.
* Daraus abgeleitet ergibt sich, dass eine Energiemessung mit der Genauigkeit <math>\Delta E</math> mindestens die Zeit <math>\Delta t = \hbar/\Delta E</math> erfordert.
* Befindet sich das System in einem [[Überlagerungszustand]] aus zwei [[Energieniveau]]s mit Energieabstand <math>\Delta E</math>, dann schwingt die Wellenfunktion mit der [[Periode]] <math>\tau = h/ \Delta E </math> zwischen der symmetrischen und der antisymmetrischen Form hin und her.<ref name="Messiah">{{Literatur |Autor=[[Albert Messiah]] |Titel=Quantum Mechanics I |Verlag=North Holland Publishing |Ort=Amsterdam |Datum=1970 |ISBN=0-7204-0044-9 |Seiten=136ff}}</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
* Wolfgang Nolting: ''Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik - Grundlagen.'' 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2004, ISBN 3-540-68868-4. Seite 220ff
* Wolfgang Nolting: ''Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik Grundlagen.'' 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2004, ISBN 3-540-68868-4. Seite 220ff
* {{Internetquelle |autor=Oliver Passon, Johannes Grebe-Ellis |url=https://www.physikdidaktik.uni-wuppertal.de/fileadmin/physik/didaktik/Forschung/Publikationen/Passon/Passon_Grebe-Ellis_2015_Was_besagt_die_HUR.pdf |titel=Was besagt die Heisenberg'sche Unschärferelation? |abruf=2019-05-11 |format=PDF}}


== Siehe auch ==
== Einzelnachweise ==
*[[Lebensdauer (Physik)]]
<references />


[[Kategorie:Quantenmechanik]]
[[Kategorie:Quantenmechanik]]

Aktuelle Version vom 18. Juni 2021, 20:19 Uhr

Die Energie-Zeit-Unschärferelation beschreibt eine Grenzbedingung für die erreichbare Messgenauigkeit von Energie und Zeit in der Quantenmechanik.

Einordnung

In vorläufiger Form wurde sie 1927 von Werner Heisenberg gefunden und mit der gleichzeitig gefundenen Unschärferelation für Ort und Impuls zunächst auf eine Stufe gestellt.[1] Wie die Ort-Impuls-Unschärferelation ist die Energie-Zeit-Unschärferelation prinzipieller Natur und nicht eine Folge unzulänglicher Messungen. Die beiden Relationen zeigen aber grundsätzliche Unterschiede, die auch jeweils eine eigene Interpretation erforderlich machen: Während Ort und Impuls eines Teilchens zu jedem Zeitpunkt beobachtbare Größen sind, wie sie in der Quantenmechanik durch Orts- und Impuls-Operatoren dargestellt werden, ist die Zeit keine im selben Sinne beobachtbare Größe und kann nicht widerspruchsfrei durch einen Zeitoperator dargestellt werden.[2]

Auch hier handelt es sich, wie bei allen Unschärferelationen, um eine direkte Anwendung des Satzes von Plancherel (1910).

Mathematische Beschreibung

Heisenberg leitete für das Produkt aus der Ungenauigkeit $ \Delta E $ einer Energiemessung und der Dauer $ \Delta t $, die diese Messung mindestens beansprucht, die Abschätzung

$ \Delta E\;\Delta t\sim \hbar $

her, wobei $ \hbar $ das reduzierte plancksche Wirkungsquantum ist. Diese Form wird auch heute noch häufig benutzt. Dies kann zu einer echten Ungleichung

$ \Delta E\;\Delta t\geq {\frac {\hbar }{2}}, $

verschärft werden, in der $ \Delta E $ die Standardabweichung der im System vertretenen Energiewerte ist und $ \Delta t $ die kleinstmögliche Zeitspanne, in der sich der Erwartungswert einer Observablen um eine Standardabweichung verändert.[3]

Auch ohne Bezug auf den Begriff Messgenauigkeit gilt in der Quantenmechanik grundsätzlich, dass ein System, dessen Zustand nicht zeitlich konstant bleibt, keine scharf bestimmte Energie haben kann. Denn nur die Eigenzustände zum Energieoperator sind stationäre Zustände. Je nach betrachtetem Fall können sich unterschiedliche Abschätzungen für das kleinstmögliche Produkt aus der Spannweite der beteiligten Energiewerte und einer für die Änderung des Systems charakteristischen Zeitspanne ergeben.

In populärwissenschaftlichen Darstellungen heißt es gelegentlich, die Energie-Zeit-Unschärferelation erlaube, für eine kurze Zeit $ \Delta t $ die Energieerhaltung um den Betrag $ \Delta E $ zu verletzen; dies erkläre die „virtuellen Zustände“ und Vakuumfluktuationen in der Störungstheorie in Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie. Dies ist nicht korrekt. Die Energieerhaltung ist immer strikt gewährleistet, und die genannten Begriffe aus der Störungstheorie bezeichnen mathematische Konstrukte, die als solche unbeobachtbar sind.

Wegen des quantenmechanischen Zusammenhangs $ E=\hbar \omega $ zwischen Energie und Kreisfrequenz $ \omega $ lässt sich die Energie-Zeit-Unschärferelation auch als Frequenz-Zeit-Unschärferelation schreiben:

$ \Leftrightarrow \Delta \omega \;\Delta t\geq {\frac {1}{2}} $.

Diese Relation wird z. B. in der Hochfrequenztechnik verwendet, um die Zeit $ \Delta t $ zu errechnen, die man praktisch benötigt, um eine Kreisfrequenz mit der Ungenauigkeit $ \Delta \omega $ zu bestimmen, wie dies von Küpfmüller 1924 auch genau so getan wurde.

Herleitungen

Eine allgemeine formale Herleitung

Die formale Herleitung legt die verallgemeinerte Form der Unschärferelation für den Hamilton-Operator $ {\hat {H}} $ und einen beliebigen anderen Operator $ {\hat {A}} $ zugrunde:[4]

$ \Delta H\;\Delta A\geq {\frac {1}{2}}\left|\left\langle \left[{\hat {H}},{\hat {A}}\ \right]\right\rangle \right| $

Darin ist $ \Delta H=\Delta E $ die Standardabweichung der Energie und $ \Delta A $ die Standardabweichung der Observablen $ A $ im betrachteten Zustand. Da aber für $ {\hat {A}} $ nicht die Zeit gewählt werden darf, weil diese im Gegensatz zu Ort, Impuls, Drehimpuls, Energie etc. nicht durch einen Operator dargestellt werden kann, wird der Umweg über die zeitliche Änderung des Erwartungswerts von $ {\hat {A}} $ genommen. Die Änderungsgeschwindigkeit ist nach dem Ehrenfest-Theorem (hierbei werden $ {\hat {A}} $ und $ {\hat {H}} $ als stationär, d. h. als nicht explizit zeitabhängig vorausgesetzt):

$ \left|{\frac {d}{dt}}\left\langle {\hat {A}}\right\rangle \right|={\frac {1}{\hbar }}\left|\left\langle \left[{\hat {H}},{\hat {A}}\right]\right\rangle \right| $,

Schreiben wir $ \Delta E $ statt $ \Delta H $, so gilt also

$ \Delta E\;\Delta A\geq {\frac {\hbar }{2}}\left|{\frac {d}{dt}}\left\langle {\hat {A}}\right\rangle \right| $.

Die Zeitspanne $ \Delta t_{A} $ wird eingeführt, indem

$ \Delta A=\left|{\frac {d}{dt}}\left\langle {\hat {A}}\right\rangle \right|\Delta t_{A} $.

gesetzt wird. $ \Delta t_{A} $ ist also kein Maß für eine Streuung, sondern die Zeit, die verstreichen muss, damit der Erwartungswert der Observablen $ {\hat {A}} $ sich wesentlich, d. h. um eine Standardabweichung $ \Delta A $ ändert. Wenn die letzte Ungleichung mit $ \Delta t_{A} $ multipliziert wird, lässt sich $ \Delta A $ herauskürzen. Übrig bleibt die gesuchte Unschärferelation:

$ \Delta E\;\Delta t\geq {\frac {\hbar }{2}} $.

Da die rechte Seite der Ungleichung nicht von der Wahl von $ {\hat {A}} $ abhängt, gilt sie allgemein und kann bei keiner Observablen unterschritten werden. Daher kann der Index bei $ \Delta t_{A} $ weggelassen werden. Gleichwohl sollte man sich des Kontextes bei der Interpretation der Ungleichung und des Zeitintervalls $ \Delta t $ stets bewusst sein.

Energieunschärfe und Lebensdauer

Mit einer anderen physikalischen Interpretation gilt eine ähnliche Energie-Zeit-Unschärferelation beim Zerfall eines Systems in einem metastabilen Zustand in zwei Teilchen, also auch bei jeder Art von Emission. Hier ist die Relation durch eine Gleichung gegeben:

$ \Delta E\;\tau =\hbar $.

Darin steht $ \Delta E $ nicht für die Standardabweichung, sondern für die Halbwertsbreite der kinetischen Energie der Zerfallsprodukte, und $ \tau $ nicht für eine Zeitunschärfe, sondern für die wohlbestimmte mittlere Lebensdauer des metastabilen Zustands. Allerdings kann man $ \tau $ auch als eine Zeitunschärfe ansehen, weil bei einem Ensemble gleicher Systeme die einzelnen Zerfallszeiten eine exponentielle Verteilung zeigen, für die der Mittelwert auch die Standardabweichung angibt. Die Herleitung erfolgt im Rahmen der Resonanztheorie für die Streuung an einem Potentialtopf.[5] Sie gilt für jedes zerfallende System, denn dieses lässt sich als Resonanz in der Umkehrreaktion auffassen, wenn also die Zerfallsprodukte aneinander gestreut werden.

Weitere Einzelbeispiele

Es gibt eine Reihe weiterer Einzelbeispiele, an denen sich eine ähnliche Energie-Zeit-Unschärferelation finden lässt. Unter anderem:

  • Bezieht sich $ \Delta t $ auf die Unsicherheit in der Bestimmung des Zeitpunkts, an dem ein Teilchen einen Ort passiert, dann wird die Wellenfunktion des Teilchens als Wellenpaket mit einer gewissen Ausdehnung und damit auch Energieunschärfe modelliert. Bei gegebener (mittlerer) Geschwindigkeit ist $ \Delta t $ proportional zur Länge des Wellenpakets, die ihrerseits umgekehrt proportional zur Energieunschärfe ist.[6] Es ergibt sich $ \Delta E\;\Delta t\sim \hbar $.
  • Daraus abgeleitet ergibt sich, dass eine Energiemessung mit der Genauigkeit $ \Delta E $ mindestens die Zeit $ \Delta t=\hbar /\Delta E $ erfordert.
  • Befindet sich das System in einem Überlagerungszustand aus zwei Energieniveaus mit Energieabstand $ \Delta E $, dann schwingt die Wellenfunktion mit der Periode $ \tau =h/\Delta E $ zwischen der symmetrischen und der antisymmetrischen Form hin und her.[7]

Literatur

  • Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik – Grundlagen. 7. Auflage. Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2004, ISBN 3-540-68868-4. Seite 220ff
  • Oliver Passon, Johannes Grebe-Ellis: Was besagt die Heisenberg'sche Unschärferelation? (PDF) Abgerufen am 11. Mai 2019.

Einzelnachweise

  1. W. Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik. In: Zeitschrift für Physik. Band 43, Nr. 3, 1927, S. 172–198, doi:10.1007/BF01397280 (Originalarbeit [PDF; 2,7 MB]).
  2. Siegfried Großmann: Heisenbergsche Unschärferelation
  3. Eckhard Rebhan: Theoretische Physik II. 1. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, München 2005, S. 96 ff.
  4. Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 5/1; Quantenmechanik - Grundlagen. 7. Auflage, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-68868-6, Seite 220ff
  5. John M. Blatt, Viktor Weisskopf: Theoretische Kernphysik. 1. Auflage. B.G.Teubner, Leipzig 1959, S. 354 ff.
  6. Franz Schwabl: Quantenmechanik - Eine Einführung. 7. Auflage. Springer, Heidelberg 2007, S. 101 ff.
  7. Albert Messiah: Quantum Mechanics I. North Holland Publishing, Amsterdam 1970, ISBN 0-7204-0044-9, S. 136 ff.

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