Anstiegs- und Abfallzeit

Anstiegs- und Abfallzeit

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Anstiegs- und Abfallzeiten eines Schaltsignales (untere Kurve) und Verzögerungszeiten (delays) zum Steuer- bzw. Eingangssignal (obere Kurve); Aufzeichnung mit einem digitalen Speicheroszilloskop

Unter Anstiegszeit und Abfallzeit (engl. rise time und fall time) versteht man in der Digitaltechnik und der Messtechnik die Zeit, die ein Pegelwechsel eines (idealerweise) rechteckförmigen Signals real benötigt, um seinen Signalpegel zwischen zwei definierten Zwischenwerten (üblich sind 10 % und 90 %) zu ändern.

Die Zeiten werden durch die endliche Grenzfrequenz der beteiligten Schaltelemente und Übertragungswege verursacht.

Digitaltechnik

Anstiegs- und Abfallzeiten beschreiben in der Digitaltechnik und bei Schalttransistoren die beim Umschaltvorgang charakteristischen Zeiten, in denen das Signal nicht mehr den alten und noch nicht den neuen definierten Logikpegel („0“ bzw. „1“) bzw. Schaltzustand innehat. Siehe auch Flankensteilheit.

In der Digitaltechnik werden hierbei meistens die im ungünstigsten Fall (worst case) garantierten Zeiten genannt. Sie beschreiben die Zeit, die ein Signal (beispielsweise in einem Computerprozessor) zum sicheren Umschalten zwischen den beiden binären Zuständen benötigt. Die für ein Bauteil spezifizierten Anstiegs- und Abfallzeiten sind oft keine Messwerte, sondern ein Merkmal des Bausteins bzw. der betrachteten Logikfamilie bei bestimmten Parametern (Betriebsspannung, Temperatur), das durch das Design bzw. den Herstellungsprozess gesichert ist.

Sämtliche Digitaltechnik basiert letztlich auf analog arbeitenden Schaltungselementen, die für die Bearbeitung digitaler Signale optimiert sind. Dabei ist zu beachten, dass man bei den digitalen Signalen „1“ bzw. „0“ zwar „Strom ein“ bzw. „Strom 0“ unterstellt, in der Praxis aber meistens mit Spannungs- und Strompegeln gearbeitet wird, die ungleich dieser Idealwerte sind. Weiterhin ist das Verhalten der Schaltung bei Zustandswechsel meistens unsymmetrisch, weshalb Anstiegs- und Abfallzeit dann unterschiedlich lang sind.

Für ein Logiksignal in einer Schaltung ist es notwendig, Schwellenwerte festzulegen. Für logisch „0“ wird bei TTL beispielsweise ein zulässiger Bereich von 0…0,8 V festgelegt und als logisch „1“ ein Bereich von 2…5 V. Die tatsächliche Schaltschwelle der Logikbausteine (ca. 1,4 V) liegt im „verbotenen Bereich“ zwischen diesen beiden Werten und daher im Bereich der Anstiegs- und Abfallzeit. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, den verbotenen Bereich hinreichend schnell zu durchlaufen, was für viele Logikbausteine wichtig und oft auch mit einer minimal zulässigen Spannungsanstiegs-Geschwindigkeit spezifiziert ist.

Anstiegs- und Abfall-Zeit beschreiben die Zeitintervalle, in denen dieser undefinierte „verbotene“ Zustand während des Umschaltens auftritt. Wichtig ist das insbesondere bei flankengetriggerten Schaltungen, d. h. Schaltungen, die auf die Änderung des Signals reagieren (z. B. flankengetriggertes Flipflop). Andernfalls kann es zu Fehlfunktionen kommen; siehe Race condition.

Um eine Sicherheit gegen Störungen zu erhalten, gelten für die Ausgänge dieser Bausteine härtere Anforderungen als für die Eingänge. Beispielsweise werden für einen Gatterausgang in der klassischen TTL-Technik max. 0,4 V für „0“ und min. 2,4 V für „1“ garantiert.

Sehr kurze Anstiegs- und Abfallzeiten im Signal bedeuten auch, dass im Spektrum des Signals sehr hohe Frequenzanteile vorhanden sind, die zur Aussendung (Abstrahlung) von elektromagnetischen Wellen führen. Durch diese Störsignale können andere Schaltungsteile in ihrer Funktion beeinflusst werden. Um die elektromagnetische Verträglichkeit sicherzustellen, werden deshalb die Ausgänge von Digital- und Treiberschaltungen so ausgelegt, dass die Anstiegs- und Abfallzeiten nur so kurz wie unbedingt nötig sind. Dazu wird die Flankensteilheit (slew rate) des Ausgangstreibers begrenzt.

Messtechnik

In der Messtechnik sowie zur Charakterisierung analoger und digitaler Schaltungen werden zur Spezifizierung der Zeiten meistens die Werte von 10 % bzw. 90 % des Schaltpegels bzw. Sollsignales definiert.

Auch Schalttransistoren und andere leistungselektronische Bauteile werden damit charakterisiert.

Analoge Verstärker, Schaltverstärker, Leuchtdioden, Laser, Photodioden und Fototransistoren werden ebenfalls durch Anstiegs- und Abfallzeiten charakterisiert, die sie als Antwort auf eine Sprungfunktion liefern.

Wenn ein exponentieller Verlauf angenommen wird, beträgt die Anstiegs- und Abfallzeit für einen Tiefpass 1. Ordnung oder vergleichbare Systeme jeweils:

$ {\begin{aligned}t_{r}&=(\ln 0{,}9-\ln 0{,}1)\cdot \tau \approx 2{,}197\cdot \tau \\&={\frac {\ln 0{,}9-\ln 0{,}1}{2\pi }}\cdot {\frac {1}{f_{g}}}\approx 0{,}3497\cdot {\frac {1}{f_{g}}}\end{aligned}} $

mit

  • der Zeitkonstante $ \tau ={\frac {1}{2\pi \,f_{g}}} $
  • der 3-dB-Grenzfrequenz $ f_{g} $.

Diese Formel wird meist an Filtern erster Ordnung hergeleitet. Bei Systemen höherer Ordnung ist der Fehler recht gering, d. h. z. B. auch bei Tiefpaßfiltern höherer Ordnung kann man die Anstiegszeit relativ genau aus der 3-dB-Grenzfrequenz berechnen; das meist auftretende Überschwingen hat darauf relativ wenig Einfluss.

Sowohl bei Digitalschaltungen als auch bei Verstärkern, Sensoren und Aktoren sind zusätzliche Verzögerungszeiten charakteristisch (engl. delay times, bei Schaltstufen turn-on delay und turn-off delay). Diese vergehen, bis sich nach einem Sprung des Eingangssignals die Ausgangsspannung zu ändern beginnt, d.h. bevor die eigentliche Anstiegs- bzw. Abfallszeit anfängt zu zählen, und hängen ab von weiteren Polen und Nullstellen der Übertragungsfunktion oder auch von nichtlinearen Speichereffekten.

Die gesamte Zeitverzögerung beim Durchlauf durch eine Schaltstufe oder einen anderen Vierpol ergibt sich somit aus der Verzögerungs- und ca. der halben Anstiegs- bzw. Abfallzeit.

Viele digitale Speicheroszilloskope verfügen in ihrer software über Messfunktionen für die Verzögerungs- sowie für die Anstiegs- und Abfallzeiten.

Siehe auch

  • Halbwertsbreite

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