Facility for Antiproton and Ion Research

Facility for Antiproton and Ion Research

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Internationale Beschleuniger-Anlage zur Forschung mit Antiprotonen und Ionen
FAIR

FAIR – Facility for Antiproton and Ion Research in Europe GmbH
Englische Bezeichnung Facility for Antiproton and Ion Research (orig.)
Status im Bau
Sitz der Organe

Darmstadt

Vorsitz Paolo Giubellino
(wissenschaftliche Leitung)[1][2]
Ulrich Breuer
(administrative Leitung)[1][3]
Jörg Blaurock
(technische Leitung)[1][4]
Mitgliedstaaten 9:

Deutschland Deutschland
Finnland Finnland
Frankreich Frankreich
Indien Indien
Polen Polen
Rumänien Rumänien
Russland Russland
Schweden Schweden
Slowenien Slowenien

Assoziierte Mitglieder

2:
Assoziiert:
Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich
Aspirant Partner:
Tschechien Tschechien

Amts- und Arbeitssprachen

Deutsch, Englisch

Gründung

2003 (4. Oktober 2010[5])

fair-center.de
Die Anteilseigner (Shareholder) der FAIR GmbH

Die internationale Teilchenbeschleunigeranlage FAIR (englisch Facility for Antiproton and Ion Research ‚Anlage zur Forschung mit Antiprotonen und Ionen‘) ist eine Forschungseinrichtung für die physikalische Grundlagenforschung. Sie entsteht in Darmstadt in unmittelbarer Nachbarschaft zum GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und wird von der Bundesrepublik Deutschland und europäischen wie außereuropäischen Partnerländern getragen.

Zweck

Luftbild auf die Baustelle; der runde Hauptbeschleunigerring ist gut zu erkennen

Die Anlage soll neue Einblicke in die Struktur von Materie und die Entwicklung des Universums ermöglichen. Forschungsfelder sind die Kern-, Hadronen- und Teilchenphysik, die Atom- und Antimateriephysik, die Plasmaphysik und Anwendungen in den Materialwissenschaften, der Biologie und der Biomedizin. Das Projekt FAIR gliedert sich in die Teile Bauwerke, Beschleuniger sowie wissenschaftliche Experimente und Detektoren. Mit den ursprünglich veranschlagten Kosten von 1,357 Milliarden Euro (Preisniveau 2005)[6] sollten Bau, Beschleuniger und ein Drittel der Experimente abgedeckt werden. Im Jahr 2018 stellte der Bundesrechnungshof fest, dass die Kosten von FAIR auf 1,669 Milliarden Euro (Preise von 2005) angestiegen seien[7]. Ein weiterer Bericht des Bundesrechnungshofs im Jahr 2019 konstatierte, dass eine „kürzlich eingesetzte Expertenkommission (…) von Mehrbedarfen und Kostenrisiken von 850 Mio. Euro“ ausgehe (Preise von 2019)[8]. Im Jahr 2020 wurden die Gesamtkosten von FAIR mit 3.1 Milliarden Euro angegeben[9]. Diese Kostenschätzung wurde im April 2021 um weitere 145 Millionen Euro erhöht, wobei ein zusätzliches Kostenrisiko von 448 Millionen Euro bis 2025 genannt wurde[9].

Beschleuniger und Experimente

Die FAIR-Baustelle im März 2013 vom östlichen Rand des GSI-Geländes gesehen. Links das Areal des zukünftigen Schwerionenbeschleunigers SIS100, mittig ein Drehbohrgerät (ca. 100 t schwer) für die Bohrung der rund 1400 Bohrpfähle mit 1,2 m Durchmesser und bis 65 m Länge und rechts im Bild der Platz, wo die Experimentanlagen und weitere Beschleuniger aufgebaut werden

Die Beschleuniger und andere Anlagen

Herzstück der neuen Anlage ist ein Doppelringbeschleuniger (Schwerionen-Synchrotron SIS100/SIS300) mit einem Umfang von 1,1 Kilometern. Insgesamt verfügt die Anlage über 3,5 Kilometer Strahlführung und acht Beschleuniger- und Speicherringe. In der Anlage können alle Elemente von Wasserstoff bis Uran beschleunigt werden. Außerdem können Sekundärstrahlen von Antiprotonen und seltenen Isotopen erzeugt werden. Die wichtigste dafür ist der Supraleitende Fragment Separator (Super-FRS).

Die bestehenden Beschleuniger der GSI werden als Vorbeschleuniger weiter genutzt.

Der Aufbau des FAIR Beschleunigersystems gliedert sich in die folgenden Bereiche:

Weitere Beschleunigerringe (z. B. SIS 300) sind in Ausbaustufen geplant.

Wissenschaftliche Experimente

FAIR umfasst vier wissenschaftliche Programme:

  • Antiprotonen-Annihilation in Darmstadt (PANDA)[10]
  • Atom- und Plasmaphysik und Anwendungen (APPA)[11]
  • Kernstruktur, -astrophysik und -reaktionen (NUSTAR)[12]
  • Komprimierte Baryonische Materie (CBM)[13]

Bau in Zahlen und Fakten

Geplant wird die Anlage des internationalen Forschungsprojektes FAIR von der „ARGE ion-42“, einer Architektengemeinschaft aus DGI Bauwerk[14] und schneider+schumacher.[15]

Das Projekt umfasst[16]:

  • 20 ha Fläche, Umgriffsfläche Bebauungsplan 686.373 m³
  • 158.661 m² Bruttogrundfläche
  • 2 Mio m³ Erdbewegungen
  • 600.000 m³ Beton
  • 65.000 t Stahl
  • 30.000 m² Dachbegrünungen
  • 60.000 m² Vegetationsflächen auf Schrägdächern

Am 4. Juli 2017 erfolgte auf dem nordöstlichen Baufeld der Spatenstich für den Bau des großen Ringbeschleunigers SIS 100, Herzstück der künftigen Beschleunigeranlage und des großen Verzweigungsgebäudes, in dem Strahlzuführung, sowie Ein- und Auskoppelung in den SIS 100 und in die weiteren Beschleuniger bzw. Experimente verlaufen werden.

Geschichte

Da absehbar war, dass in einigen Jahren die Forschungsmöglichkeiten der GSI mit der bestehenden Beschleunigeranlage ausgeschöpft sein würden, erarbeiteten die wissenschaftlichen Nutzer der GSI ein Konzept für ein „internationales Beschleunigerzentrum für die Forschung mit Ionen- und Antiprotonenstrahlen“, das an die bestehende Anlage anschließt.

Im Frühjahr 2003 entschied das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Empfehlung des Wissenschaftsrates zu folgen und das neue Beschleunigerzentrum zusammen mit internationalen Partnern zu bauen.

Im Laufe der darauf folgenden Jahre bis Februar 2007 unterzeichneten die Regierungen von China, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Indien, Italien, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Spanien und Großbritannien eine Absprache (Memorandum of Understanding) als Grundlage für die internationale Zusammenarbeit während der Vorbereitungsphase.

2006 wurde die technischen Planungen veröffentlicht.[17]

Am 7. November 2007 unterzeichneten Deutschland, das Bundesland Hessen, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Spanien das FAIR-Kommuniqué zum offiziellen Start des FAIR-Projekts.[18] In dem Dokument erklärten die Unterzeichner unter anderem ihre Absicht, „die erste Bauphase von FAIR mit dem von den Partnerländern abzustimmenden, verfügbaren Budget zu beginnen“ sowie „die Finanzierung des Betriebs von FAIR gemeinsam sicherzustellen“. Zu diesem Zeitpunkt war die Fertigstellung für das Jahr 2015/2016 geplant,[19] wobei ab 2012 schon erste Experimente geplant waren.

Am 4. Oktober 2010 unterzeichneten auf Schloss Biebrich in Wiesbaden die Vertreter der Staaten Deutschland, Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Slowenien und Schweden ein völkerrechtliches Übereinkommen, das FAIR als neues Forschungszentrum etablierte.[20][21] Gleichzeitig wurde die internationale FAIR GmbH (Facility for Antiproton and Ion Research in Europe GmbH) gegründet, die FAIR baut und betreiben wird. Im Dezember 2011 wurde mit der Vorbereitung des Baufelds begonnen. Dazu wurden 2011/2012 und im Folgewinter 20 Hektar Wald östlich der GSI gerodet und der Oberboden abgetragen. Er wird auf Bodenlagerflächen in der Nähe gelagert und später wieder zur Bepflanzung der Anlage verwendet. Außerdem wurden forstwirtschaftliche und ökologische Ausgleichsmaßnahmen gestartet und fortgeführt.[22]

Im März 2013 wurde der erste von insgesamt 1350 Bohrpfählen gesetzt, die den Baugrund stabilisieren,[23] da dieser überwiegend aus einem Gemisch von Sanden, Schluffen und Tonen besteht. Die Bohrpfähle werden mit den Bodenplatten verbunden (Kombinierte Pfahl-Plattengründung) und sollen so dafür sorgen, dass sich die schweren Gebäude nur wenig und vor allem gleichmäßig setzen. Die Bohrpfahlarbeiten wurden im Juni 2014 abgeschlossen.

2014 zeichneten sich bauliche Verzögerungen und Mehrkosten für den Bau der Anlage ab.[24] Prüfungen durch mehrere unabhängige Expertengruppen, zum Beispiel einer Gruppe unter der Leitung von CERN-Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer, bestätigten die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit von FAIR. Die Heuer-Kommission bewertete die Leistungsfähigkeit der vier Kollaborationen angesichts der Verzögerungen jedoch unterschiedlich[25], was zu Diskussionen über mögliche Verkleinerungen des wissenschaftlichen Programms führte.[26]

Im September 2015 bestätigte die FAIR-Gesellschafterversammlung (Council), in der die Partnerländer vertreten sind, ihr Ziel, das FAIR-Projekt in dem im völkerrechtlichen Vertrag vereinbarten Umfang zu errichten und die Mehrkosten zu tragen.[6] Gleichzeitig wurde 1,262 Milliarden Euro (Preisniveau 2005) als Kostenobergrenze festgelegt, zuzüglich 95 Millionen Euro (Preisniveau 2005), die durch die Bedingungen am Standort verursacht wurden und die von Deutschland getragen werden. 2010 waren Kosten von 1,022 Milliarden Euro (zuzüglich 95 Millionen Euro, Strahlbetrieb ab 2018) vereinbart worden. Ursprünglich (2005) waren nur Kosten von 700 Mio. Euro geplant.[27]

Gemäß dem Planungsstand von 2018 sollen im Jahr 2023 80 Prozent der Experimente laufen, bis 2025 soll die Anlage im Vollbetrieb sein.

Partnerländer, europäische Wissenschaftsprogramme

3000 Wissenschaftler aus mehr als 50 Ländern arbeiten bereits an der Planung von Experimenten und Beschleunigern. Anteilseigner der FAIR GmbH sind Deutschland, Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Slowenien. Großbritannien ist assoziiertes Mitglied. Die Republik Tschechien wurde 2018 als Aspirant Partner aufgenommen.[28]

FAIR ist in Europas Forschungsfahrplan für Großgeräte aufgenommen, der Roadmap des European Strategy Forum on Research Infrastructures (ESFRI).[29] Das Nuclear Physics European Collaboration Committee (NuPECC)[30] empfiehlt FAIR als Projekt, das die Kernphysik in Europa über die kommende Dekade hinaus bestens entwickeln kann.[31]

Weblinks

Commons: Facility for Antiproton and Ion Research – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Geschäftsführung von GSI und FAIR. Abgerufen am 20. Januar 2020.
  2. Neuer Direktor am Beschleunigerzentrum. In: pro-physik.de. 22. September 2016, abgerufen am 21. Januar 2020.
  3. GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung: Dr. Ulrich Breuer ist neuer Administrativer Geschäftsführer von GSI und FAIR. 16. März 2020, abgerufen am 16. Juni 2020.
  4. Markus Bernards: Jörg Blaurock ist neuer Technischer Geschäftsführer der Teilchenbeschleuniger FAIR und GSI. Pressemitteilung. In: idw-online.de. 12. Februar 2016, abgerufen am 21. Januar 2010.
  5. Durch Gründung der FAIR GmbH und Unterzeichnung eines völkerrechtlichen Vertragswerkes, siehe Was ist FAIR? In: fair-center.de. Abgerufen am 12. Dezember 2018.
  6. 6,0 6,1 Beschluss der FAIR-Gesellschafterversammlung. (Nicht mehr online verfügbar.) In: fair-center.de. 22. Oktober 2015, archiviert vom Original am 17. November 2015; abgerufen am 8. Juni 2020.
  7. 2018 Bericht - Bau des Beschleunigerkomplexes „FAIR“ in Darmstadt - Aktueller Stand und Risiken des FAIR-Projekts nach Baubeginn (vom 18. Dezember 2018, abgerufen am 25. Januar 2020)
  8. Gz.: III 2 - 2019 - 0581/Bericht (Langfassung, pdf, vom 28. August 2019, abgerufen am 25. Januar 2020)
  9. 9,0 9,1 - Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. April 2021 (abgerufen am 21. April 2021)
  10. PANDA-Kollaboration (in Englisch)
  11. APPA-Kollaborationen (in Englisch)
  12. NUSTAR-Kollaboration (in Englisch)
  13. CBM-Kollaboration (in Englisch)
  14. www.dgi-bauwerk.de/
  15. Projekt. FAIR – INTERNATIONALE BESCHLEUNIGER-ANLAGE. ZUR FORSCHUNG MIT ANTIPROTONEN UND IONEN. Abgerufen am 11. Dezember 2018.
  16. Pressemitteilung am Tag der offenen Tür vom 9. Mai 2017
  17. FAIR – Baseline technical report. Executive summary. In: inis.iaea.org. 2006, abgerufen am 6. September 2019 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
  18. FAIR lockt Wissenschaftler aus aller Welt nach Darmstadt. Finanzierungskonzept für Startversion der Beschleunigeranlage FAIR steht. In: Pressemitteilung 224/2007. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 7. November 2007, archiviert vom Original am 3. Dezember 2013; abgerufen am 9. Juli 2016.
  19. Startschuss für das internationale Beschleunigerzentrum FAIR an der GSI: Baubeginn für 2008 geplant. In: gsi.de. 7. November 2007, abgerufen am 8. Juni 2018.
  20. Startschuss für Forschungszentrum FAIR in Darmstadt. (PDF; 110 kB) Neun Partnerländer unterzeichnen internationales Übereinkommen. In: Pressemitteilung 174/2010. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 7. November 2007, archiviert vom Original am 2. Dezember 2013; abgerufen am 9. Juli 2016.
  21. Convention concerning the Construction and Operation of a Facility for Antiproton and Ion Research in Europe (FAIR) of 12 October 2010. In: auswaertiges-amt.de. 12. Oktober 2010, abgerufen am 23. April 2021 (englisch).
  22. Umwelt-Kompensation. (Nicht mehr online verfügbar.) In: fair-center.de. Archiviert vom Original am 24. Februar 2013; abgerufen am 16. Mai 2019.
  23. Setzen des ersten Bohrpfahls mit Drehbohrmaschinen, Youtube-Video
  24. Darmstadt – Probleme bei „Fair“. In: fr.de. 6. April 2015, abgerufen am 14. September 2018.
  25. Rolf Heuer et al.: Recommendations by the International Review Committee for the FAIR Project concerning the ranking of the science pillars (pdf). 16. April 2015, abgerufen am 1. Dezember 2016 (Lua-Fehler in Modul:Multilingual, Zeile 149: attempt to index field 'data' (a nil value)).
  26. Maike Pfalz: Antiprotonen unter Beschuss. In: pro-physik.de. 2. Juni 2015, abgerufen am 12. November 2021.
  27. Marlene Weiss: Teure Forschung – Seid verschlungen, Milliarden. In: sueddeutsche.de. 21. Januar 2011, abgerufen am 16. Oktober 2018.
  28. Tschechische Republik tritt FAIR als „Aspirant Partner“ bei auf www.gsi.de vom 2. April 2019; abgerufen am 20. August 2019
  29. ESFRI Strategy Report and Roadmap Update 2010 (PDF; 8,5 MB) ESFRI Forschungsplan
  30. NuPECC Webseite
  31. NuPECC Long Range Plan 2010 - Recommendations and Roadmap (PDF; 948 kB) Empfehlungen der NuPECC

Koordinaten: 49° 55′ 59″ N, 8° 41′ 6,1″ O