Nichtthermisches Plasma

Nichtthermisches Plasma

Nichtthermische Plasmen (häufig NTP abgekürzt), auch Nichtgleichgewichtsplasmen sind Plasmen, die sich nicht im thermischen Gleichgewicht befinden, in denen sich also z. B. die Temperaturen der enthaltenen Teilchensorten (Neutralteilchen, Ionen, Elektronen) signifikant unterscheiden.

Grundlagen

Thermisches Ungleichgewicht kann in technischen Realisierungen verschiedene Ursachen haben:

Bei reduzierten Drücken (z. B. weniger als 100 Pa = 0,001 bar) ist die mittlere freie Weglänge so groß, dass keine nennenswerte Energieübertragung zwischen den Teilchen stattfinden kann, dass also kein thermisches Gleichgewicht entstehen kann. Über Einkopplung elektromagnetischer Wellen werden aber dennoch die freien Elektronen selektiv geheizt. Für den Großteil aller Gasteilchen liegt die Temperatur bei Raumtemperatur, das Plasma enthält aber Elektronen, die eine sehr hohe mittlere kinetische Energie aufweisen, die mit Temperaturen von über 10000 K einhergeht.[1]
Diese energiereichen Elektronen und die energiereiche Strahlung von Elektronenübergängen sind zur Einleitung von chemischen Reaktionen an Oberflächen bzw. in oberflächennahen Bereichen befähigt, die selbst die Modifizierung stabilster chemischer Strukturen beinhalten kann. Gleichzeitig findet keine thermische Belastung dieser Oberfläche statt, da die makroskopische Temperatur des Plasmas der Umgebung angepasst ist.
  • Zeitlich stark variierende Plasmaparameter
In so genannten Dielektrisch behinderten Entladungen (Entladungen mit dielektrischer Barriere) werden trotz normalen Gasdrucks Plasmen weit ab vom thermischen Gleichgewicht erzeugt.[2] Durch eine hochfrequente Wechselspannung bilden sich mit jeder Periode an anderen Stellen winzige Entladungskanäle, so genannte Streamer aus. Da die Entladungskanäle nur einen Bruchteil des gesamten Entladungsvolumens ausmachen und die Zeitdauer der Entladung durch die kapazitive Kopplung stark begrenzt ist, bleibt die mittlere Gastemperatur in der Entladung niedrig, also in der Nähe der Raumtemperatur.
Ein weiteres Beispiel sind gepulste Plasmen[3] d. h. Plasmen, die nur für Sekundenbruchteile angeregt werden, d. h. in dieser auch nicht das thermische Gleichgewicht erreichen können.

Anwendung

In der Abgasreinigung werden Nichtthermische Plasmen gezielt zur Beseitigung von Gerüchen und bestimmten Kohlenwasserstoffen eingesetzt.[4] Der Einsatz von Nichtthermischen Plasmen zur Abgasreinigung zählt zu den entsorgenden Verfahren, da eine möglichst vollständige Oxidation von Kohlenwasserstoffen angestrebt wird.[5] Anwendung finden diese Abgasreinigungsverfahren insbesondere in der Lebensmittel- und Tierfutterindustrie.[6] Auch zur Reduzierung von Bioaerosolen aus der Abluft einer Kompostierungsanlage wurde Nichtthermisches Plasma – in Kombination mit einem Biofilter – erfolgreich eingesetzt.[7] Weiterhin finden Nichtthermische Plasmen Anwendung in der Medizintechnik, zum Beispiel bei der Behandlung von schlecht oder nicht heilenden Wunden mit Hilfe eines sogenannten Plasmastifts, indem auf die antimikrobielle Wirkung von „kaltem Plasma“ zurückgegriffen wird.[8] Auch kann die Technologie zur Erzeugung von Leiterbahnen auf Kunststoffsubstraten eingesetzt werden.[9] Darüber hinaus befindet sich die Entkeimung von PET-Flaschen mittels Nichtthermischen Plasma in der Erprobung.[10]

Die Verwendung von Reinigungsgeräten für Innenraumluft, die auf der Basis von Nichtthermischem Plasma funktionieren, wird wegen der möglichen Bildung von Ozon als kritisch angesehen.[11] So konnten in der behandelten Luft neu gebildete Luftschadstoffe nachgewiesen werden.[12] Der österreichische Arbeitskreis Innenraumluft im Klimaschutzministerium (BMK) rät in seinem Positionspapier zu Luftreinigern von der Verwendung der Ionisationstechnologie ("Kaltplasma") ab, da die Gefahr besteht, dass bei Verwendung kurzlebige reizende chemische Nebenprodukte und Gerüche entstehen und da unbedenkliche Alternativen bestehen. Ein Nachweis der Unbedenklichkeit wäre auf Grund der Unmöglichkeit, die extrem kurzlebigen Reaktionsprodukte analytisch zu erfassen, theoretisch gar nicht möglich[13].

Siehe auch

  • Plasmamedizin

Literatur

  • VDI 2441:2014-03 (Entwurf) Prozessgas- und Abgasreinigung durch Kaltplasmaverfahren - Barriere-, Koronaentladung, UV-Strahlung. Berlin: Beuth Verlag (Zusammenfassung online)

Einzelnachweise

  1. VDI 2441, S. 3.
  2. VDI 2441, S. 3–4.
  3. VDI 2441, S. 5.
  4. VDI 2441, S. 2.
  5. VDI 2441, S. 13.
  6. VDI 2441, S. 20–21.
  7. VDI 4255 Blatt 2:2009-12 Bioaerosole und biologische Agenzien; Emissionsquellen und -minderungsmaßnahmen in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung; Übersicht (Bioaerosols and biological agents; Emission sources and control measures in livestock operations; Overview). Beuth Verlag, Berlin. S. 40.
  8. Plasmastift verbessert die Wundheilung. VDI nachrichten, ISSN 0042-1758, Nr. 47 vom 21. November 2014, S. 24.
  9. https://3d-mid.de/cms/front_content.php?idcat=104
  10. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Verfahrenstechnik, ISSN 0175-5315, Nr. 1–2, 2010, S. 12.
  11. Henning Heberer, Eberhard Nies, Markus Dietschi, Angela Möller, Wolfgang Pflaumbaum, Marco Steinhausen: Überlegungen zur Wirkung und toxikologischen Relevanz von NTP-Luftreinigungsgeräten. In: Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft. 65, Nr. 10, 2005, ISSN 0949-8036, S. 419–424.
  12. Hans Jürgen Buschmann, Jörg Brandes, Vahid Ameri Dehabati, Jochen S. Gutmann: Innenraumluft – Neue Möglichkeiten zur Verringerung von Belastungen. In: Gefahrstoffe – Reinhalt. Luft. 74, Nr. 10, 2014, ISSN 0949-8036, S. 421–425.
  13. Arbeitskreis Innenraumluft im BMK: Positionspapier zu lüftungsunterstützenden Maßnahmen durch Einsatz von Luftreinigern zur Covid-19 Prävention und Einbringung von Wirkstoffen in die Innenraumluft. Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, 10. März 2021, S. 14–15, abgerufen am 13. März 2021.