Das Erwachen des Schwarzen Lochs: Astronomen verfolgen live, wie Galaxie SDSS1335+0728 heller strahlt
Physik-News vom 20.06.2024
Gegen Ende des Jahres 2019 fing die bis dahin unauffällige Galaxie SDSS1335+0728 an, heller zu strahlen als jemals zuvor. Astronomen nutzten Daten von verschiedenen Weltraum- und Bodenobservatorien, einschließlich des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO), um die Helligkeitsschwankungen zu untersuchen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie legt nahe, dass sie Veränderungen in der Galaxie beobachtet haben, die zuvor noch nie gesehen wurden – vermutlich verursacht durch das plötzliche Aktivwerden des massereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie.
„Stellen Sie sich vor, Sie beobachten jahrelang eine weit entfernte Galaxie, die immer ruhig und inaktiv wirkte“, erklärt Paula Sánchez Sáez, Astronomin bei der ESO in Deutschland und leitende Autorin der Studie. „Und plötzlich erlebt ihr [Kern] dramatische Helligkeitsveränderungen, die sich von allem bisher Gesehenen abheben.“
Publikation:
P. Sánchez-Sáez et al.
SDSS1335+0728: The awakening of a ∼ 106 M⊙ black hole
Astronomy & Astrophysics (2024)
DOI: https://doi.org/10.1051/0004-6361/202347957
Dies geschah mit SDSS1335+0728, das nun als „aktiver galaktischer Kern“ (AGN) klassifiziert wird – eine leuchtende, kompakte Region, angetrieben von einem massereichen Schwarzen Loch – nachdem es im Dezember 2019 eine dramatische Aufhellung erfuhr [1].
Phänomene wie Supernova-Explosionen oder das Zerreißen von Sternen durch Gezeitenkräfte, wenn sie einem Schwarzen Loch zu nahe kommen, lassen Galaxien vorübergehend heller erscheinen. Solche Helligkeitsausbrüche sind normalerweise nur von kurzer Dauer, oft nur einige Wochen oder Monate. Doch die Galaxie SDSS1335+0728 strahlt nun schon seit über vier Jahren immer heller, seit sie erstmals beim „Aufleuchten“ beobachtet wurde. Die Schwankungen in dieser 300 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie im Sternbild Jungfrau sind ungewöhnlich und stellen Astronomen vor Rätsel, die auf eine neue Art von Erklärung hindeuten.
Das Team unternahm den Versuch, die Helligkeitsschwankungen durch eine Kombination aus Archivdaten und neuen Beobachtungen an verschiedenen Standorten, einschließlich des X-Shooter-Instruments am Very Large Telescope (VLT) der ESO in der chilenischen Atacama-Wüste, zu analysieren [2]. Ein Vergleich der Daten, die vor und nach Dezember 2019 gesammelt wurden, zeigte, dass SDSS1335+0728 nun deutlich mehr Licht im ultravioletten, optischen und infraroten Bereich emittiert. Zudem begann die Galaxie im Februar 2024, Röntgenstrahlen auszusenden. „Ein solches Verhalten ist noch nie vorgekommen“, erklärt Sánchez Sáez, die auch am Millennium Institute of Astrophysics (MAS) in Chile tätig ist.
„Die naheliegendste Erklärung für dieses Phänomen ist, dass wir beobachten, wie der [Kern] der Galaxie anfängt, (...) Aktivität zu zeigen“, sagt die Co-Autorin Lorena Hernández García vom MAS und der Universität Valparaíso in Chile. „Wenn das stimmt, wäre dies das erste Mal, dass wir die Aktivierung eines massereichen Schwarzen Lochs in Echtzeit beobachten.“
Massereiche Schwarze Löcher, deren Massen hunderttausendfach größer sind als die der Sonne, befinden sich im Zentrum der meisten Galaxien, einschließlich unserer Milchstraße. „Diese Giganten schlafen normalerweise und sind nicht direkt sichtbar“, erklärt der Co-Autor Claudio Ricci von der Diego-Portales-Universität, ebenfalls in Chile. „Im Fall von SDSS1335+0728 konnten wir das Erwachen des massereichen Schwarzen Lochs beobachten, das sich plötzlich das in seiner Umgebung vorhandene Gas einverleibte und sehr hell wurde.“
„Dieser Prozess (...) wurde noch nie zuvor beobachtet“, sagt Hernández García. Frühere Studien haben gezeigt, dass inaktive Galaxien nach einigen Jahren wieder aktiv werden können. Doch nun wurde zum ersten Mal der Prozess selbst – das Aufwachen eines Schwarzen Lochs – in Echtzeit beobachtet. Ricci, der auch mit dem Kavli-Institut für Astronomie und Astrophysik an der Peking-Universität in China verbunden ist, fügt hinzu: „Das könnte auch bei unserem eigenen Sgr A*, dem massereichen Schwarzen Loch (...) im Zentrum unserer Galaxie, passieren“, aber es ist unklar, wie wahrscheinlich dies ist.
Weitere Beobachtungen sind notwendig, um alternative Erklärungen auszuschließen. Es könnte sein, dass wir eine ungewöhnlich langsame Gezeitenstörung oder sogar ein neues Phänomen beobachten. Sollte es sich tatsächlich um eine Gezeitenstörung handeln, wäre es das längste und schwächste Ereignis seiner Art, das bisher beobachtet wurde. „Unabhängig von der Art der Schwankungen liefert [diese Galaxie] wertvolle Informationen darüber, wie Schwarze Löcher wachsen und sich entwickeln“, sagt Sánchez Sáez. „Wir gehen davon aus, dass Instrumente wie [MUSE am VLT oder die Instrumente am zukünftigen Extremely Large Telescope (ELT)] entscheidend zum Verständnis beitragen werden [warum die Galaxie heller wird].“
Endnoten
[1] Die ungewöhnlichen Helligkeitsschwankungen der Galaxie SDSS1335+0728 wurden durch das Zwicky-Transient-Facility-Teleskop (ZTF) in den USA aufgedeckt. Der in Chile entwickelte Algorithmus Automatic Learning for the Rapid Classification of Events (ALeRCE) klassifizierte SDSS1335+0728 daraufhin als aktiven Galaxienkern.
[2] Das Team hat Archivdaten von NASA-Satelliten wie
- dem Wide-field Infrared Survey Explorer (WISE) und dem Galaxy Evolution Explorer (GALEX),
- dem Two Micron All Sky Survey (2MASS),
- dem Sloan Digital Sky Survey (SDSS)
- sowie dem eROSITA-Instrument auf dem Spektr-RG-Weltraumobservatorium von IKI und DLR
Zusätzlich zum VLT der ESO wurden Nachbeobachtungen
- mit dem Southern Astrophysical Research Telescope (SOAR),
- dem W. M. Keck Observatory,
- dem Neil Gehrels Swift Observatory
- und dem Chandra X-ray Observatory der NASA
Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Astronomie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.